"wahren und eigentlichen Sinn der Gesetze seinem "Richter deutlich zu machen, ist die Kunst, ihn "zu bestechen.
"Ein Richter wird noch immer, wenigstens "um die Formulare seines Amts zu beobachten, un- "partheyisch, und gewissenhaft thun. Jst er noch "nicht gar zu lange Richter, oder ist er sonst von "einer gemeinen und schlechten Erziehung: so wird "er von Zeit zu Zeit etwas fühlen, das ihm sagt, "es sey unbillig, partheyisch zu seyn. Dieses "Etwas nennt der Pöbel Gewissen, und es ist "vielmal für einen Theil der Partheyen von schlim- "men Folgen. Durch die Kunst zu bestechen er- "leichtern wir unserm Richter diese Unbequemlich- "keit des Gewissens.
"Jch verlange aber schlechterdings, daß man "solches als eine Kunst ansehe, und sehr vorsich- "tig dabey verfahre. Man muß die Geschicklich- "keit besitzen, die Gemüther der Menschen, und, "in gegenwärtigem Falle, die Leidenschaften eines "Richters zu erforschen. Kein Umstand in seiner "Verwandschaft, in seinem Hause ist zu klein, den "man nicht sorgfältig bemerken und sich zu Nutze "machen müßte. Der Angriff muß von der Sei- "te geschehn, wo der Richter uns die Blöße giebt, "sonst wird er sich vertheidigen, und der Gegner "wird sich unsere Unvorsichtigkeit zu Nutze "machen.
Wie
Satyriſche Briefe.
„wahren und eigentlichen Sinn der Geſetze ſeinem „Richter deutlich zu machen, iſt die Kunſt, ihn „zu beſtechen.
„Ein Richter wird noch immer, wenigſtens „um die Formulare ſeines Amts zu beobachten, un- „partheyiſch, und gewiſſenhaft thun. Jſt er noch „nicht gar zu lange Richter, oder iſt er ſonſt von „einer gemeinen und ſchlechten Erziehung: ſo wird „er von Zeit zu Zeit etwas fuͤhlen, das ihm ſagt, „es ſey unbillig, partheyiſch zu ſeyn. Dieſes „Etwas nennt der Poͤbel Gewiſſen, und es iſt „vielmal fuͤr einen Theil der Partheyen von ſchlim- „men Folgen. Durch die Kunſt zu beſtechen er- „leichtern wir unſerm Richter dieſe Unbequemlich- „keit des Gewiſſens.
„Jch verlange aber ſchlechterdings, daß man „ſolches als eine Kunſt anſehe, und ſehr vorſich- „tig dabey verfahre. Man muß die Geſchicklich- „keit beſitzen, die Gemuͤther der Menſchen, und, „in gegenwaͤrtigem Falle, die Leidenſchaften eines „Richters zu erforſchen. Kein Umſtand in ſeiner „Verwandſchaft, in ſeinem Hauſe iſt zu klein, den „man nicht ſorgfaͤltig bemerken und ſich zu Nutze „machen muͤßte. Der Angriff muß von der Sei- „te geſchehn, wo der Richter uns die Bloͤße giebt, „ſonſt wird er ſich vertheidigen, und der Gegner „wird ſich unſere Unvorſichtigkeit zu Nutze „machen.
Wie
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Satyriſche Briefe.
„wahren und eigentlichen Sinn der Geſetze ſeinem
„Richter deutlich zu machen, iſt die Kunſt, ihn
„zu beſtechen.
„Ein Richter wird noch immer, wenigſtens
„um die Formulare ſeines Amts zu beobachten, un-
„partheyiſch, und gewiſſenhaft thun. Jſt er noch
„nicht gar zu lange Richter, oder iſt er ſonſt von
„einer gemeinen und ſchlechten Erziehung: ſo wird
„er von Zeit zu Zeit etwas fuͤhlen, das ihm ſagt,
„es ſey unbillig, partheyiſch zu ſeyn. Dieſes
„Etwas nennt der Poͤbel Gewiſſen, und es iſt
„vielmal fuͤr einen Theil der Partheyen von ſchlim-
„men Folgen. Durch die Kunſt zu beſtechen er-
„leichtern wir unſerm Richter dieſe Unbequemlich-
„keit des Gewiſſens.
„Jch verlange aber ſchlechterdings, daß man
„ſolches als eine Kunſt anſehe, und ſehr vorſich-
„tig dabey verfahre. Man muß die Geſchicklich-
„keit beſitzen, die Gemuͤther der Menſchen, und,
„in gegenwaͤrtigem Falle, die Leidenſchaften eines
„Richters zu erforſchen. Kein Umſtand in ſeiner
„Verwandſchaft, in ſeinem Hauſe iſt zu klein, den
„man nicht ſorgfaͤltig bemerken und ſich zu Nutze
„machen muͤßte. Der Angriff muß von der Sei-
„te geſchehn, wo der Richter uns die Bloͤße giebt,
„ſonſt wird er ſich vertheidigen, und der Gegner
„wird ſich unſere Unvorſichtigkeit zu Nutze
„machen.
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/87>, abgerufen am 23.11.2024.
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