Hätte ich diesen ungeschickten und pedantischen Brief etliche Jahre eher bekommen: so würde ich ihn gewiß, ohne mich lang zu besinnen, unter den Tisch geschmissen haben. Jtzt war ich gedemüthiget genug, daß ich ihn zweymal durchlas, und un- schlüssig blieb, was ich thun wollte. Die Ge- lübde, mich niemals zu verheirathen, fieng nach und nach an, mich zu gereuen. Mein Vater lag mir alle Tage in den Ohren, und er hätte, glau- be ich, lieber gesehn, ich wäre selbst auf die Hei- rath ausgegangen. Jch wies ihm den Brief. Er gestund, der Herr Advocatus immatriculatus sey ein Narr, er meynte aber auch, daß ich nicht die erste, und nicht die letzte Frau seyn würde, die einen Narren heirathe. Es kostete mich viel Ue- berwindung, und doch war ich im Begriffe, auf Befehl meines Vaters diesem geschäfftigen Liebha- ber Hoffnung zu geben, als ich, vielleicht zu mei- nem Glücke, noch bey Zeiten erfuhr, daß eine Magd, mit der er auf Universitäten zu vertraut gelebt haben mochte, ihn auf die Ehe verklagen wollte. Jch war bey allen meinem Unglücke noch immer boshaft genug, mich darüber zu freuen, und ich ergriff diesen Vorwand mit beiden Händen, mich von ihm loszureißen, und mit meiner gewöhn- lichen Bitterkeit ihm also zu antworten.
Mein Herr,
"Was Dieselben in höchster Eil mir wegen der "legalen, und in allen Rechten gegründeten
Gesin-
Satyriſche Briefe.
Haͤtte ich dieſen ungeſchickten und pedantiſchen Brief etliche Jahre eher bekommen: ſo wuͤrde ich ihn gewiß, ohne mich lang zu beſinnen, unter den Tiſch geſchmiſſen haben. Jtzt war ich gedemuͤthiget genug, daß ich ihn zweymal durchlas, und un- ſchluͤſſig blieb, was ich thun wollte. Die Ge- luͤbde, mich niemals zu verheirathen, fieng nach und nach an, mich zu gereuen. Mein Vater lag mir alle Tage in den Ohren, und er haͤtte, glau- be ich, lieber geſehn, ich waͤre ſelbſt auf die Hei- rath ausgegangen. Jch wies ihm den Brief. Er geſtund, der Herr Advocatus immatriculatus ſey ein Narr, er meynte aber auch, daß ich nicht die erſte, und nicht die letzte Frau ſeyn wuͤrde, die einen Narren heirathe. Es koſtete mich viel Ue- berwindung, und doch war ich im Begriffe, auf Befehl meines Vaters dieſem geſchaͤfftigen Liebha- ber Hoffnung zu geben, als ich, vielleicht zu mei- nem Gluͤcke, noch bey Zeiten erfuhr, daß eine Magd, mit der er auf Univerſitaͤten zu vertraut gelebt haben mochte, ihn auf die Ehe verklagen wollte. Jch war bey allen meinem Ungluͤcke noch immer boshaft genug, mich daruͤber zu freuen, und ich ergriff dieſen Vorwand mit beiden Haͤnden, mich von ihm loszureißen, und mit meiner gewoͤhn- lichen Bitterkeit ihm alſo zu antworten.
Mein Herr,
„Was Dieſelben in hoͤchſter Eil mir wegen der „legalen, und in allen Rechten gegruͤndeten
Geſin-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0242"n="214"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Satyriſche Briefe.</hi></fw><lb/><p>Haͤtte ich dieſen ungeſchickten und pedantiſchen<lb/>
Brief etliche Jahre eher bekommen: ſo wuͤrde ich<lb/>
ihn gewiß, ohne mich lang zu beſinnen, unter den<lb/>
Tiſch geſchmiſſen haben. Jtzt war ich gedemuͤthiget<lb/>
genug, daß ich ihn zweymal durchlas, und un-<lb/>ſchluͤſſig blieb, was ich thun wollte. Die Ge-<lb/>
luͤbde, mich niemals zu verheirathen, fieng nach<lb/>
und nach an, mich zu gereuen. Mein Vater lag<lb/>
mir alle Tage in den Ohren, und er haͤtte, glau-<lb/>
be ich, lieber geſehn, ich waͤre ſelbſt auf die Hei-<lb/>
rath ausgegangen. Jch wies ihm den Brief. Er<lb/>
geſtund, der Herr <hirendition="#aq">Advocatus immatriculatus</hi><lb/>ſey ein Narr, er meynte aber auch, daß ich nicht<lb/>
die erſte, und nicht die letzte Frau ſeyn wuͤrde, die<lb/>
einen Narren heirathe. Es koſtete mich viel Ue-<lb/>
berwindung, und doch war ich im Begriffe, auf<lb/>
Befehl meines Vaters dieſem geſchaͤfftigen Liebha-<lb/>
ber Hoffnung zu geben, als ich, vielleicht zu mei-<lb/>
nem Gluͤcke, noch bey Zeiten erfuhr, daß eine<lb/>
Magd, mit der er auf Univerſitaͤten zu vertraut<lb/>
gelebt haben mochte, ihn auf die Ehe verklagen<lb/>
wollte. Jch war bey allen meinem Ungluͤcke noch<lb/>
immer boshaft genug, mich daruͤber zu freuen, und<lb/>
ich ergriff dieſen Vorwand mit beiden Haͤnden,<lb/>
mich von ihm loszureißen, und mit meiner gewoͤhn-<lb/>
lichen Bitterkeit ihm alſo zu antworten.</p><lb/><floatingText><body><divtype="letter"><salute><hirendition="#et"><hirendition="#fr">Mein Herr,</hi></hi></salute><lb/><p>„<hirendition="#in">W</hi>as Dieſelben in hoͤchſter Eil mir wegen der<lb/>„legalen, und in allen Rechten gegruͤndeten<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Geſin-</fw><lb/></p></div></body></floatingText></div></body></text></TEI>
[214/0242]
Satyriſche Briefe.
Haͤtte ich dieſen ungeſchickten und pedantiſchen
Brief etliche Jahre eher bekommen: ſo wuͤrde ich
ihn gewiß, ohne mich lang zu beſinnen, unter den
Tiſch geſchmiſſen haben. Jtzt war ich gedemuͤthiget
genug, daß ich ihn zweymal durchlas, und un-
ſchluͤſſig blieb, was ich thun wollte. Die Ge-
luͤbde, mich niemals zu verheirathen, fieng nach
und nach an, mich zu gereuen. Mein Vater lag
mir alle Tage in den Ohren, und er haͤtte, glau-
be ich, lieber geſehn, ich waͤre ſelbſt auf die Hei-
rath ausgegangen. Jch wies ihm den Brief. Er
geſtund, der Herr Advocatus immatriculatus
ſey ein Narr, er meynte aber auch, daß ich nicht
die erſte, und nicht die letzte Frau ſeyn wuͤrde, die
einen Narren heirathe. Es koſtete mich viel Ue-
berwindung, und doch war ich im Begriffe, auf
Befehl meines Vaters dieſem geſchaͤfftigen Liebha-
ber Hoffnung zu geben, als ich, vielleicht zu mei-
nem Gluͤcke, noch bey Zeiten erfuhr, daß eine
Magd, mit der er auf Univerſitaͤten zu vertraut
gelebt haben mochte, ihn auf die Ehe verklagen
wollte. Jch war bey allen meinem Ungluͤcke noch
immer boshaft genug, mich daruͤber zu freuen, und
ich ergriff dieſen Vorwand mit beiden Haͤnden,
mich von ihm loszureißen, und mit meiner gewoͤhn-
lichen Bitterkeit ihm alſo zu antworten.
Mein Herr,
„Was Dieſelben in hoͤchſter Eil mir wegen der
„legalen, und in allen Rechten gegruͤndeten
Geſin-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/242>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.