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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

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Satyrische Briefe.
aber desto nöthiger ist es, sie sorgfältig zuzureiten.
Ein träges unedles Pferd braucht diese Bemühung
nicht; aber es ist auch nur für den Pflug ge-
bohren.

Exemplum.

Wer war größer, als Dionysius, der zweyte,
da er noch Tyrann, und das Schrecken von Si-
cilien war? Das widrige Glück konnte ihm den
Thron nehmen, aber niemals die Begierde, der
Welt zu nutzen. So groß er gewesen war, so
wenig schämte er sich doch, die griechische Jugend
zu lehren, und mit der Hand, womit er ganze
Länder zerstört hatte, mit eben der Hand suchte er
die Kinder der Corinthier zur Weisheit zu führen.

Testimo-
nium.

Wie unglücklich diejenigen sind, so die Zucht
ihrer Kinder verabsäumen, das beweisen die trau-
rigen Folgen, welche zuerst ihre eignen Familien
empfinden, und welche nach diesen das ganze ge-
meine Wesen treffen. Diese unglücklichen Aeltern
möchten sich wohl lassen vom Homer zurufen:

Aith' ophelon agamos t' emenai, agonos t' apo-
lesthai.

Epilogus.

Sie sehn hieraus deutlich, Hochedelgebohrne
Frau, wie nöthig es ist, daß E. E. Wohlw.
Rath dieser Stadt das erledigte Schulrechtorat
ungesäumt besetze, und mit einem Manne besetze,
dessen Standhaftigkeit, dessen Fleiß, dessen Treue,
dessen Ansehn, dessen Gelehrsamkeit, dessen weise

Ein-

Satyriſche Briefe.
aber deſto noͤthiger iſt es, ſie ſorgfaͤltig zuzureiten.
Ein traͤges unedles Pferd braucht dieſe Bemuͤhung
nicht; aber es iſt auch nur fuͤr den Pflug ge-
bohren.

Exemplum.

Wer war groͤßer, als Dionyſius, der zweyte,
da er noch Tyrann, und das Schrecken von Si-
cilien war? Das widrige Gluͤck konnte ihm den
Thron nehmen, aber niemals die Begierde, der
Welt zu nutzen. So groß er geweſen war, ſo
wenig ſchaͤmte er ſich doch, die griechiſche Jugend
zu lehren, und mit der Hand, womit er ganze
Laͤnder zerſtoͤrt hatte, mit eben der Hand ſuchte er
die Kinder der Corinthier zur Weisheit zu fuͤhren.

Teſtimo-
nium.

Wie ungluͤcklich diejenigen ſind, ſo die Zucht
ihrer Kinder verabſaͤumen, das beweiſen die trau-
rigen Folgen, welche zuerſt ihre eignen Familien
empfinden, und welche nach dieſen das ganze ge-
meine Weſen treffen. Dieſe ungluͤcklichen Aeltern
moͤchten ſich wohl laſſen vom Homer zurufen:

Ἀιϑ᾽ ὀφελον ἀγαμος τ᾽ ἐμεναι, ἀγονος τ᾽ ἀπο-
λεσϑαι.

Epilogus.

Sie ſehn hieraus deutlich, Hochedelgebohrne
Frau, wie noͤthig es iſt, daß E. E. Wohlw.
Rath dieſer Stadt das erledigte Schulrechtorat
ungeſaͤumt beſetze, und mit einem Manne beſetze,
deſſen Standhaftigkeit, deſſen Fleiß, deſſen Treue,
deſſen Anſehn, deſſen Gelehrſamkeit, deſſen weiſe

Ein-
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[54/0082] Satyriſche Briefe. aber deſto noͤthiger iſt es, ſie ſorgfaͤltig zuzureiten. Ein traͤges unedles Pferd braucht dieſe Bemuͤhung nicht; aber es iſt auch nur fuͤr den Pflug ge- bohren. Wer war groͤßer, als Dionyſius, der zweyte, da er noch Tyrann, und das Schrecken von Si- cilien war? Das widrige Gluͤck konnte ihm den Thron nehmen, aber niemals die Begierde, der Welt zu nutzen. So groß er geweſen war, ſo wenig ſchaͤmte er ſich doch, die griechiſche Jugend zu lehren, und mit der Hand, womit er ganze Laͤnder zerſtoͤrt hatte, mit eben der Hand ſuchte er die Kinder der Corinthier zur Weisheit zu fuͤhren. Wie ungluͤcklich diejenigen ſind, ſo die Zucht ihrer Kinder verabſaͤumen, das beweiſen die trau- rigen Folgen, welche zuerſt ihre eignen Familien empfinden, und welche nach dieſen das ganze ge- meine Weſen treffen. Dieſe ungluͤcklichen Aeltern moͤchten ſich wohl laſſen vom Homer zurufen: Ἀιϑ᾽ ὀφελον ἀγαμος τ᾽ ἐμεναι, ἀγονος τ᾽ ἀπο- λεσϑαι. Sie ſehn hieraus deutlich, Hochedelgebohrne Frau, wie noͤthig es iſt, daß E. E. Wohlw. Rath dieſer Stadt das erledigte Schulrechtorat ungeſaͤumt beſetze, und mit einem Manne beſetze, deſſen Standhaftigkeit, deſſen Fleiß, deſſen Treue, deſſen Anſehn, deſſen Gelehrſamkeit, deſſen weiſe Ein-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/82>, abgerufen am 27.11.2024.