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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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Von Swifts letztem Willen.
Begriffe war, diesen meinen letzten Willen zu ent-
werfen, trat er mit einer ungezognen Miene in mein
Zimmer, und versicherte mich auf eine recht vertrau-
te Art, daß er mir hierinnen sehr nützlich seyn könn-
te, wenn ich seinen Rath annehmen wollte. Vor
seinen Augen, sagte er, könnten sich die Thorheiten
der Menschen nicht verstecken. Er kenne sie alle,
er verfolge sie aufs schärfste, und die Liebe zur Wahr-
heit sey bey ihm so stark, daß er sich selbst nicht scho-
nen würde, wenn er etwas lächerliches oder thö-
richtes an sich wahrnehmen sollte. Zugleich über-
gab er mir eine Rolle, in welcher, wie er sagte, der
Kern aller Narren in Dublin verzeichnet wäre, und
bat mich, ich möchte bey meiner Stiftung diese
Leute ja vor allen andern mir bestens empfohlen seyn
lassen. Jch fand auf dieser Rolle zehen Personen,
und erstaunte, als ich sahe, daß gleich die ersten
fünfe davon Geistliche waren, deren Lehren so ver-
nünftig sind, und deren Lebensart so erbaulich ist, daß
sie wohl verdienten, selbst in den Augen der Narren
und unsrer kleinen Religionsspötter ehrwürdig zu
seyn. Jch bezeugte ihm meine Verwunderung,
daß er diese Männer des Tollhauses würdig hielte;
ich fragte ihn um die Ursache. Die Antwort aber,
die ich erhielt, war ein lautes unverschämtes La-
chen, und er hatte das Herz, mich zu fragen, ob
ich nicht wüßte, daß die fünf Männer Geistliche
wären, und daß die Geistlichen - - - Jch fiel ihm
so gleich in die Rede, weil ich merkte, daß er sich
anschickte, diesem verehrungswürdigen Stande alle

die
Zweyter Theil. R

Von Swifts letztem Willen.
Begriffe war, dieſen meinen letzten Willen zu ent-
werfen, trat er mit einer ungezognen Miene in mein
Zimmer, und verſicherte mich auf eine recht vertrau-
te Art, daß er mir hierinnen ſehr nuͤtzlich ſeyn koͤnn-
te, wenn ich ſeinen Rath annehmen wollte. Vor
ſeinen Augen, ſagte er, koͤnnten ſich die Thorheiten
der Menſchen nicht verſtecken. Er kenne ſie alle,
er verfolge ſie aufs ſchaͤrfſte, und die Liebe zur Wahr-
heit ſey bey ihm ſo ſtark, daß er ſich ſelbſt nicht ſcho-
nen wuͤrde, wenn er etwas laͤcherliches oder thoͤ-
richtes an ſich wahrnehmen ſollte. Zugleich uͤber-
gab er mir eine Rolle, in welcher, wie er ſagte, der
Kern aller Narren in Dublin verzeichnet waͤre, und
bat mich, ich moͤchte bey meiner Stiftung dieſe
Leute ja vor allen andern mir beſtens empfohlen ſeyn
laſſen. Jch fand auf dieſer Rolle zehen Perſonen,
und erſtaunte, als ich ſahe, daß gleich die erſten
fuͤnfe davon Geiſtliche waren, deren Lehren ſo ver-
nuͤnftig ſind, und deren Lebensart ſo erbaulich iſt, daß
ſie wohl verdienten, ſelbſt in den Augen der Narren
und unſrer kleinen Religionsſpoͤtter ehrwuͤrdig zu
ſeyn. Jch bezeugte ihm meine Verwunderung,
daß er dieſe Maͤnner des Tollhauſes wuͤrdig hielte;
ich fragte ihn um die Urſache. Die Antwort aber,
die ich erhielt, war ein lautes unverſchaͤmtes La-
chen, und er hatte das Herz, mich zu fragen, ob
ich nicht wuͤßte, daß die fuͤnf Maͤnner Geiſtliche
waͤren, und daß die Geiſtlichen ‒ ‒ ‒ Jch fiel ihm
ſo gleich in die Rede, weil ich merkte, daß er ſich
anſchickte, dieſem verehrungswuͤrdigen Stande alle

die
Zweyter Theil. R
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[257/0257] Von Swifts letztem Willen. Begriffe war, dieſen meinen letzten Willen zu ent- werfen, trat er mit einer ungezognen Miene in mein Zimmer, und verſicherte mich auf eine recht vertrau- te Art, daß er mir hierinnen ſehr nuͤtzlich ſeyn koͤnn- te, wenn ich ſeinen Rath annehmen wollte. Vor ſeinen Augen, ſagte er, koͤnnten ſich die Thorheiten der Menſchen nicht verſtecken. Er kenne ſie alle, er verfolge ſie aufs ſchaͤrfſte, und die Liebe zur Wahr- heit ſey bey ihm ſo ſtark, daß er ſich ſelbſt nicht ſcho- nen wuͤrde, wenn er etwas laͤcherliches oder thoͤ- richtes an ſich wahrnehmen ſollte. Zugleich uͤber- gab er mir eine Rolle, in welcher, wie er ſagte, der Kern aller Narren in Dublin verzeichnet waͤre, und bat mich, ich moͤchte bey meiner Stiftung dieſe Leute ja vor allen andern mir beſtens empfohlen ſeyn laſſen. Jch fand auf dieſer Rolle zehen Perſonen, und erſtaunte, als ich ſahe, daß gleich die erſten fuͤnfe davon Geiſtliche waren, deren Lehren ſo ver- nuͤnftig ſind, und deren Lebensart ſo erbaulich iſt, daß ſie wohl verdienten, ſelbſt in den Augen der Narren und unſrer kleinen Religionsſpoͤtter ehrwuͤrdig zu ſeyn. Jch bezeugte ihm meine Verwunderung, daß er dieſe Maͤnner des Tollhauſes wuͤrdig hielte; ich fragte ihn um die Urſache. Die Antwort aber, die ich erhielt, war ein lautes unverſchaͤmtes La- chen, und er hatte das Herz, mich zu fragen, ob ich nicht wuͤßte, daß die fuͤnf Maͤnner Geiſtliche waͤren, und daß die Geiſtlichen ‒ ‒ ‒ Jch fiel ihm ſo gleich in die Rede, weil ich merkte, daß er ſich anſchickte, dieſem verehrungswuͤrdigen Stande alle die Zweyter Theil. R

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/257>, abgerufen am 25.11.2024.