[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.Ein Traum gebens! Der Kaufmann schloß mit der größten Zu-friedenheit seine Casse auf. Er langte einen Beu- tel heraus, welcher wenigstens so wichtig war, als sechzehen Ahnen, und gieng im Triumphe davon. Nim- mermehr werde ich die Verzweiflung vergessen, wel- che unsre Seele von sich blicken ließ. Sie blieb ganz trostlos auf der Casse liegen. Sie umarmte dieselbe, und rief mit wimmernder Stimme einmal über das andre: O Levi! O Marx! Diese Angst gieng mir nahe. Jch wollte sie trösten. Jch woll- te mir von der Ursache ihres Kummers nähere Nach- richt geben lassen. Jch nahm sie freundlich bey der Hand, und sagte: "Geben sie mir doch - - - - - "Was! Geben! rief sie; ich bin selber ein armer un- "glücklicher Mann! Helf euch Gott! So ein großer "Bengel kann arbeiten! Geht ins Allmosen!" Diese Antwort verdroß mich; ich eilte davon. Jch bezeigte gegen meinen Führer wegen verschied- dessen
Ein Traum gebens! Der Kaufmann ſchloß mit der groͤßten Zu-friedenheit ſeine Caſſe auf. Er langte einen Beu- tel heraus, welcher wenigſtens ſo wichtig war, als ſechzehen Ahnen, und gieng im Triumphe davon. Nim- mermehr werde ich die Verzweiflung vergeſſen, wel- che unſre Seele von ſich blicken ließ. Sie blieb ganz troſtlos auf der Caſſe liegen. Sie umarmte dieſelbe, und rief mit wimmernder Stimme einmal uͤber das andre: O Levi! O Marx! Dieſe Angſt gieng mir nahe. Jch wollte ſie troͤſten. Jch woll- te mir von der Urſache ihres Kummers naͤhere Nach- richt geben laſſen. Jch nahm ſie freundlich bey der Hand, und ſagte: „Geben ſie mir doch ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ „Was! Geben! rief ſie; ich bin ſelber ein armer un- „gluͤcklicher Mann! Helf euch Gott! So ein großer „Bengel kann arbeiten! Geht ins Allmoſen!„ Dieſe Antwort verdroß mich; ich eilte davon. Jch bezeigte gegen meinen Fuͤhrer wegen verſchied- deſſen
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0046" n="46"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ein Traum</hi></fw><lb/> gebens! Der Kaufmann ſchloß mit der groͤßten Zu-<lb/> friedenheit ſeine Caſſe auf. Er langte einen Beu-<lb/> tel heraus, welcher wenigſtens ſo wichtig war, als<lb/> ſechzehen Ahnen, und gieng im Triumphe davon. Nim-<lb/> mermehr werde ich die Verzweiflung vergeſſen, wel-<lb/> che unſre Seele von ſich blicken ließ. Sie blieb<lb/> ganz troſtlos auf der Caſſe liegen. Sie umarmte<lb/> dieſelbe, und rief mit wimmernder Stimme einmal<lb/> uͤber das andre: O Levi! O Marx! Dieſe Angſt<lb/> gieng mir nahe. Jch wollte ſie troͤſten. Jch woll-<lb/> te mir von der Urſache ihres Kummers naͤhere Nach-<lb/> richt geben laſſen. Jch nahm ſie freundlich bey der<lb/> Hand, und ſagte: „Geben ſie mir doch ‒ ‒ ‒ ‒ ‒<lb/> „Was! Geben! rief ſie; ich bin ſelber ein armer un-<lb/> „gluͤcklicher Mann! Helf euch Gott! So ein großer<lb/> „Bengel kann arbeiten! Geht ins Allmoſen!„ Dieſe<lb/> Antwort verdroß mich; ich eilte davon.</p><lb/> <p>Jch bezeigte gegen meinen Fuͤhrer wegen verſchied-<lb/> ner Urſachen ein Verlangen, aus der Stadt, und<lb/> wieder an dem Orte zu ſeyn, wo wir uns vorher be-<lb/> funden hatten. Er war ſo gefaͤllig, mich ohne Wei-<lb/> gerung dahin zu begleiten. Wir ſtunden ſtill, und<lb/> ſahen uns um, ob wir irgendwo eine Seele in einer<lb/> Beſchaͤfftigung erblicken moͤchten, welche unſre Auf-<lb/> merkſamkeit verdiente. Jndem rief jemand hinter<lb/> mir mit einer gebieteriſchen Stimme: Vorſehn!<lb/> Jch ſprang auf die Seite, in der Meynung, es waͤ-<lb/> re vielleicht die abgeſchiedne Seele eines Saͤnften-<lb/> traͤgers. Wie groß war nicht meine Verwunde-<lb/> rung, als ich an deren Stelle einen Schatten ſahe,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">deſſen</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [46/0046]
Ein Traum
gebens! Der Kaufmann ſchloß mit der groͤßten Zu-
friedenheit ſeine Caſſe auf. Er langte einen Beu-
tel heraus, welcher wenigſtens ſo wichtig war, als
ſechzehen Ahnen, und gieng im Triumphe davon. Nim-
mermehr werde ich die Verzweiflung vergeſſen, wel-
che unſre Seele von ſich blicken ließ. Sie blieb
ganz troſtlos auf der Caſſe liegen. Sie umarmte
dieſelbe, und rief mit wimmernder Stimme einmal
uͤber das andre: O Levi! O Marx! Dieſe Angſt
gieng mir nahe. Jch wollte ſie troͤſten. Jch woll-
te mir von der Urſache ihres Kummers naͤhere Nach-
richt geben laſſen. Jch nahm ſie freundlich bey der
Hand, und ſagte: „Geben ſie mir doch ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
„Was! Geben! rief ſie; ich bin ſelber ein armer un-
„gluͤcklicher Mann! Helf euch Gott! So ein großer
„Bengel kann arbeiten! Geht ins Allmoſen!„ Dieſe
Antwort verdroß mich; ich eilte davon.
Jch bezeigte gegen meinen Fuͤhrer wegen verſchied-
ner Urſachen ein Verlangen, aus der Stadt, und
wieder an dem Orte zu ſeyn, wo wir uns vorher be-
funden hatten. Er war ſo gefaͤllig, mich ohne Wei-
gerung dahin zu begleiten. Wir ſtunden ſtill, und
ſahen uns um, ob wir irgendwo eine Seele in einer
Beſchaͤfftigung erblicken moͤchten, welche unſre Auf-
merkſamkeit verdiente. Jndem rief jemand hinter
mir mit einer gebieteriſchen Stimme: Vorſehn!
Jch ſprang auf die Seite, in der Meynung, es waͤ-
re vielleicht die abgeſchiedne Seele eines Saͤnften-
traͤgers. Wie groß war nicht meine Verwunde-
rung, als ich an deren Stelle einen Schatten ſahe,
deſſen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/46 |
Zitationshilfe: | [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/46>, abgerufen am 16.07.2024. |