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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
will, in deren Gesellschaft er nach seinem Vater-
lande zurücke kehrte? Der Sache ist bald abzuhel-
fen. Sie sind noch hundert Meilen von Cadix
entfernt. Vielleicht kömmt ein Sturm, vielleicht
ein Seeräuber? Aber sie nähern sich der Küste
glücklich; sie erblicken den gewünschten Hafen
schon von ferne. Was soll ich mit der Frau an-
fangen? - - - - Gut; sie muß sterben!
- - - - Diego, den der Anblick seines Va-
terlandes vom neuen belebte, hatte in der letzten
Nacht das unvermuthete Unglück, daß sein Weib,
das er in der That mehr liebte, als ein Weib, in
seinen Armen starb. Dieser Vorfall nöthigte ihn,
einige Monate in Cadix zu bleiben. Er hörte
in verschiednen Gesellschaften den Ruhm einer hei-
ligen Jsabelle, welche der Ueberfluß ihrer zeitli-
chen Güter nicht abhalten könne, den Ueberrest
ihrer Jahre der Andacht und dem Kloster zu wid-
men. Die Neugier, und vielleicht ein unbekann-
ter Trieb, bewegte ihn, diese fromme Heldinn
kennen zu lernen. Er sahe sie, und er glaubte, er
sähe die Mutter seiner angebeteten Jsabelle. Sein
Herz schlug ihm; er betrachtete sie genauer, und
zitterte vor Freuden: denn er sahe, daß sie wirk-
lich seine Jsabelle war. Er näherte sich ihr mit
bebenden Schritten, und redete sie stammelnd an.
Jsabelle nahm die Brille von ihrem ehrwürdigen
Gesichte, und in dem Augenblicke sagten ihr das
Herz, und die Augen, ihr Diego sey es. Sie
sank vor - - - nein, das war zu viel. Ver-
liebte Wittwen von sechs und funfzig Jahren sin-

ken

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
will, in deren Geſellſchaft er nach ſeinem Vater-
lande zuruͤcke kehrte? Der Sache iſt bald abzuhel-
fen. Sie ſind noch hundert Meilen von Cadix
entfernt. Vielleicht koͤmmt ein Sturm, vielleicht
ein Seeraͤuber? Aber ſie naͤhern ſich der Kuͤſte
gluͤcklich; ſie erblicken den gewuͤnſchten Hafen
ſchon von ferne. Was ſoll ich mit der Frau an-
fangen? ‒ ‒ ‒ ‒ Gut; ſie muß ſterben!
‒ ‒ ‒ ‒ Diego, den der Anblick ſeines Va-
terlandes vom neuen belebte, hatte in der letzten
Nacht das unvermuthete Ungluͤck, daß ſein Weib,
das er in der That mehr liebte, als ein Weib, in
ſeinen Armen ſtarb. Dieſer Vorfall noͤthigte ihn,
einige Monate in Cadix zu bleiben. Er hoͤrte
in verſchiednen Geſellſchaften den Ruhm einer hei-
ligen Jſabelle, welche der Ueberfluß ihrer zeitli-
chen Guͤter nicht abhalten koͤnne, den Ueberreſt
ihrer Jahre der Andacht und dem Kloſter zu wid-
men. Die Neugier, und vielleicht ein unbekann-
ter Trieb, bewegte ihn, dieſe fromme Heldinn
kennen zu lernen. Er ſahe ſie, und er glaubte, er
ſaͤhe die Mutter ſeiner angebeteten Jſabelle. Sein
Herz ſchlug ihm; er betrachtete ſie genauer, und
zitterte vor Freuden: denn er ſahe, daß ſie wirk-
lich ſeine Jſabelle war. Er naͤherte ſich ihr mit
bebenden Schritten, und redete ſie ſtammelnd an.
Jſabelle nahm die Brille von ihrem ehrwuͤrdigen
Geſichte, und in dem Augenblicke ſagten ihr das
Herz, und die Augen, ihr Diego ſey es. Sie
ſank vor ‒ ‒ ‒ nein, das war zu viel. Ver-
liebte Wittwen von ſechs und funfzig Jahren ſin-

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[111/0133] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. will, in deren Geſellſchaft er nach ſeinem Vater- lande zuruͤcke kehrte? Der Sache iſt bald abzuhel- fen. Sie ſind noch hundert Meilen von Cadix entfernt. Vielleicht koͤmmt ein Sturm, vielleicht ein Seeraͤuber? Aber ſie naͤhern ſich der Kuͤſte gluͤcklich; ſie erblicken den gewuͤnſchten Hafen ſchon von ferne. Was ſoll ich mit der Frau an- fangen? ‒ ‒ ‒ ‒ Gut; ſie muß ſterben! ‒ ‒ ‒ ‒ Diego, den der Anblick ſeines Va- terlandes vom neuen belebte, hatte in der letzten Nacht das unvermuthete Ungluͤck, daß ſein Weib, das er in der That mehr liebte, als ein Weib, in ſeinen Armen ſtarb. Dieſer Vorfall noͤthigte ihn, einige Monate in Cadix zu bleiben. Er hoͤrte in verſchiednen Geſellſchaften den Ruhm einer hei- ligen Jſabelle, welche der Ueberfluß ihrer zeitli- chen Guͤter nicht abhalten koͤnne, den Ueberreſt ihrer Jahre der Andacht und dem Kloſter zu wid- men. Die Neugier, und vielleicht ein unbekann- ter Trieb, bewegte ihn, dieſe fromme Heldinn kennen zu lernen. Er ſahe ſie, und er glaubte, er ſaͤhe die Mutter ſeiner angebeteten Jſabelle. Sein Herz ſchlug ihm; er betrachtete ſie genauer, und zitterte vor Freuden: denn er ſahe, daß ſie wirk- lich ſeine Jſabelle war. Er naͤherte ſich ihr mit bebenden Schritten, und redete ſie ſtammelnd an. Jſabelle nahm die Brille von ihrem ehrwuͤrdigen Geſichte, und in dem Augenblicke ſagten ihr das Herz, und die Augen, ihr Diego ſey es. Sie ſank vor ‒ ‒ ‒ nein, das war zu viel. Ver- liebte Wittwen von ſechs und funfzig Jahren ſin- ken

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/133>, abgerufen am 23.11.2024.