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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
chen von ihnen nicht verlange; da ich ihnen nicht
zumuthe, ehrlich zu werden, sondern nur haben
will, daß sie ehrlich scheinen mögen: so kann ich
dieses als ein Recht von ihnen verlangen. Nicht
meinetwegen verlange ich dieses. Nein, ihres ei-
genen Nutzens wegen wünsche ich es. Man ver-
spotte die Ehrlichkeit nur nicht öffentlich; nur öf-
fentlich schäme man sich nicht des Namens eines
ehrlichen Mannes! Dieses verlange ich. Mehr
nicht! Man mache es mit der Ehrlichkeit, wie es
ein wohlgezogner Jüngling mit einem ehrwürdi-
gen Alten macht, wenn er ihm begegnet. Er
grüßt ihn, ohne sich viel um ihn zu bekümmern.
Aber er grüßt ihn, um nicht ungesittet zu scheinen.
Nur darum bitte ich! Bitte ich wohl zu viel?
Die Ehrlichkeit ist alt genug, sie ist ehrwürdig ge-
nug, daß wir ihr einige äußerliche Höflichkeiten
erzeigen. Freylich ist sie zu alt, und zu mürrisch,
als daß wir ihren täglichen Umgang, und eine
nähere Bekanntschaft mit ihr wünschen sollten.
Das ist meine Absicht gar nicht. Ein jeder ist sich
selbst so viel schuldig, daß er den äußerlichen
Wohlstand in Acht nehme, daß er auf diesem
Theater die Maske eines ehrlichen Mannes vor
das Gesicht halte, daß er nicht öffentlich mit der
Ehrlichkeit spotte. Verlange ich denn etwas, das
unbillig ist, oder das uns zu schwer fallen sollte?
Uns, die wir von Natur zur Verstellung so sehr
geneigt sind? Da ich, wie ich hoffe, meinen Le-
sern deutlich genug erklärt habe, wie wenig ich
ihnen zumuthe, und wie billig das ist, was ich

von

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
chen von ihnen nicht verlange; da ich ihnen nicht
zumuthe, ehrlich zu werden, ſondern nur haben
will, daß ſie ehrlich ſcheinen moͤgen: ſo kann ich
dieſes als ein Recht von ihnen verlangen. Nicht
meinetwegen verlange ich dieſes. Nein, ihres ei-
genen Nutzens wegen wuͤnſche ich es. Man ver-
ſpotte die Ehrlichkeit nur nicht oͤffentlich; nur oͤf-
fentlich ſchaͤme man ſich nicht des Namens eines
ehrlichen Mannes! Dieſes verlange ich. Mehr
nicht! Man mache es mit der Ehrlichkeit, wie es
ein wohlgezogner Juͤngling mit einem ehrwuͤrdi-
gen Alten macht, wenn er ihm begegnet. Er
gruͤßt ihn, ohne ſich viel um ihn zu bekuͤmmern.
Aber er gruͤßt ihn, um nicht ungeſittet zu ſcheinen.
Nur darum bitte ich! Bitte ich wohl zu viel?
Die Ehrlichkeit iſt alt genug, ſie iſt ehrwuͤrdig ge-
nug, daß wir ihr einige aͤußerliche Hoͤflichkeiten
erzeigen. Freylich iſt ſie zu alt, und zu muͤrriſch,
als daß wir ihren taͤglichen Umgang, und eine
naͤhere Bekanntſchaft mit ihr wuͤnſchen ſollten.
Das iſt meine Abſicht gar nicht. Ein jeder iſt ſich
ſelbſt ſo viel ſchuldig, daß er den aͤußerlichen
Wohlſtand in Acht nehme, daß er auf dieſem
Theater die Maske eines ehrlichen Mannes vor
das Geſicht halte, daß er nicht oͤffentlich mit der
Ehrlichkeit ſpotte. Verlange ich denn etwas, das
unbillig iſt, oder das uns zu ſchwer fallen ſollte?
Uns, die wir von Natur zur Verſtellung ſo ſehr
geneigt ſind? Da ich, wie ich hoffe, meinen Le-
ſern deutlich genug erklaͤrt habe, wie wenig ich
ihnen zumuthe, und wie billig das iſt, was ich

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[91/0113] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. chen von ihnen nicht verlange; da ich ihnen nicht zumuthe, ehrlich zu werden, ſondern nur haben will, daß ſie ehrlich ſcheinen moͤgen: ſo kann ich dieſes als ein Recht von ihnen verlangen. Nicht meinetwegen verlange ich dieſes. Nein, ihres ei- genen Nutzens wegen wuͤnſche ich es. Man ver- ſpotte die Ehrlichkeit nur nicht oͤffentlich; nur oͤf- fentlich ſchaͤme man ſich nicht des Namens eines ehrlichen Mannes! Dieſes verlange ich. Mehr nicht! Man mache es mit der Ehrlichkeit, wie es ein wohlgezogner Juͤngling mit einem ehrwuͤrdi- gen Alten macht, wenn er ihm begegnet. Er gruͤßt ihn, ohne ſich viel um ihn zu bekuͤmmern. Aber er gruͤßt ihn, um nicht ungeſittet zu ſcheinen. Nur darum bitte ich! Bitte ich wohl zu viel? Die Ehrlichkeit iſt alt genug, ſie iſt ehrwuͤrdig ge- nug, daß wir ihr einige aͤußerliche Hoͤflichkeiten erzeigen. Freylich iſt ſie zu alt, und zu muͤrriſch, als daß wir ihren taͤglichen Umgang, und eine naͤhere Bekanntſchaft mit ihr wuͤnſchen ſollten. Das iſt meine Abſicht gar nicht. Ein jeder iſt ſich ſelbſt ſo viel ſchuldig, daß er den aͤußerlichen Wohlſtand in Acht nehme, daß er auf dieſem Theater die Maske eines ehrlichen Mannes vor das Geſicht halte, daß er nicht oͤffentlich mit der Ehrlichkeit ſpotte. Verlange ich denn etwas, das unbillig iſt, oder das uns zu ſchwer fallen ſollte? Uns, die wir von Natur zur Verſtellung ſo ſehr geneigt ſind? Da ich, wie ich hoffe, meinen Le- ſern deutlich genug erklaͤrt habe, wie wenig ich ihnen zumuthe, und wie billig das iſt, was ich von

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/113>, abgerufen am 23.11.2024.