dergleichen Träumereyen sich in ihrem Leben an mei- sten beschäfftigte. Sie hat in jener Welt die edlen Bemühungen vernünftiger Männer um den guten Geschmack sehr übel verstanden. Was jene durch Wissenschaft und Bescheidenheit erhielten, das such- te sie durch Geschrey und Ungestüm vergebens zu erhalten.
Mein Führer wollte weiter reden, allein, ich war aus Neubegierde so ungeduldig, daß ich ihn bey der Hand faßte, und mich durch den Pöbel drängte. Jch sahe auf einem hohen Gerüste eine Seele, in der gewöhnlichen Pracht eines Markt- schreyers, für welchen ich ihn gewiß gehalten haben würde, wenn nicht, wie gedacht, mein Führer mir vorher gesagt hätte, daß es ein Charlatan des gu- ten Geschmacks sey. Er hatte sich auf einem erhab- nen Orte, wo er alles übersehen, und ein jeder auch ihn wahrnehmen konnte, das Gerüste erbaut. Je- doch war die Architektur daran sehr gothisch und ab- geschmackt, und die Verzierungen waren ganz un- gleich. Einige Stücke davon bestunden in Schnitz- werke, welche sehr prächtig und mit vieler Kunst aus- gearbeitet zu seyn schienen. Mein Führer versicherte mich, daß dieser Charlatan solche aus alten Tempeln entwendet, in welchen man sie als merkwürdige Ueber- reste der griechischen und römischen Architektur auf- gehoben, verschiedne aber durch einige seiner Ban- de, so er zu Londen und Paris deswegen unterhal- ten, erbeutet hätte, und nunmehr so unverschämt sey, solches für seiner eignen Hände Arbeit aus- zugeben, ungeachtet man ihn mehr als einmal
seiner
von den abgeſchiedenen Seelen.
dergleichen Traͤumereyen ſich in ihrem Leben an mei- ſten beſchaͤfftigte. Sie hat in jener Welt die edlen Bemuͤhungen vernuͤnftiger Maͤnner um den guten Geſchmack ſehr uͤbel verſtanden. Was jene durch Wiſſenſchaft und Beſcheidenheit erhielten, das ſuch- te ſie durch Geſchrey und Ungeſtuͤm vergebens zu erhalten.
Mein Fuͤhrer wollte weiter reden, allein, ich war aus Neubegierde ſo ungeduldig, daß ich ihn bey der Hand faßte, und mich durch den Poͤbel draͤngte. Jch ſahe auf einem hohen Geruͤſte eine Seele, in der gewoͤhnlichen Pracht eines Markt- ſchreyers, fuͤr welchen ich ihn gewiß gehalten haben wuͤrde, wenn nicht, wie gedacht, mein Fuͤhrer mir vorher geſagt haͤtte, daß es ein Charlatan des gu- ten Geſchmacks ſey. Er hatte ſich auf einem erhab- nen Orte, wo er alles uͤberſehen, und ein jeder auch ihn wahrnehmen konnte, das Geruͤſte erbaut. Je- doch war die Architektur daran ſehr gothiſch und ab- geſchmackt, und die Verzierungen waren ganz un- gleich. Einige Stuͤcke davon beſtunden in Schnitz- werke, welche ſehr praͤchtig und mit vieler Kunſt aus- gearbeitet zu ſeyn ſchienen. Mein Fuͤhrer verſicherte mich, daß dieſer Charlatan ſolche aus alten Tempeln entwendet, in welchen man ſie als merkwuͤrdige Ueber- reſte der griechiſchen und roͤmiſchen Architektur auf- gehoben, verſchiedne aber durch einige ſeiner Ban- de, ſo er zu Londen und Paris deswegen unterhal- ten, erbeutet haͤtte, und nunmehr ſo unverſchaͤmt ſey, ſolches fuͤr ſeiner eignen Haͤnde Arbeit aus- zugeben, ungeachtet man ihn mehr als einmal
ſeiner
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0029"n="29"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">von den abgeſchiedenen Seelen.</hi></fw><lb/>
dergleichen Traͤumereyen ſich in ihrem Leben an mei-<lb/>ſten beſchaͤfftigte. Sie hat in jener Welt die edlen<lb/>
Bemuͤhungen vernuͤnftiger Maͤnner um den guten<lb/>
Geſchmack ſehr uͤbel verſtanden. Was jene durch<lb/>
Wiſſenſchaft und Beſcheidenheit erhielten, das ſuch-<lb/>
te ſie durch Geſchrey und Ungeſtuͤm vergebens zu<lb/>
erhalten.</p><lb/><p>Mein Fuͤhrer wollte weiter reden, allein,<lb/>
ich war aus Neubegierde ſo ungeduldig, daß ich<lb/>
ihn bey der Hand faßte, und mich durch den Poͤbel<lb/>
draͤngte. Jch ſahe auf einem hohen Geruͤſte eine<lb/>
Seele, in der gewoͤhnlichen Pracht eines Markt-<lb/>ſchreyers, fuͤr welchen ich ihn gewiß gehalten haben<lb/>
wuͤrde, wenn nicht, wie gedacht, mein Fuͤhrer mir<lb/>
vorher geſagt haͤtte, daß es ein Charlatan des gu-<lb/>
ten Geſchmacks ſey. Er hatte ſich auf einem erhab-<lb/>
nen Orte, wo er alles uͤberſehen, und ein jeder auch<lb/>
ihn wahrnehmen konnte, das Geruͤſte erbaut. Je-<lb/>
doch war die Architektur daran ſehr gothiſch und ab-<lb/>
geſchmackt, und die Verzierungen waren ganz un-<lb/>
gleich. Einige Stuͤcke davon beſtunden in Schnitz-<lb/>
werke, welche ſehr praͤchtig und mit vieler Kunſt aus-<lb/>
gearbeitet zu ſeyn ſchienen. Mein Fuͤhrer verſicherte<lb/>
mich, daß dieſer Charlatan ſolche aus alten Tempeln<lb/>
entwendet, in welchen man ſie als merkwuͤrdige Ueber-<lb/>
reſte der griechiſchen und roͤmiſchen Architektur auf-<lb/>
gehoben, verſchiedne aber durch einige ſeiner Ban-<lb/>
de, ſo er zu Londen und Paris deswegen unterhal-<lb/>
ten, erbeutet haͤtte, und nunmehr ſo unverſchaͤmt<lb/>ſey, ſolches fuͤr ſeiner eignen Haͤnde Arbeit aus-<lb/>
zugeben, ungeachtet man ihn mehr als einmal<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſeiner</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[29/0029]
von den abgeſchiedenen Seelen.
dergleichen Traͤumereyen ſich in ihrem Leben an mei-
ſten beſchaͤfftigte. Sie hat in jener Welt die edlen
Bemuͤhungen vernuͤnftiger Maͤnner um den guten
Geſchmack ſehr uͤbel verſtanden. Was jene durch
Wiſſenſchaft und Beſcheidenheit erhielten, das ſuch-
te ſie durch Geſchrey und Ungeſtuͤm vergebens zu
erhalten.
Mein Fuͤhrer wollte weiter reden, allein,
ich war aus Neubegierde ſo ungeduldig, daß ich
ihn bey der Hand faßte, und mich durch den Poͤbel
draͤngte. Jch ſahe auf einem hohen Geruͤſte eine
Seele, in der gewoͤhnlichen Pracht eines Markt-
ſchreyers, fuͤr welchen ich ihn gewiß gehalten haben
wuͤrde, wenn nicht, wie gedacht, mein Fuͤhrer mir
vorher geſagt haͤtte, daß es ein Charlatan des gu-
ten Geſchmacks ſey. Er hatte ſich auf einem erhab-
nen Orte, wo er alles uͤberſehen, und ein jeder auch
ihn wahrnehmen konnte, das Geruͤſte erbaut. Je-
doch war die Architektur daran ſehr gothiſch und ab-
geſchmackt, und die Verzierungen waren ganz un-
gleich. Einige Stuͤcke davon beſtunden in Schnitz-
werke, welche ſehr praͤchtig und mit vieler Kunſt aus-
gearbeitet zu ſeyn ſchienen. Mein Fuͤhrer verſicherte
mich, daß dieſer Charlatan ſolche aus alten Tempeln
entwendet, in welchen man ſie als merkwuͤrdige Ueber-
reſte der griechiſchen und roͤmiſchen Architektur auf-
gehoben, verſchiedne aber durch einige ſeiner Ban-
de, ſo er zu Londen und Paris deswegen unterhal-
ten, erbeutet haͤtte, und nunmehr ſo unverſchaͤmt
ſey, ſolches fuͤr ſeiner eignen Haͤnde Arbeit aus-
zugeben, ungeachtet man ihn mehr als einmal
ſeiner
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/29>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.