"so wird er dennoch die Schuld seinem Richter "nicht beymessen, diesem frommen und unparthey- "ischen Manne, welcher aus großer Liebe zur Ge- "rechtigkeit nicht einmal einen Gulden hat anneh- "men wollen!
"Ausser diesem Geruche der Heiligkeit, den ich "mir bey tausend andern Fällen wohl zu Nutze "machen kann, habe ich auch diesen Vortheil, daß "der Reiche, wenn er von dem Armen meine Groß- "muth erfährt, seine Geschenke desto wichtiger "einrichten muß, wenn er nicht Gefahr laufen will, "auch abgewiesen zu werden. Nach den Regeln "der Proportion fällt es dem armen Bauer weit "schwerer, eine alte dürre Henne zu schenken, als "es seinem Edelmanne fällt, den ich durch meine "gerühmte Unpartheylichkeit nöthige, mir den be- "sten gemästeten Truthahn aufzuopfern. Da der "Arme so viel verliert, wenn er auch wenig schenkt: "so ist es ihm zu gute zu halten, wenn er seinem "kleinen Geschenke einen großen Werth beylegt, "und viel Gerechtigkeit dafür verlangt. Erlangt "er diese nicht, so glaubt er, berechtigt zu seyn, "es dem ganzen Dorfe zu klagen, wie himmel- "schreyend sein Richter verfährt, den er, nach sei- "ner Sprache zu reden, nicht satt und gerecht ma- "chen können, ob er ihm schon das Brod in den "Rachen gesteckt, welches er seinen armen Kindern "vom Tische genommen. Ein Reicher hingegen, "wenn er auch durch seine Geschenke den Endzweck
"nicht
Satyriſche Briefe.
„ſo wird er dennoch die Schuld ſeinem Richter „nicht beymeſſen, dieſem frommen und unparthey- „iſchen Manne, welcher aus großer Liebe zur Ge- „rechtigkeit nicht einmal einen Gulden hat anneh- „men wollen!
„Auſſer dieſem Geruche der Heiligkeit, den ich „mir bey tauſend andern Faͤllen wohl zu Nutze „machen kann, habe ich auch dieſen Vortheil, daß „der Reiche, wenn er von dem Armen meine Groß- „muth erfaͤhrt, ſeine Geſchenke deſto wichtiger „einrichten muß, wenn er nicht Gefahr laufen will, „auch abgewieſen zu werden. Nach den Regeln „der Proportion faͤllt es dem armen Bauer weit „ſchwerer, eine alte duͤrre Henne zu ſchenken, als „es ſeinem Edelmanne faͤllt, den ich durch meine „geruͤhmte Unpartheylichkeit noͤthige, mir den be- „ſten gemaͤſteten Truthahn aufzuopfern. Da der „Arme ſo viel verliert, wenn er auch wenig ſchenkt: „ſo iſt es ihm zu gute zu halten, wenn er ſeinem „kleinen Geſchenke einen großen Werth beylegt, „und viel Gerechtigkeit dafuͤr verlangt. Erlangt „er dieſe nicht, ſo glaubt er, berechtigt zu ſeyn, „es dem ganzen Dorfe zu klagen, wie himmel- „ſchreyend ſein Richter verfaͤhrt, den er, nach ſei- „ner Sprache zu reden, nicht ſatt und gerecht ma- „chen koͤnnen, ob er ihm ſchon das Brod in den „Rachen geſteckt, welches er ſeinen armen Kindern „vom Tiſche genommen. Ein Reicher hingegen, „wenn er auch durch ſeine Geſchenke den Endzweck
„nicht
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Satyriſche Briefe.
„ſo wird er dennoch die Schuld ſeinem Richter
„nicht beymeſſen, dieſem frommen und unparthey-
„iſchen Manne, welcher aus großer Liebe zur Ge-
„rechtigkeit nicht einmal einen Gulden hat anneh-
„men wollen!
„Auſſer dieſem Geruche der Heiligkeit, den ich
„mir bey tauſend andern Faͤllen wohl zu Nutze
„machen kann, habe ich auch dieſen Vortheil, daß
„der Reiche, wenn er von dem Armen meine Groß-
„muth erfaͤhrt, ſeine Geſchenke deſto wichtiger
„einrichten muß, wenn er nicht Gefahr laufen will,
„auch abgewieſen zu werden. Nach den Regeln
„der Proportion faͤllt es dem armen Bauer weit
„ſchwerer, eine alte duͤrre Henne zu ſchenken, als
„es ſeinem Edelmanne faͤllt, den ich durch meine
„geruͤhmte Unpartheylichkeit noͤthige, mir den be-
„ſten gemaͤſteten Truthahn aufzuopfern. Da der
„Arme ſo viel verliert, wenn er auch wenig ſchenkt:
„ſo iſt es ihm zu gute zu halten, wenn er ſeinem
„kleinen Geſchenke einen großen Werth beylegt,
„und viel Gerechtigkeit dafuͤr verlangt. Erlangt
„er dieſe nicht, ſo glaubt er, berechtigt zu ſeyn,
„es dem ganzen Dorfe zu klagen, wie himmel-
„ſchreyend ſein Richter verfaͤhrt, den er, nach ſei-
„ner Sprache zu reden, nicht ſatt und gerecht ma-
„chen koͤnnen, ob er ihm ſchon das Brod in den
„Rachen geſteckt, welches er ſeinen armen Kindern
„vom Tiſche genommen. Ein Reicher hingegen,
„wenn er auch durch ſeine Geſchenke den Endzweck
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/154>, abgerufen am 23.11.2024.
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