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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
sah, um dessen Arm sich ein Frauenzimmer sehr
vertraulich geschlungen hatte. Sie glaubte zu
träumen; die Kniee zitterten ihr, und sie fiel in
die Arme ihres Vetters zurück. Ohnmächtig?
Ja freylich! Was wäre das für ein Roman, wo
die Heldinn nicht wenigstens einmal ohnmächtig
würde? Endlich erhohlte sie sich; sie klagte ihr
Unglück ihrem Vetter, dem die Ursachen dieser
verliebten Wallfahrt nicht ganz unbekannt waren.
Der Schluß ward gefaßt, daß sie sich verborgen
halten, und mit dem nächsten Schiffe nach Cadix
zurück gehen solle. Es geschah dieses nach weni-
gen Tagen, die sie anwandte, von dem Glücke
ihres angebeteten Freundes genaue Erkundigung
einzuziehen. Sie hielt sich während derselben sehr
sorgfältig verborgen; und er hatte keine Vermu-
thung, daß ihm diejenige Person so nahe sey, wel-
che vielleicht allein vermögend gewesen wäre, so
viel bey ihm auszuwirken, daß ihn die getroffene
Verbindung mit seiner liebenswürdigen Frau ge-
reuet hätte. So großmüthig war Jsabelle, ihrem
Diego eine Unruhe zu ersparen. Sie blieb in Ca-
dix, in dem Hause ihres Verwandten. Sie that
dieses, um demjenigen näher zu seyn, der ihr Herz
hatte: So würde ich sagen, wenn ich einen förm-
lichen Roman schriebe. Aber weil ich den nicht
schreibe, so will ich aufrichtig gestehen, daß ich es
nicht weis, warum sie es tha[t]. Hier brachte sie
dreyzehen Jahre in einer todten Einsamkeit, unter
den zärtlichsten Seufzern nach ihrem Diego, zu.
Jhr Verwandter gab ihr mit jedem Schiffe Nach-

richt,

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
ſah, um deſſen Arm ſich ein Frauenzimmer ſehr
vertraulich geſchlungen hatte. Sie glaubte zu
traͤumen; die Kniee zitterten ihr, und ſie fiel in
die Arme ihres Vetters zuruͤck. Ohnmaͤchtig?
Ja freylich! Was waͤre das fuͤr ein Roman, wo
die Heldinn nicht wenigſtens einmal ohnmaͤchtig
wuͤrde? Endlich erhohlte ſie ſich; ſie klagte ihr
Ungluͤck ihrem Vetter, dem die Urſachen dieſer
verliebten Wallfahrt nicht ganz unbekannt waren.
Der Schluß ward gefaßt, daß ſie ſich verborgen
halten, und mit dem naͤchſten Schiffe nach Cadix
zuruͤck gehen ſolle. Es geſchah dieſes nach weni-
gen Tagen, die ſie anwandte, von dem Gluͤcke
ihres angebeteten Freundes genaue Erkundigung
einzuziehen. Sie hielt ſich waͤhrend derſelben ſehr
ſorgfaͤltig verborgen; und er hatte keine Vermu-
thung, daß ihm diejenige Perſon ſo nahe ſey, wel-
che vielleicht allein vermoͤgend geweſen waͤre, ſo
viel bey ihm auszuwirken, daß ihn die getroffene
Verbindung mit ſeiner liebenswuͤrdigen Frau ge-
reuet haͤtte. So großmuͤthig war Jſabelle, ihrem
Diego eine Unruhe zu erſparen. Sie blieb in Ca-
dix, in dem Hauſe ihres Verwandten. Sie that
dieſes, um demjenigen naͤher zu ſeyn, der ihr Herz
hatte: So wuͤrde ich ſagen, wenn ich einen foͤrm-
lichen Roman ſchriebe. Aber weil ich den nicht
ſchreibe, ſo will ich aufrichtig geſtehen, daß ich es
nicht weis, warum ſie es tha[t]. Hier brachte ſie
dreyzehen Jahre in einer todten Einſamkeit, unter
den zaͤrtlichſten Seufzern nach ihrem Diego, zu.
Jhr Verwandter gab ihr mit jedem Schiffe Nach-

richt,
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[109/0131] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. ſah, um deſſen Arm ſich ein Frauenzimmer ſehr vertraulich geſchlungen hatte. Sie glaubte zu traͤumen; die Kniee zitterten ihr, und ſie fiel in die Arme ihres Vetters zuruͤck. Ohnmaͤchtig? Ja freylich! Was waͤre das fuͤr ein Roman, wo die Heldinn nicht wenigſtens einmal ohnmaͤchtig wuͤrde? Endlich erhohlte ſie ſich; ſie klagte ihr Ungluͤck ihrem Vetter, dem die Urſachen dieſer verliebten Wallfahrt nicht ganz unbekannt waren. Der Schluß ward gefaßt, daß ſie ſich verborgen halten, und mit dem naͤchſten Schiffe nach Cadix zuruͤck gehen ſolle. Es geſchah dieſes nach weni- gen Tagen, die ſie anwandte, von dem Gluͤcke ihres angebeteten Freundes genaue Erkundigung einzuziehen. Sie hielt ſich waͤhrend derſelben ſehr ſorgfaͤltig verborgen; und er hatte keine Vermu- thung, daß ihm diejenige Perſon ſo nahe ſey, wel- che vielleicht allein vermoͤgend geweſen waͤre, ſo viel bey ihm auszuwirken, daß ihn die getroffene Verbindung mit ſeiner liebenswuͤrdigen Frau ge- reuet haͤtte. So großmuͤthig war Jſabelle, ihrem Diego eine Unruhe zu erſparen. Sie blieb in Ca- dix, in dem Hauſe ihres Verwandten. Sie that dieſes, um demjenigen naͤher zu ſeyn, der ihr Herz hatte: So wuͤrde ich ſagen, wenn ich einen foͤrm- lichen Roman ſchriebe. Aber weil ich den nicht ſchreibe, ſo will ich aufrichtig geſtehen, daß ich es nicht weis, warum ſie es that. Hier brachte ſie dreyzehen Jahre in einer todten Einſamkeit, unter den zaͤrtlichſten Seufzern nach ihrem Diego, zu. Jhr Verwandter gab ihr mit jedem Schiffe Nach- richt,

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/131>, abgerufen am 23.11.2024.