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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
wo keine sind. Jch glaubte, man sey in diesem
Unternehmen schon sehr weit gekommen, und es
sey hohe Zeit, sich der guten Ehrlichkeit anzuneh-
men, wenn es nicht im Kurzen ganz vergebens
seyn sollte. Jn diesem unbedachten Eifer setzte
ich mich nieder, mein Vaterland aus dem Verder-
ben zu retten, es koste auch was es wolle. Jch
glaubte sehr weislich zu handeln, wenn ich mehr
als eine Wunde auf einmal verbände, und nahm
mir daher vor, besonders drey Sachen zu verthei-
digen, deren, wie ich glaubte, sich kein Mensch
mehr annähme. Mit einem Worte, ich entwarf
eine Schrift, worinnen ich meinen verirrten Mit-
bürgern sehr patriotisch zu Gemüthe führte, wie
unrecht sie thäten, daß sie das sechste Gebot auf-
heben, die Ehrlichkeit ganz und gar vertilgen, und
den Sonntag abschaffen wollten. Jn kurzer Zeit
hatte ich so viel zusammen geschrieben, daß es ein
ziemliches Octavbändchen hätte werden können,
wenn es gedruckt worden wäre. So weit kann
sich ein Mensch vergehen, der die Welt nicht kennt;
und so vieles Unrecht kann man seinem Nächsten
anthun, wenn man, von Vorurtheilen eingenom-
men, ihn nur nach dem Aeußerlichen beurtheilt!
Zu meinem größten Glücke fand ich keinen Verle-
ger. Sie entschuldigten sich alle, das Werkchen
würde nicht gehen; es würden sich keine Käufer
finden; man würde es für eine Schrift wider den
Staat ansehen, und es sey gefährlich, dergleichen
Verlag zu unternehmen. Jch würde viele von
den Großen beleidigen, wenn ich mich des sechsten

Ge-
F 3

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
wo keine ſind. Jch glaubte, man ſey in dieſem
Unternehmen ſchon ſehr weit gekommen, und es
ſey hohe Zeit, ſich der guten Ehrlichkeit anzuneh-
men, wenn es nicht im Kurzen ganz vergebens
ſeyn ſollte. Jn dieſem unbedachten Eifer ſetzte
ich mich nieder, mein Vaterland aus dem Verder-
ben zu retten, es koſte auch was es wolle. Jch
glaubte ſehr weislich zu handeln, wenn ich mehr
als eine Wunde auf einmal verbaͤnde, und nahm
mir daher vor, beſonders drey Sachen zu verthei-
digen, deren, wie ich glaubte, ſich kein Menſch
mehr annaͤhme. Mit einem Worte, ich entwarf
eine Schrift, worinnen ich meinen verirrten Mit-
buͤrgern ſehr patriotiſch zu Gemuͤthe fuͤhrte, wie
unrecht ſie thaͤten, daß ſie das ſechſte Gebot auf-
heben, die Ehrlichkeit ganz und gar vertilgen, und
den Sonntag abſchaffen wollten. Jn kurzer Zeit
hatte ich ſo viel zuſammen geſchrieben, daß es ein
ziemliches Octavbaͤndchen haͤtte werden koͤnnen,
wenn es gedruckt worden waͤre. So weit kann
ſich ein Menſch vergehen, der die Welt nicht kennt;
und ſo vieles Unrecht kann man ſeinem Naͤchſten
anthun, wenn man, von Vorurtheilen eingenom-
men, ihn nur nach dem Aeußerlichen beurtheilt!
Zu meinem groͤßten Gluͤcke fand ich keinen Verle-
ger. Sie entſchuldigten ſich alle, das Werkchen
wuͤrde nicht gehen; es wuͤrden ſich keine Kaͤufer
finden; man wuͤrde es fuͤr eine Schrift wider den
Staat anſehen, und es ſey gefaͤhrlich, dergleichen
Verlag zu unternehmen. Jch wuͤrde viele von
den Großen beleidigen, wenn ich mich des ſechſten

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[85/0107] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. wo keine ſind. Jch glaubte, man ſey in dieſem Unternehmen ſchon ſehr weit gekommen, und es ſey hohe Zeit, ſich der guten Ehrlichkeit anzuneh- men, wenn es nicht im Kurzen ganz vergebens ſeyn ſollte. Jn dieſem unbedachten Eifer ſetzte ich mich nieder, mein Vaterland aus dem Verder- ben zu retten, es koſte auch was es wolle. Jch glaubte ſehr weislich zu handeln, wenn ich mehr als eine Wunde auf einmal verbaͤnde, und nahm mir daher vor, beſonders drey Sachen zu verthei- digen, deren, wie ich glaubte, ſich kein Menſch mehr annaͤhme. Mit einem Worte, ich entwarf eine Schrift, worinnen ich meinen verirrten Mit- buͤrgern ſehr patriotiſch zu Gemuͤthe fuͤhrte, wie unrecht ſie thaͤten, daß ſie das ſechſte Gebot auf- heben, die Ehrlichkeit ganz und gar vertilgen, und den Sonntag abſchaffen wollten. Jn kurzer Zeit hatte ich ſo viel zuſammen geſchrieben, daß es ein ziemliches Octavbaͤndchen haͤtte werden koͤnnen, wenn es gedruckt worden waͤre. So weit kann ſich ein Menſch vergehen, der die Welt nicht kennt; und ſo vieles Unrecht kann man ſeinem Naͤchſten anthun, wenn man, von Vorurtheilen eingenom- men, ihn nur nach dem Aeußerlichen beurtheilt! Zu meinem groͤßten Gluͤcke fand ich keinen Verle- ger. Sie entſchuldigten ſich alle, das Werkchen wuͤrde nicht gehen; es wuͤrden ſich keine Kaͤufer finden; man wuͤrde es fuͤr eine Schrift wider den Staat anſehen, und es ſey gefaͤhrlich, dergleichen Verlag zu unternehmen. Jch wuͤrde viele von den Großen beleidigen, wenn ich mich des ſechſten Ge- F 3

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/107>, abgerufen am 23.11.2024.