"zeigten strengen Gerechtigkeit, auf eine anständi- "gere und bindigere Art schadlos hält.
"Jch habe bey einer andern Gelegenheit be- "zeugt, wie sehr ich wünschte, daß meine Lands- "leute sich gewöhnen möchten, so zu schreiben, wie "sie denken. Gegenwärtigen Fall nehm ich aus. "Wo die Frage entsteht: ob ich mein Vermögen "derlieren, oder der Wahrheit Eintrag thun will; "da ist die Wahl leicht. Bey einem Richter, wel- "cher die Ehrliebe dergestalt in seiner Gewalt hat, "daß er damit machen kann, was er will; bey "diesem würde es sehr unvorsichtig seyn, durch die "Wahrheit seine Ehrbegierde zu reizen. Da- "durch, daß ich diesen Fall ausnehme, widerspre- "che ich meinem Satze gar nicht. Eine andre "Sprache ist diejenige, die ich in Gesellschaften, "und im gemeinen Leben rede, da kann ich, da "soll ich die Wahrheit sagen; eine ganz andre "Sprache aber ist der stylus curiae, da muß ich "dem Herkommen gemäß reden, oder, welches ei- "nerley ist, ich muß den Richter zu eben der Zeit, "da ich ihm zeige, daß er ein Schelm ist, versi- "chern, daß ich ihn für einen unpartheyischen, für "den billigsten Mann halte.
"Damit ich dasjenige deutlicher mache, was "ich hier gesagt habe: so will ich ein paar Briefe
ein-
Satyriſche Briefe.
„zeigten ſtrengen Gerechtigkeit, auf eine anſtaͤndi- „gere und bindigere Art ſchadlos haͤlt.
„Jch habe bey einer andern Gelegenheit be- „zeugt, wie ſehr ich wuͤnſchte, daß meine Lands- „leute ſich gewoͤhnen moͤchten, ſo zu ſchreiben, wie „ſie denken. Gegenwaͤrtigen Fall nehm ich aus. „Wo die Frage entſteht: ob ich mein Vermoͤgen „derlieren, oder der Wahrheit Eintrag thun will; „da iſt die Wahl leicht. Bey einem Richter, wel- „cher die Ehrliebe dergeſtalt in ſeiner Gewalt hat, „daß er damit machen kann, was er will; bey „dieſem wuͤrde es ſehr unvorſichtig ſeyn, durch die „Wahrheit ſeine Ehrbegierde zu reizen. Da- „durch, daß ich dieſen Fall ausnehme, widerſpre- „che ich meinem Satze gar nicht. Eine andre „Sprache iſt diejenige, die ich in Geſellſchaften, „und im gemeinen Leben rede, da kann ich, da „ſoll ich die Wahrheit ſagen; eine ganz andre „Sprache aber iſt der ſtylus curiæ, da muß ich „dem Herkommen gemaͤß reden, oder, welches ei- „nerley iſt, ich muß den Richter zu eben der Zeit, „da ich ihm zeige, daß er ein Schelm iſt, verſi- „chern, daß ich ihn fuͤr einen unpartheyiſchen, fuͤr „den billigſten Mann halte.
„Damit ich dasjenige deutlicher mache, was „ich hier geſagt habe: ſo will ich ein paar Briefe
ein-
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Satyriſche Briefe.
„zeigten ſtrengen Gerechtigkeit, auf eine anſtaͤndi-
„gere und bindigere Art ſchadlos haͤlt.
„Jch habe bey einer andern Gelegenheit be-
„zeugt, wie ſehr ich wuͤnſchte, daß meine Lands-
„leute ſich gewoͤhnen moͤchten, ſo zu ſchreiben, wie
„ſie denken. Gegenwaͤrtigen Fall nehm ich aus.
„Wo die Frage entſteht: ob ich mein Vermoͤgen
„derlieren, oder der Wahrheit Eintrag thun will;
„da iſt die Wahl leicht. Bey einem Richter, wel-
„cher die Ehrliebe dergeſtalt in ſeiner Gewalt hat,
„daß er damit machen kann, was er will; bey
„dieſem wuͤrde es ſehr unvorſichtig ſeyn, durch die
„Wahrheit ſeine Ehrbegierde zu reizen. Da-
„durch, daß ich dieſen Fall ausnehme, widerſpre-
„che ich meinem Satze gar nicht. Eine andre
„Sprache iſt diejenige, die ich in Geſellſchaften,
„und im gemeinen Leben rede, da kann ich, da
„ſoll ich die Wahrheit ſagen; eine ganz andre
„Sprache aber iſt der ſtylus curiæ, da muß ich
„dem Herkommen gemaͤß reden, oder, welches ei-
„nerley iſt, ich muß den Richter zu eben der Zeit,
„da ich ihm zeige, daß er ein Schelm iſt, verſi-
„chern, daß ich ihn fuͤr einen unpartheyiſchen, fuͤr
„den billigſten Mann halte.
„Damit ich dasjenige deutlicher mache, was
„ich hier geſagt habe: ſo will ich ein paar Briefe
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/89>, abgerufen am 23.11.2024.
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