Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite
von den abgeschiednen Seelen.

Ein ängstliches Wimmern, welches ich nicht
weit von mir hinter einem dicken Gesträuche hörte,
machte mich aufmerksam. Jch eilte aus Mitleid
hinzu, weil ich gewiß glaubte, es müßte diese äch-
zende Seele ein großes Unglück betroffen haben.
Jch fand sie unter einer Buche liegen, in der Klei-
dung, wie die Dichter, und unsre Comödianten,
ihre Schäfer vorstellen. Er hielt einen Hirtenstab
in der Hand, an welchem ein grünes Band hieng,
welches er unter tausend Seufzern mit solcher Ent-
zückung küßte, daß er mich nicht eher gewahr ward,
als bis ich bey ihm stund. Endlich sah er mich mit
zerstörten Blicken an. Er sprang auf, fiel vor
mir nieder, umfaßte meine Knie. "Grausame!
"rief er; hast du dich doch endlich bewegen lassen?
"Jch sehe schon, anbetenswürdige Sylvia, ich sehe
"schon in deinen Augen das Mitleid, welches du ge-
"gen den unglückseligen Thyrsis hegst!

"Ach strenge Sylvia! warum verachtst du mich?
"Die Sonne brennt, und wirft die Stralen unter sich;
"Luft, Feld, und Erde brennt, die kühlen Steine brennen
"Von Flammen, die auch schon die jungen Lämmer kennen;
"Dein Thyrsis aber fühlt mehr, weder alle Pein;
"Und du alleine nur willst Schnee und Kälte seyn?
"So bald ich neulich dich, (du wirst es wohl noch wissen)

Du irrst dich mein Freund, sagte ich zu ihm, ich
bin nicht deine Sylvia, und dennoch - - - "Ja,
"verstelle dich nur, rief er mit einer rechten Schä-
"ferwut, verstelle dich nur, du mörderische Schö-
"ne! Freylich bist du nicht meine Sylvia! Me-
"nalks Sylvia bist du! Glückseliger Menalk!

"Ver-
von den abgeſchiednen Seelen.

Ein aͤngſtliches Wimmern, welches ich nicht
weit von mir hinter einem dicken Geſtraͤuche hoͤrte,
machte mich aufmerkſam. Jch eilte aus Mitleid
hinzu, weil ich gewiß glaubte, es muͤßte dieſe aͤch-
zende Seele ein großes Ungluͤck betroffen haben.
Jch fand ſie unter einer Buche liegen, in der Klei-
dung, wie die Dichter, und unſre Comoͤdianten,
ihre Schaͤfer vorſtellen. Er hielt einen Hirtenſtab
in der Hand, an welchem ein gruͤnes Band hieng,
welches er unter tauſend Seufzern mit ſolcher Ent-
zuͤckung kuͤßte, daß er mich nicht eher gewahr ward,
als bis ich bey ihm ſtund. Endlich ſah er mich mit
zerſtoͤrten Blicken an. Er ſprang auf, fiel vor
mir nieder, umfaßte meine Knie. „Grauſame!
„rief er; haſt du dich doch endlich bewegen laſſen?
„Jch ſehe ſchon, anbetenswuͤrdige Sylvia, ich ſehe
„ſchon in deinen Augen das Mitleid, welches du ge-
„gen den ungluͤckſeligen Thyrſis hegſt!

„Ach ſtrenge Sylvia! warum verachtſt du mich?
„Die Sonne brennt, und wirft die Stralen unter ſich;
„Luft, Feld, und Erde brennt, die kuͤhlen Steine brennen
„Von Flammen, die auch ſchon die jungen Laͤmmer kennen;
„Dein Thyrſis aber fuͤhlt mehr, weder alle Pein;
„Und du alleine nur willſt Schnee und Kaͤlte ſeyn?
„So bald ich neulich dich, (du wirſt es wohl noch wiſſen)

Du irrſt dich mein Freund, ſagte ich zu ihm, ich
bin nicht deine Sylvia, und dennoch ‒ ‒ ‒ „Ja,
„verſtelle dich nur, rief er mit einer rechten Schaͤ-
„ferwut, verſtelle dich nur, du moͤrderiſche Schoͤ-
„ne! Freylich biſt du nicht meine Sylvia! Me-
„nalks Sylvia biſt du! Gluͤckſeliger Menalk!

„Ver-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0061" n="61"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">von den abge&#x017F;chiednen Seelen.</hi> </fw><lb/>
        <p>Ein a&#x0364;ng&#x017F;tliches Wimmern, welches ich nicht<lb/>
weit von mir hinter einem dicken Ge&#x017F;tra&#x0364;uche ho&#x0364;rte,<lb/>
machte mich aufmerk&#x017F;am. Jch eilte aus Mitleid<lb/>
hinzu, weil ich gewiß glaubte, es mu&#x0364;ßte die&#x017F;e a&#x0364;ch-<lb/>
zende Seele ein großes Unglu&#x0364;ck betroffen haben.<lb/>
Jch fand &#x017F;ie unter einer Buche liegen, in der Klei-<lb/>
dung, wie die Dichter, und un&#x017F;re Como&#x0364;dianten,<lb/>
ihre Scha&#x0364;fer vor&#x017F;tellen. Er hielt einen Hirten&#x017F;tab<lb/>
in der Hand, an welchem ein gru&#x0364;nes Band hieng,<lb/>
welches er unter tau&#x017F;end Seufzern mit &#x017F;olcher Ent-<lb/>
zu&#x0364;ckung ku&#x0364;ßte, daß er mich nicht eher gewahr ward,<lb/>
als bis ich bey ihm &#x017F;tund. Endlich &#x017F;ah er mich mit<lb/>
zer&#x017F;to&#x0364;rten Blicken an. Er &#x017F;prang auf, fiel vor<lb/>
mir nieder, umfaßte meine Knie. &#x201E;Grau&#x017F;ame!<lb/>
&#x201E;rief er; ha&#x017F;t du dich doch endlich bewegen la&#x017F;&#x017F;en?<lb/>
&#x201E;Jch &#x017F;ehe &#x017F;chon, anbetenswu&#x0364;rdige Sylvia, ich &#x017F;ehe<lb/>
&#x201E;&#x017F;chon in deinen Augen das Mitleid, welches du ge-<lb/>
&#x201E;gen den unglu&#x0364;ck&#x017F;eligen Thyr&#x017F;is heg&#x017F;t!</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Ach &#x017F;trenge Sylvia! warum veracht&#x017F;t du mich?</l><lb/>
          <l>&#x201E;Die Sonne brennt, und wirft die Stralen unter &#x017F;ich;</l><lb/>
          <l>&#x201E;Luft, Feld, und Erde brennt, die ku&#x0364;hlen Steine brennen</l><lb/>
          <l>&#x201E;Von Flammen, die auch &#x017F;chon die jungen La&#x0364;mmer kennen;</l><lb/>
          <l>&#x201E;Dein Thyr&#x017F;is aber fu&#x0364;hlt mehr, weder alle Pein;</l><lb/>
          <l>&#x201E;Und du alleine nur will&#x017F;t Schnee und Ka&#x0364;lte &#x017F;eyn?</l><lb/>
          <l>&#x201E;So bald ich neulich dich, (du wir&#x017F;t es wohl noch wi&#x017F;&#x017F;en)</l>
        </lg><lb/>
        <p>Du irr&#x017F;t dich mein Freund, &#x017F;agte ich zu ihm, ich<lb/>
bin nicht deine Sylvia, und dennoch &#x2012; &#x2012; &#x2012; &#x201E;Ja,<lb/>
&#x201E;ver&#x017F;telle dich nur, rief er mit einer rechten Scha&#x0364;-<lb/>
&#x201E;ferwut, ver&#x017F;telle dich nur, du mo&#x0364;rderi&#x017F;che Scho&#x0364;-<lb/>
&#x201E;ne! Freylich bi&#x017F;t du nicht meine Sylvia! Me-<lb/>
&#x201E;nalks Sylvia bi&#x017F;t du! Glu&#x0364;ck&#x017F;eliger Menalk!<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Ver-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0061] von den abgeſchiednen Seelen. Ein aͤngſtliches Wimmern, welches ich nicht weit von mir hinter einem dicken Geſtraͤuche hoͤrte, machte mich aufmerkſam. Jch eilte aus Mitleid hinzu, weil ich gewiß glaubte, es muͤßte dieſe aͤch- zende Seele ein großes Ungluͤck betroffen haben. Jch fand ſie unter einer Buche liegen, in der Klei- dung, wie die Dichter, und unſre Comoͤdianten, ihre Schaͤfer vorſtellen. Er hielt einen Hirtenſtab in der Hand, an welchem ein gruͤnes Band hieng, welches er unter tauſend Seufzern mit ſolcher Ent- zuͤckung kuͤßte, daß er mich nicht eher gewahr ward, als bis ich bey ihm ſtund. Endlich ſah er mich mit zerſtoͤrten Blicken an. Er ſprang auf, fiel vor mir nieder, umfaßte meine Knie. „Grauſame! „rief er; haſt du dich doch endlich bewegen laſſen? „Jch ſehe ſchon, anbetenswuͤrdige Sylvia, ich ſehe „ſchon in deinen Augen das Mitleid, welches du ge- „gen den ungluͤckſeligen Thyrſis hegſt! „Ach ſtrenge Sylvia! warum verachtſt du mich? „Die Sonne brennt, und wirft die Stralen unter ſich; „Luft, Feld, und Erde brennt, die kuͤhlen Steine brennen „Von Flammen, die auch ſchon die jungen Laͤmmer kennen; „Dein Thyrſis aber fuͤhlt mehr, weder alle Pein; „Und du alleine nur willſt Schnee und Kaͤlte ſeyn? „So bald ich neulich dich, (du wirſt es wohl noch wiſſen) Du irrſt dich mein Freund, ſagte ich zu ihm, ich bin nicht deine Sylvia, und dennoch ‒ ‒ ‒ „Ja, „verſtelle dich nur, rief er mit einer rechten Schaͤ- „ferwut, verſtelle dich nur, du moͤrderiſche Schoͤ- „ne! Freylich biſt du nicht meine Sylvia! Me- „nalks Sylvia biſt du! Gluͤckſeliger Menalk! „Ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/61
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/61>, abgerufen am 23.11.2024.