Er giebt sich Mühe zu vergessen, wer er gewe- sen ist, ungeachtet seine Aeltern sich dieses Sohns mehr zu schämen haben, als er sich seines Vaters zu schämen hat, welcher in Armut lebt, und ehr- lich ist. Er hat für gut angesehn, eine mittelmä- ßige Stadt zu seinem Aufenthalte zu wählen, um seine Verdienste desto merklicher zu machen. Das ist die Höhle, in welcher er die Beute verzehrt, die er in der umliegenden Gegend von etlichen Meilen zusammen raubt. Er hat so einträgliche Begriffe von der Amtspflicht, daß er gerecht ist, nur seinen Vortheil zu machen, und eben dieses Vortheils we- gen zu andrer Zeit die größten Ungerechtigkeiten be- geht. Der Hochmuth ist seine stärkste Leidenschaft, eine Leidenschaft, die immer diejenigen am meisten martert, welche die wenigsten Verdienste haben. Er erinnert sich noch, und sagt es allen denen, die es nöthig zu wissen haben, daß er vor zwanzig Jah- ren neben dem Minister auf dem Canapee gesessen hat. Er wiederholt diesen Umstand so oft als er merkt, daß man an seiner unumschränkten Gewalt zu schaden zweifelt. Ungeachtet dieses Hochmuths ist er noch immer niederträchtig genug, Geschenke zu fodern, wenn man ihm solche nicht so geschwind, als er wünscht, entgegen bringt. Er bestimmt selbst den Werth derselben, wenn er findet, daß sie für seine Partheylichkeit ein zu geringer Lohn sind. Es ist gefährlich, von dem Preise abzugehen, den er setzt. So vorsichtig ein andrer Richter ist, um zu verbergen, daß er sich habe bestechen lassen: so
mühsam
Satyriſche Briefe.
Er giebt ſich Muͤhe zu vergeſſen, wer er gewe- ſen iſt, ungeachtet ſeine Aeltern ſich dieſes Sohns mehr zu ſchaͤmen haben, als er ſich ſeines Vaters zu ſchaͤmen hat, welcher in Armut lebt, und ehr- lich iſt. Er hat fuͤr gut angeſehn, eine mittelmaͤ- ßige Stadt zu ſeinem Aufenthalte zu waͤhlen, um ſeine Verdienſte deſto merklicher zu machen. Das iſt die Hoͤhle, in welcher er die Beute verzehrt, die er in der umliegenden Gegend von etlichen Meilen zuſammen raubt. Er hat ſo eintraͤgliche Begriffe von der Amtspflicht, daß er gerecht iſt, nur ſeinen Vortheil zu machen, und eben dieſes Vortheils we- gen zu andrer Zeit die groͤßten Ungerechtigkeiten be- geht. Der Hochmuth iſt ſeine ſtaͤrkſte Leidenſchaft, eine Leidenſchaft, die immer diejenigen am meiſten martert, welche die wenigſten Verdienſte haben. Er erinnert ſich noch, und ſagt es allen denen, die es noͤthig zu wiſſen haben, daß er vor zwanzig Jah- ren neben dem Miniſter auf dem Canapee geſeſſen hat. Er wiederholt dieſen Umſtand ſo oft als er merkt, daß man an ſeiner unumſchraͤnkten Gewalt zu ſchaden zweifelt. Ungeachtet dieſes Hochmuths iſt er noch immer niedertraͤchtig genug, Geſchenke zu fodern, wenn man ihm ſolche nicht ſo geſchwind, als er wuͤnſcht, entgegen bringt. Er beſtimmt ſelbſt den Werth derſelben, wenn er findet, daß ſie fuͤr ſeine Partheylichkeit ein zu geringer Lohn ſind. Es iſt gefaͤhrlich, von dem Preiſe abzugehen, den er ſetzt. So vorſichtig ein andrer Richter iſt, um zu verbergen, daß er ſich habe beſtechen laſſen: ſo
muͤhſam
<TEI><text><body><divn="1"><floatingText><body><divtype="letter"><pbfacs="#f0174"n="146"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Satyriſche Briefe.</hi></fw><lb/><p>Er giebt ſich Muͤhe zu vergeſſen, wer er gewe-<lb/>ſen iſt, ungeachtet ſeine Aeltern ſich dieſes Sohns<lb/>
mehr zu ſchaͤmen haben, als er ſich ſeines Vaters<lb/>
zu ſchaͤmen hat, welcher in Armut lebt, und ehr-<lb/>
lich iſt. Er hat fuͤr gut angeſehn, eine mittelmaͤ-<lb/>
ßige Stadt zu ſeinem Aufenthalte zu waͤhlen, um<lb/>ſeine Verdienſte deſto merklicher zu machen. Das<lb/>
iſt die Hoͤhle, in welcher er die Beute verzehrt, die<lb/>
er in der umliegenden Gegend von etlichen Meilen<lb/>
zuſammen raubt. Er hat ſo eintraͤgliche Begriffe<lb/>
von der Amtspflicht, daß er gerecht iſt, nur ſeinen<lb/>
Vortheil zu machen, und eben dieſes Vortheils we-<lb/>
gen zu andrer Zeit die groͤßten Ungerechtigkeiten be-<lb/>
geht. Der Hochmuth iſt ſeine ſtaͤrkſte Leidenſchaft,<lb/>
eine Leidenſchaft, die immer diejenigen am meiſten<lb/>
martert, welche die wenigſten Verdienſte haben. Er<lb/>
erinnert ſich noch, und ſagt es allen denen, die es<lb/>
noͤthig zu wiſſen haben, daß er vor zwanzig Jah-<lb/>
ren neben dem Miniſter auf dem Canapee geſeſſen<lb/>
hat. Er wiederholt dieſen Umſtand ſo oft als er<lb/>
merkt, daß man an ſeiner unumſchraͤnkten Gewalt<lb/>
zu ſchaden zweifelt. Ungeachtet dieſes Hochmuths<lb/>
iſt er noch immer niedertraͤchtig genug, Geſchenke<lb/>
zu fodern, wenn man ihm ſolche nicht ſo geſchwind,<lb/>
als er wuͤnſcht, entgegen bringt. Er beſtimmt ſelbſt<lb/>
den Werth derſelben, wenn er findet, daß ſie fuͤr<lb/>ſeine Partheylichkeit ein zu geringer Lohn ſind.<lb/>
Es iſt gefaͤhrlich, von dem Preiſe abzugehen, den<lb/>
er ſetzt. So vorſichtig ein andrer Richter iſt, um<lb/>
zu verbergen, daß er ſich habe beſtechen laſſen: ſo<lb/><fwplace="bottom"type="catch">muͤhſam</fw><lb/></p></div></body></floatingText></div></body></text></TEI>
[146/0174]
Satyriſche Briefe.
Er giebt ſich Muͤhe zu vergeſſen, wer er gewe-
ſen iſt, ungeachtet ſeine Aeltern ſich dieſes Sohns
mehr zu ſchaͤmen haben, als er ſich ſeines Vaters
zu ſchaͤmen hat, welcher in Armut lebt, und ehr-
lich iſt. Er hat fuͤr gut angeſehn, eine mittelmaͤ-
ßige Stadt zu ſeinem Aufenthalte zu waͤhlen, um
ſeine Verdienſte deſto merklicher zu machen. Das
iſt die Hoͤhle, in welcher er die Beute verzehrt, die
er in der umliegenden Gegend von etlichen Meilen
zuſammen raubt. Er hat ſo eintraͤgliche Begriffe
von der Amtspflicht, daß er gerecht iſt, nur ſeinen
Vortheil zu machen, und eben dieſes Vortheils we-
gen zu andrer Zeit die groͤßten Ungerechtigkeiten be-
geht. Der Hochmuth iſt ſeine ſtaͤrkſte Leidenſchaft,
eine Leidenſchaft, die immer diejenigen am meiſten
martert, welche die wenigſten Verdienſte haben. Er
erinnert ſich noch, und ſagt es allen denen, die es
noͤthig zu wiſſen haben, daß er vor zwanzig Jah-
ren neben dem Miniſter auf dem Canapee geſeſſen
hat. Er wiederholt dieſen Umſtand ſo oft als er
merkt, daß man an ſeiner unumſchraͤnkten Gewalt
zu ſchaden zweifelt. Ungeachtet dieſes Hochmuths
iſt er noch immer niedertraͤchtig genug, Geſchenke
zu fodern, wenn man ihm ſolche nicht ſo geſchwind,
als er wuͤnſcht, entgegen bringt. Er beſtimmt ſelbſt
den Werth derſelben, wenn er findet, daß ſie fuͤr
ſeine Partheylichkeit ein zu geringer Lohn ſind.
Es iſt gefaͤhrlich, von dem Preiſe abzugehen, den
er ſetzt. So vorſichtig ein andrer Richter iſt, um
zu verbergen, daß er ſich habe beſtechen laſſen: ſo
muͤhſam
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/174>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.