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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

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Satyrische Briefe.
mer auswendig zu lernen? Für einen Mann, der die
Welt kennt, wie Sie, schreiben Sie wirklich zu pe-
dantisch. Jhr Candidat mag ein ehrlicher Mann
seyn, ich glaube es, vielleicht würde er auch in
Deutschland ein großer und angesehner Mann ge-
wesen seyn, wenn er zu Hermanns Zeiten gelebt hät-
te; aber was soll man itzt aus ihm machen? Wie sa-
tyrisch sind Sie, wenn Sie sagen, daß ein gelehrter,
ein ehrlicher, und ein arbeitsamer Mann so sehr ge-
schätzt, und so sorgfältig gesucht werde! Gestehn Sie
es nur, Sie sind ein wenig boshaft, und Jhre Lebhaf-
tigkeit verleitet Sie zuweilen so weit, daß Sie Sich
vergessen, und Sachen sagen, die Jhnen bey Jhren
Collegen nicht viel Ehre machen würden, wenn Sie
sollten gedruckt werden. So ein frommer und bil-
liger Schösser würde mir meine Unterthanen in kur-
zer Zeit zu muthig werden lassen. Der Bauer
fühlt sich, er schwillt, so bald er mehr als einen
Kittel hat. Rustica gens, optima flens, et
pessima ridens!
Sehn Sie, Herr Doctor, daß
ein alter Kammerjunker auch noch Latein versteht,
so gut wie ein Professor? Mit einem Worte, ich
habe für Jhren Candidaten alle die Hochachtung,
die man für eine altvätrische Tugend hat; aber
brauchen kann ich ihn zu nichts. Kann ich ihm
ausserdem dienen, so soll es mit Vergnügen gesche-
hen. Zween Tage vorher, ehe ich Jhren Brief
erhielt, hatte ich mich schon mit einem neuen Schös-
ser versehen. Er ist noch sehr jung, er versteht
gar nichts; aber er wagt es, mir tausend Thaler

vor-

Satyriſche Briefe.
mer auswendig zu lernen? Fuͤr einen Mann, der die
Welt kennt, wie Sie, ſchreiben Sie wirklich zu pe-
dantiſch. Jhr Candidat mag ein ehrlicher Mann
ſeyn, ich glaube es, vielleicht wuͤrde er auch in
Deutſchland ein großer und angeſehner Mann ge-
weſen ſeyn, wenn er zu Hermanns Zeiten gelebt haͤt-
te; aber was ſoll man itzt aus ihm machen? Wie ſa-
tyriſch ſind Sie, wenn Sie ſagen, daß ein gelehrter,
ein ehrlicher, und ein arbeitſamer Mann ſo ſehr ge-
ſchaͤtzt, und ſo ſorgfaͤltig geſucht werde! Geſtehn Sie
es nur, Sie ſind ein wenig boshaft, und Jhre Lebhaf-
tigkeit verleitet Sie zuweilen ſo weit, daß Sie Sich
vergeſſen, und Sachen ſagen, die Jhnen bey Jhren
Collegen nicht viel Ehre machen wuͤrden, wenn Sie
ſollten gedruckt werden. So ein frommer und bil-
liger Schoͤſſer wuͤrde mir meine Unterthanen in kur-
zer Zeit zu muthig werden laſſen. Der Bauer
fuͤhlt ſich, er ſchwillt, ſo bald er mehr als einen
Kittel hat. Ruſtica gens, optima flens, et
peſſima ridens!
Sehn Sie, Herr Doctor, daß
ein alter Kammerjunker auch noch Latein verſteht,
ſo gut wie ein Profeſſor? Mit einem Worte, ich
habe fuͤr Jhren Candidaten alle die Hochachtung,
die man fuͤr eine altvaͤtriſche Tugend hat; aber
brauchen kann ich ihn zu nichts. Kann ich ihm
auſſerdem dienen, ſo ſoll es mit Vergnuͤgen geſche-
hen. Zween Tage vorher, ehe ich Jhren Brief
erhielt, hatte ich mich ſchon mit einem neuen Schoͤſ-
ſer verſehen. Er iſt noch ſehr jung, er verſteht
gar nichts; aber er wagt es, mir tauſend Thaler

vor-
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[168/0196] Satyriſche Briefe. mer auswendig zu lernen? Fuͤr einen Mann, der die Welt kennt, wie Sie, ſchreiben Sie wirklich zu pe- dantiſch. Jhr Candidat mag ein ehrlicher Mann ſeyn, ich glaube es, vielleicht wuͤrde er auch in Deutſchland ein großer und angeſehner Mann ge- weſen ſeyn, wenn er zu Hermanns Zeiten gelebt haͤt- te; aber was ſoll man itzt aus ihm machen? Wie ſa- tyriſch ſind Sie, wenn Sie ſagen, daß ein gelehrter, ein ehrlicher, und ein arbeitſamer Mann ſo ſehr ge- ſchaͤtzt, und ſo ſorgfaͤltig geſucht werde! Geſtehn Sie es nur, Sie ſind ein wenig boshaft, und Jhre Lebhaf- tigkeit verleitet Sie zuweilen ſo weit, daß Sie Sich vergeſſen, und Sachen ſagen, die Jhnen bey Jhren Collegen nicht viel Ehre machen wuͤrden, wenn Sie ſollten gedruckt werden. So ein frommer und bil- liger Schoͤſſer wuͤrde mir meine Unterthanen in kur- zer Zeit zu muthig werden laſſen. Der Bauer fuͤhlt ſich, er ſchwillt, ſo bald er mehr als einen Kittel hat. Ruſtica gens, optima flens, et peſſima ridens! Sehn Sie, Herr Doctor, daß ein alter Kammerjunker auch noch Latein verſteht, ſo gut wie ein Profeſſor? Mit einem Worte, ich habe fuͤr Jhren Candidaten alle die Hochachtung, die man fuͤr eine altvaͤtriſche Tugend hat; aber brauchen kann ich ihn zu nichts. Kann ich ihm auſſerdem dienen, ſo ſoll es mit Vergnuͤgen geſche- hen. Zween Tage vorher, ehe ich Jhren Brief erhielt, hatte ich mich ſchon mit einem neuen Schoͤſ- ſer verſehen. Er iſt noch ſehr jung, er verſteht gar nichts; aber er wagt es, mir tauſend Thaler vor-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/196>, abgerufen am 24.11.2024.