Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

von den abgeschiednen Seelen.
guum - - - exiguum - - - quod sentio, quam
sit exiguum.
Vermuthlich mochte diese unum-
stößliche Wahrheit die Kräfte unsers Demosthenes
so sehr mitgenommen, oder auch der Anblick des
Cicero, welchen er sich ganz anders vorgestellt hat-
te, eine so große Verwirrung in seinem Gemüthe
verursacht haben. Er hielt eine lange Weile in-
nen, und ließ dem Cicero Zeit, sich von seiner Ver-
wunderung zu erholen, welcher von der ganzen An-
rede nicht ein Wort verstanden hatte, und seinen
Atticus fragte: Was dieses für eine Sprache sey?
Denn darauf wäre er wohl niemals gefallen, daß
dieses lateinisch seyn sollte, so fremd und unver-
nehmlich kam ihm die Aussprache vor. Endlich
erholte sich unser Redner, nachdem er seine Zuflucht
zum Huthe genommen, in welchem das Concept
lag. Er versicherte dem Cicero in dem feinsten und
in ciceronianischem Lateine, daß er und seine Ge-
sellschaft für Freuden außer sich wären, und diesen
Tag mit einem weißen Steine bezeichnen wollten,
an welchem sie das Glück gehabt, denjenigen ken-
nen zu lernen, welcher zu seiner Zeit das schönste
Latein geredet, und dessen Gelehrsamkeit ihnen zu
Erlangung der Leibesnahrung und Nothdurft dien-
lich gewesen wäre. Er rühmte besonders seine eig-
ne Wenigkeit, da er an den Schriften des Cicero
das Werk der Liebe und Barmherzigkeit erzeigt,
und sie in gegenwärtigem bequemen Formate durch
die kostbarsten und tiefsinnigsten Noten, durch
Sammlung aller nur ersinnlichen Lesarten, und
durch ein erstaunendes Register brauchbar, und

zugleich
D 2

von den abgeſchiednen Seelen.
guum ‒ ‒ ‒ exiguum ‒ ‒ ‒ quod ſentio, quam
ſit exiguum.
Vermuthlich mochte dieſe unum-
ſtoͤßliche Wahrheit die Kraͤfte unſers Demoſthenes
ſo ſehr mitgenommen, oder auch der Anblick des
Cicero, welchen er ſich ganz anders vorgeſtellt hat-
te, eine ſo große Verwirrung in ſeinem Gemuͤthe
verurſacht haben. Er hielt eine lange Weile in-
nen, und ließ dem Cicero Zeit, ſich von ſeiner Ver-
wunderung zu erholen, welcher von der ganzen An-
rede nicht ein Wort verſtanden hatte, und ſeinen
Atticus fragte: Was dieſes fuͤr eine Sprache ſey?
Denn darauf waͤre er wohl niemals gefallen, daß
dieſes lateiniſch ſeyn ſollte, ſo fremd und unver-
nehmlich kam ihm die Ausſprache vor. Endlich
erholte ſich unſer Redner, nachdem er ſeine Zuflucht
zum Huthe genommen, in welchem das Concept
lag. Er verſicherte dem Cicero in dem feinſten und
in ciceronianiſchem Lateine, daß er und ſeine Ge-
ſellſchaft fuͤr Freuden außer ſich waͤren, und dieſen
Tag mit einem weißen Steine bezeichnen wollten,
an welchem ſie das Gluͤck gehabt, denjenigen ken-
nen zu lernen, welcher zu ſeiner Zeit das ſchoͤnſte
Latein geredet, und deſſen Gelehrſamkeit ihnen zu
Erlangung der Leibesnahrung und Nothdurft dien-
lich geweſen waͤre. Er ruͤhmte beſonders ſeine eig-
ne Wenigkeit, da er an den Schriften des Cicero
das Werk der Liebe und Barmherzigkeit erzeigt,
und ſie in gegenwaͤrtigem bequemen Formate durch
die koſtbarſten und tiefſinnigſten Noten, durch
Sammlung aller nur erſinnlichen Lesarten, und
durch ein erſtaunendes Regiſter brauchbar, und

zugleich
D 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0051" n="51"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von den abge&#x017F;chiednen Seelen.</hi></fw><lb/><hi rendition="#aq">guum &#x2012; &#x2012; &#x2012; exiguum &#x2012; &#x2012; &#x2012; quod &#x017F;entio, quam<lb/>
&#x017F;it exiguum.</hi> Vermuthlich mochte die&#x017F;e unum-<lb/>
&#x017F;to&#x0364;ßliche Wahrheit die Kra&#x0364;fte un&#x017F;ers Demo&#x017F;thenes<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr mitgenommen, oder auch der Anblick des<lb/>
Cicero, welchen er &#x017F;ich ganz anders vorge&#x017F;tellt hat-<lb/>
te, eine &#x017F;o große Verwirrung in &#x017F;einem Gemu&#x0364;the<lb/>
verur&#x017F;acht haben. Er hielt eine lange Weile in-<lb/>
nen, und ließ dem Cicero Zeit, &#x017F;ich von &#x017F;einer Ver-<lb/>
wunderung zu erholen, welcher von der ganzen An-<lb/>
rede nicht ein Wort ver&#x017F;tanden hatte, und &#x017F;einen<lb/>
Atticus fragte: Was die&#x017F;es fu&#x0364;r eine Sprache &#x017F;ey?<lb/>
Denn darauf wa&#x0364;re er wohl niemals gefallen, daß<lb/>
die&#x017F;es lateini&#x017F;ch &#x017F;eyn &#x017F;ollte, &#x017F;o fremd und unver-<lb/>
nehmlich kam ihm die Aus&#x017F;prache vor. Endlich<lb/>
erholte &#x017F;ich un&#x017F;er Redner, nachdem er &#x017F;eine Zuflucht<lb/>
zum Huthe genommen, in welchem das Concept<lb/>
lag. Er ver&#x017F;icherte dem Cicero in dem fein&#x017F;ten und<lb/>
in ciceroniani&#x017F;chem Lateine, daß er und &#x017F;eine Ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft fu&#x0364;r Freuden außer &#x017F;ich wa&#x0364;ren, und die&#x017F;en<lb/>
Tag mit einem weißen Steine bezeichnen wollten,<lb/>
an welchem &#x017F;ie das Glu&#x0364;ck gehabt, denjenigen ken-<lb/>
nen zu lernen, welcher zu &#x017F;einer Zeit das &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te<lb/>
Latein geredet, und de&#x017F;&#x017F;en Gelehr&#x017F;amkeit ihnen zu<lb/>
Erlangung der Leibesnahrung und Nothdurft dien-<lb/>
lich gewe&#x017F;en wa&#x0364;re. Er ru&#x0364;hmte be&#x017F;onders &#x017F;eine eig-<lb/>
ne Wenigkeit, da er an den Schriften des Cicero<lb/>
das Werk der Liebe und Barmherzigkeit erzeigt,<lb/>
und &#x017F;ie in gegenwa&#x0364;rtigem bequemen Formate durch<lb/>
die ko&#x017F;tbar&#x017F;ten und tief&#x017F;innig&#x017F;ten Noten, durch<lb/>
Sammlung aller nur er&#x017F;innlichen Lesarten, und<lb/>
durch ein er&#x017F;taunendes Regi&#x017F;ter brauchbar, und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 2</fw><fw place="bottom" type="catch">zugleich</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0051] von den abgeſchiednen Seelen. guum ‒ ‒ ‒ exiguum ‒ ‒ ‒ quod ſentio, quam ſit exiguum. Vermuthlich mochte dieſe unum- ſtoͤßliche Wahrheit die Kraͤfte unſers Demoſthenes ſo ſehr mitgenommen, oder auch der Anblick des Cicero, welchen er ſich ganz anders vorgeſtellt hat- te, eine ſo große Verwirrung in ſeinem Gemuͤthe verurſacht haben. Er hielt eine lange Weile in- nen, und ließ dem Cicero Zeit, ſich von ſeiner Ver- wunderung zu erholen, welcher von der ganzen An- rede nicht ein Wort verſtanden hatte, und ſeinen Atticus fragte: Was dieſes fuͤr eine Sprache ſey? Denn darauf waͤre er wohl niemals gefallen, daß dieſes lateiniſch ſeyn ſollte, ſo fremd und unver- nehmlich kam ihm die Ausſprache vor. Endlich erholte ſich unſer Redner, nachdem er ſeine Zuflucht zum Huthe genommen, in welchem das Concept lag. Er verſicherte dem Cicero in dem feinſten und in ciceronianiſchem Lateine, daß er und ſeine Ge- ſellſchaft fuͤr Freuden außer ſich waͤren, und dieſen Tag mit einem weißen Steine bezeichnen wollten, an welchem ſie das Gluͤck gehabt, denjenigen ken- nen zu lernen, welcher zu ſeiner Zeit das ſchoͤnſte Latein geredet, und deſſen Gelehrſamkeit ihnen zu Erlangung der Leibesnahrung und Nothdurft dien- lich geweſen waͤre. Er ruͤhmte beſonders ſeine eig- ne Wenigkeit, da er an den Schriften des Cicero das Werk der Liebe und Barmherzigkeit erzeigt, und ſie in gegenwaͤrtigem bequemen Formate durch die koſtbarſten und tiefſinnigſten Noten, durch Sammlung aller nur erſinnlichen Lesarten, und durch ein erſtaunendes Regiſter brauchbar, und zugleich D 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/51
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/51>, abgerufen am 22.11.2024.