"Wie die Arten der Bestechung sehr verschie- "den sind, so ist die erste Regel diese: Man muß "sich durchaus nicht merken lassen, daß man be- "stechen will.
"Einmal ist der Satz richtig und ausgemacht: "ein jeder will für einen ehrlichen Mann gelten, "der sich ausserdem sehr viel Mühe giebt, es nicht "zu seyn. So niederträchtig unser Richter ist, so "hungrig er ist, sich bestechen zu lassen: so sehr "werden wir ihn beleidigen, wenn wir ihm mer- "ken lassen, daß wir die Absicht haben, ihn zu be- "stechen. Er muß sich schämen, nicht vor sich, "sondern vor uns; er wird den Namen eines un- "partheyischen Richters behaupten, er wird seiner "Natur Gewalt anthun, gerecht zu seyn, um uns "das nachtheilige Vorurtheil zu benehmen, daß er "das sey, was er ist. Er muß befürchten, daß "wir die Einsicht seines Fehlers misbrauchen, und "entweder den Werth der Gefälligkeit nicht erken- "nen, die er uns durch seine Nachsicht bezeigt, "oder ihm gar seinen Fehler öffentlich vorrücken, "wenn wir etwan eine andre Gelegenheit finden "sollten, mit ihm unzufrieden zu seyn. Diese unge- "wöhnliche Gerechtigkeit wird ihm sodann desto "leichter ankommen, ie gewisser ein aufmerksamer "Gegner sich unsre Dummheit zu Nutze macht, "und den beleidigten Richter dadurch auf seine "Seite bringt, daß er ihn, wegen seiner uns er-
zeigten
Satyriſche Briefe.
„Wie die Arten der Beſtechung ſehr verſchie- „den ſind, ſo iſt die erſte Regel dieſe: Man muß „ſich durchaus nicht merken laſſen, daß man be- „ſtechen will.
„Einmal iſt der Satz richtig und ausgemacht: „ein jeder will fuͤr einen ehrlichen Mann gelten, „der ſich auſſerdem ſehr viel Muͤhe giebt, es nicht „zu ſeyn. So niedertraͤchtig unſer Richter iſt, ſo „hungrig er iſt, ſich beſtechen zu laſſen: ſo ſehr „werden wir ihn beleidigen, wenn wir ihm mer- „ken laſſen, daß wir die Abſicht haben, ihn zu be- „ſtechen. Er muß ſich ſchaͤmen, nicht vor ſich, „ſondern vor uns; er wird den Namen eines un- „partheyiſchen Richters behaupten, er wird ſeiner „Natur Gewalt anthun, gerecht zu ſeyn, um uns „das nachtheilige Vorurtheil zu benehmen, daß er „das ſey, was er iſt. Er muß befuͤrchten, daß „wir die Einſicht ſeines Fehlers misbrauchen, und „entweder den Werth der Gefaͤlligkeit nicht erken- „nen, die er uns durch ſeine Nachſicht bezeigt, „oder ihm gar ſeinen Fehler oͤffentlich vorruͤcken, „wenn wir etwan eine andre Gelegenheit finden „ſollten, mit ihm unzufrieden zu ſeyn. Dieſe unge- „woͤhnliche Gerechtigkeit wird ihm ſodann deſto „leichter ankommen, ie gewiſſer ein aufmerkſamer „Gegner ſich unſre Dummheit zu Nutze macht, „und den beleidigten Richter dadurch auf ſeine „Seite bringt, daß er ihn, wegen ſeiner uns er-
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Satyriſche Briefe.
„Wie die Arten der Beſtechung ſehr verſchie-
„den ſind, ſo iſt die erſte Regel dieſe: Man muß
„ſich durchaus nicht merken laſſen, daß man be-
„ſtechen will.
„Einmal iſt der Satz richtig und ausgemacht:
„ein jeder will fuͤr einen ehrlichen Mann gelten,
„der ſich auſſerdem ſehr viel Muͤhe giebt, es nicht
„zu ſeyn. So niedertraͤchtig unſer Richter iſt, ſo
„hungrig er iſt, ſich beſtechen zu laſſen: ſo ſehr
„werden wir ihn beleidigen, wenn wir ihm mer-
„ken laſſen, daß wir die Abſicht haben, ihn zu be-
„ſtechen. Er muß ſich ſchaͤmen, nicht vor ſich,
„ſondern vor uns; er wird den Namen eines un-
„partheyiſchen Richters behaupten, er wird ſeiner
„Natur Gewalt anthun, gerecht zu ſeyn, um uns
„das nachtheilige Vorurtheil zu benehmen, daß er
„das ſey, was er iſt. Er muß befuͤrchten, daß
„wir die Einſicht ſeines Fehlers misbrauchen, und
„entweder den Werth der Gefaͤlligkeit nicht erken-
„nen, die er uns durch ſeine Nachſicht bezeigt,
„oder ihm gar ſeinen Fehler oͤffentlich vorruͤcken,
„wenn wir etwan eine andre Gelegenheit finden
„ſollten, mit ihm unzufrieden zu ſeyn. Dieſe unge-
„woͤhnliche Gerechtigkeit wird ihm ſodann deſto
„leichter ankommen, ie gewiſſer ein aufmerkſamer
„Gegner ſich unſre Dummheit zu Nutze macht,
„und den beleidigten Richter dadurch auf ſeine
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/88>, abgerufen am 23.11.2024.
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