"Bey Vernünftigen ist es eine der vornehm- "sten Regeln in der Freundschaft, daß "man Niemanden zu seinem vertrauten "Freunde wähle, dessen Charakter, dessen Fehler "und Tugenden man nicht vorher sorgfältig ge- "prüft hat. Man behält zwar stets die Freyheit, "sich von seinem Umgange zurück zu ziehen, wenn "man findet, daß er die Hoffnung nicht erfüllt, "die man sich von seiner Aufrichtigkeit gemacht "hat; allein der Vorwurf ist dennoch bitter, und "unsrer eignen Ruhe nachtheilig, wenn wir er- "fahren müssen, daß wir zu leichtgläubig, oder "doch nicht vorsichtig genug gewesen sind.
"Jch habe mich vielmal gewundert, wie es "kommen müsse, daß man bey dem Heirathen, "bey dieser wichtigsten, und fast unzertrennlichen "Art der Freundschaft, so wenig Sorgfalt bezeigt, "vernünftig zu wählen. Es wäre diese Vorsicht "besonders um deswillen sehr nöthig, da gemei- "niglich von beiden Theilen alle Sorgfalt ange- "wendet wird, einander zu hintergehn, und seine "Fehler zu verbergen. Unsre Vorfahren haben "in gewissen Handlungen drey Hauptmängel fest- "gesetzt, welche den Kauf ungültig machen, wenn "sie verschwiegen worden sind. Sollte der Eh- "stand nicht wichtig genug seyn, daß man ihrer "auch wenigstens drey festsetzte, durch welche die
Ver-
Satyriſche Briefe.
„Bey Vernuͤnftigen iſt es eine der vornehm- „ſten Regeln in der Freundſchaft, daß „man Niemanden zu ſeinem vertrauten „Freunde waͤhle, deſſen Charakter, deſſen Fehler „und Tugenden man nicht vorher ſorgfaͤltig ge- „pruͤft hat. Man behaͤlt zwar ſtets die Freyheit, „ſich von ſeinem Umgange zuruͤck zu ziehen, wenn „man findet, daß er die Hoffnung nicht erfuͤllt, „die man ſich von ſeiner Aufrichtigkeit gemacht „hat; allein der Vorwurf iſt dennoch bitter, und „unſrer eignen Ruhe nachtheilig, wenn wir er- „fahren muͤſſen, daß wir zu leichtglaͤubig, oder „doch nicht vorſichtig genug geweſen ſind.
„Jch habe mich vielmal gewundert, wie es „kommen muͤſſe, daß man bey dem Heirathen, „bey dieſer wichtigſten, und faſt unzertrennlichen „Art der Freundſchaft, ſo wenig Sorgfalt bezeigt, „vernuͤnftig zu waͤhlen. Es waͤre dieſe Vorſicht „beſonders um deswillen ſehr noͤthig, da gemei- „niglich von beiden Theilen alle Sorgfalt ange- „wendet wird, einander zu hintergehn, und ſeine „Fehler zu verbergen. Unſre Vorfahren haben „in gewiſſen Handlungen drey Hauptmaͤngel feſt- „geſetzt, welche den Kauf unguͤltig machen, wenn „ſie verſchwiegen worden ſind. Sollte der Eh- „ſtand nicht wichtig genug ſeyn, daß man ihrer „auch wenigſtens drey feſtſetzte, durch welche die
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Satyriſche Briefe.
„Bey Vernuͤnftigen iſt es eine der vornehm-
„ſten Regeln in der Freundſchaft, daß
„man Niemanden zu ſeinem vertrauten
„Freunde waͤhle, deſſen Charakter, deſſen Fehler
„und Tugenden man nicht vorher ſorgfaͤltig ge-
„pruͤft hat. Man behaͤlt zwar ſtets die Freyheit,
„ſich von ſeinem Umgange zuruͤck zu ziehen, wenn
„man findet, daß er die Hoffnung nicht erfuͤllt,
„die man ſich von ſeiner Aufrichtigkeit gemacht
„hat; allein der Vorwurf iſt dennoch bitter, und
„unſrer eignen Ruhe nachtheilig, wenn wir er-
„fahren muͤſſen, daß wir zu leichtglaͤubig, oder
„doch nicht vorſichtig genug geweſen ſind.
„Jch habe mich vielmal gewundert, wie es
„kommen muͤſſe, daß man bey dem Heirathen,
„bey dieſer wichtigſten, und faſt unzertrennlichen
„Art der Freundſchaft, ſo wenig Sorgfalt bezeigt,
„vernuͤnftig zu waͤhlen. Es waͤre dieſe Vorſicht
„beſonders um deswillen ſehr noͤthig, da gemei-
„niglich von beiden Theilen alle Sorgfalt ange-
„wendet wird, einander zu hintergehn, und ſeine
„Fehler zu verbergen. Unſre Vorfahren haben
„in gewiſſen Handlungen drey Hauptmaͤngel feſt-
„geſetzt, welche den Kauf unguͤltig machen, wenn
„ſie verſchwiegen worden ſind. Sollte der Eh-
„ſtand nicht wichtig genug ſeyn, daß man ihrer
„auch wenigſtens drey feſtſetzte, durch welche die
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/352>, abgerufen am 23.11.2024.
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