versichern wollen, sich nach seinem Tode niemals hat entschließen können, wieder zu heirathen. Jst wohl ein Beweis in der ganzen Welt stärker, als dieser, daß alte Liebe nicht rostet?
Jch habe meinen Lesern zum Beweis dieses Satzes noch ein Exempel versprochen. Es ist, wie ich hoffe, eben so erbaulich, wenn es gleich nicht so merkwürdig, und so weitläuftig ist.
Auf der hohen Schule zu Leyden habe ich dem Begräbnisse einer ehrwürdigen Jungfer beyge- wohnt, welche sich nicht eher, als im siebzigsten Jahre durch den Tod in einer Liebe hatte stören lassen, die sich in dem vierzehnten Jahre angefan- gen hatte. Jn diesem Jahre stund sie, da sie einen jungen Baron von gutem Hause kennen lernte, der sich in Leyden seiner Studien wegen aufhielt. Brigitta liebte ihn, so bald sie ihn sahe. Es war ihre erste Liebe, und die erste Liebe eines jungen Mädchens ist gemeiniglich so heftig, daß sie sich schwerlich verbergen läßt. Am wenigsten hatte sie in Willens, solche vor dem Baron zu ver- bergen. Diese jungen Herren verstehen sehr oft auf Universitäten die Sprache der Augen besser, als die Sprache des Lehrers. Der Baron glaubte, seine müßigen Stunden, und deren hatte er täg- lich vier und zwanzig, nicht besser anwenden zu können, als wenn er mit dem hübschen Bürger- mädchen tändelte. Das arme Kind liebte ernst- hafter. Sie schwur, ihn ewig zu lieben; Dem
Baron
H
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
verſichern wollen, ſich nach ſeinem Tode niemals hat entſchließen koͤnnen, wieder zu heirathen. Jſt wohl ein Beweis in der ganzen Welt ſtaͤrker, als dieſer, daß alte Liebe nicht roſtet?
Jch habe meinen Leſern zum Beweis dieſes Satzes noch ein Exempel verſprochen. Es iſt, wie ich hoffe, eben ſo erbaulich, wenn es gleich nicht ſo merkwuͤrdig, und ſo weitlaͤuftig iſt.
Auf der hohen Schule zu Leyden habe ich dem Begraͤbniſſe einer ehrwuͤrdigen Jungfer beyge- wohnt, welche ſich nicht eher, als im ſiebzigſten Jahre durch den Tod in einer Liebe hatte ſtoͤren laſſen, die ſich in dem vierzehnten Jahre angefan- gen hatte. Jn dieſem Jahre ſtund ſie, da ſie einen jungen Baron von gutem Hauſe kennen lernte, der ſich in Leyden ſeiner Studien wegen aufhielt. Brigitta liebte ihn, ſo bald ſie ihn ſahe. Es war ihre erſte Liebe, und die erſte Liebe eines jungen Maͤdchens iſt gemeiniglich ſo heftig, daß ſie ſich ſchwerlich verbergen laͤßt. Am wenigſten hatte ſie in Willens, ſolche vor dem Baron zu ver- bergen. Dieſe jungen Herren verſtehen ſehr oft auf Univerſitaͤten die Sprache der Augen beſſer, als die Sprache des Lehrers. Der Baron glaubte, ſeine muͤßigen Stunden, und deren hatte er taͤg- lich vier und zwanzig, nicht beſſer anwenden zu koͤnnen, als wenn er mit dem huͤbſchen Buͤrger- maͤdchen taͤndelte. Das arme Kind liebte ernſt- hafter. Sie ſchwur, ihn ewig zu lieben; Dem
Baron
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Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
verſichern wollen, ſich nach ſeinem Tode niemals
hat entſchließen koͤnnen, wieder zu heirathen. Jſt
wohl ein Beweis in der ganzen Welt ſtaͤrker, als
dieſer, daß alte Liebe nicht roſtet?
Jch habe meinen Leſern zum Beweis dieſes
Satzes noch ein Exempel verſprochen. Es iſt, wie
ich hoffe, eben ſo erbaulich, wenn es gleich nicht
ſo merkwuͤrdig, und ſo weitlaͤuftig iſt.
Auf der hohen Schule zu Leyden habe ich dem
Begraͤbniſſe einer ehrwuͤrdigen Jungfer beyge-
wohnt, welche ſich nicht eher, als im ſiebzigſten
Jahre durch den Tod in einer Liebe hatte ſtoͤren
laſſen, die ſich in dem vierzehnten Jahre angefan-
gen hatte. Jn dieſem Jahre ſtund ſie, da ſie
einen jungen Baron von gutem Hauſe kennen
lernte, der ſich in Leyden ſeiner Studien wegen
aufhielt. Brigitta liebte ihn, ſo bald ſie ihn ſahe.
Es war ihre erſte Liebe, und die erſte Liebe eines
jungen Maͤdchens iſt gemeiniglich ſo heftig, daß
ſie ſich ſchwerlich verbergen laͤßt. Am wenigſten
hatte ſie in Willens, ſolche vor dem Baron zu ver-
bergen. Dieſe jungen Herren verſtehen ſehr oft
auf Univerſitaͤten die Sprache der Augen beſſer,
als die Sprache des Lehrers. Der Baron glaubte,
ſeine muͤßigen Stunden, und deren hatte er taͤg-
lich vier und zwanzig, nicht beſſer anwenden zu
koͤnnen, als wenn er mit dem huͤbſchen Buͤrger-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/135>, abgerufen am 23.11.2024.
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