"N. S. Sie werden nicht nöthig haben, mir oder "meinem Vater zu antworten. Er denkt "itzt an nichts, als an den Tod seiner seligen "Frau."
Und was meynen Sie wohl, mein Herr, in welcher Absicht ich diesen Brief schrieb? Jch woll- te meinem alten Liebhaber ein freywilliges Opfer bringen. Aus diesem Entschlusse, den ich wider den Rath und Willen meines Vaters faßte, sollte er urtheilen, wie beständig meine Liebe, und wie billig es von ihm sey, diese nunmehr zu belohnen, da er in den Stand gekommen, es nach seinem und meinem Wunsche zu thun. Mit der nächsten Post schrieb ich ihm diesen Brief.
Mein Herr,
"Können Sie wohl von mir itzt was anders "erwarten, als die bittersten Vorwürfe? "Gewiß, Sie haben sie verdient, hundertmal ver- "dient, und dieses itzt mehr, als iemals. Erst "sind Sie grausam und werden krank, um mich "ein ganzes Jahr zu ängstigen. Endlich werden "Sie wieder gesund, aber nicht zu meiner Beru- "higung; nein, um mich auf eine neue Art zu "qvälen. Sie verreisen, ohne mich es wissen zu "lassen, ohne mir zu erlauben, daß ich Jhnen bey "dem Abschiede die zärtlichste Versichrung meiner
"Freund-
Satyriſche Briefe.
„N. S. Sie werden nicht noͤthig haben, mir oder „meinem Vater zu antworten. Er denkt „itzt an nichts, als an den Tod ſeiner ſeligen „Frau.„
Und was meynen Sie wohl, mein Herr, in welcher Abſicht ich dieſen Brief ſchrieb? Jch woll- te meinem alten Liebhaber ein freywilliges Opfer bringen. Aus dieſem Entſchluſſe, den ich wider den Rath und Willen meines Vaters faßte, ſollte er urtheilen, wie beſtaͤndig meine Liebe, und wie billig es von ihm ſey, dieſe nunmehr zu belohnen, da er in den Stand gekommen, es nach ſeinem und meinem Wunſche zu thun. Mit der naͤchſten Poſt ſchrieb ich ihm dieſen Brief.
Mein Herr,
„Koͤnnen Sie wohl von mir itzt was anders „erwarten, als die bitterſten Vorwuͤrfe? „Gewiß, Sie haben ſie verdient, hundertmal ver- „dient, und dieſes itzt mehr, als iemals. Erſt „ſind Sie grauſam und werden krank, um mich „ein ganzes Jahr zu aͤngſtigen. Endlich werden „Sie wieder geſund, aber nicht zu meiner Beru- „higung; nein, um mich auf eine neue Art zu „qvaͤlen. Sie verreiſen, ohne mich es wiſſen zu „laſſen, ohne mir zu erlauben, daß ich Jhnen bey „dem Abſchiede die zaͤrtlichſte Verſichrung meiner
„Freund-
<TEI><text><body><divn="1"><floatingText><body><divtype="letter"><pbfacs="#f0232"n="204"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Satyriſche Briefe.</hi></fw><lb/><postscript><p>„N. S. Sie werden nicht noͤthig haben, mir oder<lb/>„meinem Vater zu antworten. Er denkt<lb/>„itzt an nichts, als an den Tod ſeiner ſeligen<lb/>„Frau.„</p></postscript></div></body></floatingText><lb/><p>Und was meynen Sie wohl, mein Herr, in<lb/>
welcher Abſicht ich dieſen Brief ſchrieb? Jch woll-<lb/>
te meinem alten Liebhaber ein freywilliges Opfer<lb/>
bringen. Aus dieſem Entſchluſſe, den ich wider<lb/>
den Rath und Willen meines Vaters faßte, ſollte<lb/>
er urtheilen, wie beſtaͤndig meine Liebe, und wie<lb/>
billig es von ihm ſey, dieſe nunmehr zu belohnen,<lb/>
da er in den Stand gekommen, es nach ſeinem<lb/>
und meinem Wunſche zu thun. Mit der naͤchſten<lb/>
Poſt ſchrieb ich ihm dieſen Brief.</p><lb/><floatingText><body><divtype="letter"><salute><hirendition="#et"><hirendition="#fr">Mein Herr,</hi></hi></salute><lb/><p>„<hirendition="#in">K</hi>oͤnnen Sie wohl von mir itzt was anders<lb/>„erwarten, als die bitterſten Vorwuͤrfe?<lb/>„Gewiß, Sie haben ſie verdient, hundertmal ver-<lb/>„dient, und dieſes itzt mehr, als iemals. Erſt<lb/>„ſind Sie grauſam und werden krank, um mich<lb/>„ein ganzes Jahr zu aͤngſtigen. Endlich werden<lb/>„Sie wieder geſund, aber nicht zu meiner Beru-<lb/>„higung; nein, um mich auf eine neue Art zu<lb/>„qvaͤlen. Sie verreiſen, ohne mich es wiſſen zu<lb/>„laſſen, ohne mir zu erlauben, daß ich Jhnen bey<lb/>„dem Abſchiede die zaͤrtlichſte Verſichrung meiner<lb/><fwplace="bottom"type="catch">„Freund-</fw><lb/></p></div></body></floatingText></div></body></text></TEI>
[204/0232]
Satyriſche Briefe.
„N. S. Sie werden nicht noͤthig haben, mir oder
„meinem Vater zu antworten. Er denkt
„itzt an nichts, als an den Tod ſeiner ſeligen
„Frau.„
Und was meynen Sie wohl, mein Herr, in
welcher Abſicht ich dieſen Brief ſchrieb? Jch woll-
te meinem alten Liebhaber ein freywilliges Opfer
bringen. Aus dieſem Entſchluſſe, den ich wider
den Rath und Willen meines Vaters faßte, ſollte
er urtheilen, wie beſtaͤndig meine Liebe, und wie
billig es von ihm ſey, dieſe nunmehr zu belohnen,
da er in den Stand gekommen, es nach ſeinem
und meinem Wunſche zu thun. Mit der naͤchſten
Poſt ſchrieb ich ihm dieſen Brief.
Mein Herr,
„Koͤnnen Sie wohl von mir itzt was anders
„erwarten, als die bitterſten Vorwuͤrfe?
„Gewiß, Sie haben ſie verdient, hundertmal ver-
„dient, und dieſes itzt mehr, als iemals. Erſt
„ſind Sie grauſam und werden krank, um mich
„ein ganzes Jahr zu aͤngſtigen. Endlich werden
„Sie wieder geſund, aber nicht zu meiner Beru-
„higung; nein, um mich auf eine neue Art zu
„qvaͤlen. Sie verreiſen, ohne mich es wiſſen zu
„laſſen, ohne mir zu erlauben, daß ich Jhnen bey
„dem Abſchiede die zaͤrtlichſte Verſichrung meiner
„Freund-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/232>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.