Bedenken wieder frey lassen, und ihm das Vermö- gen seines Oheims anvertrauen können. Jch mey- ne es recht gut mit ihm, und bin gewiß, das Va- terland wird es dereinst erkennen, daß ich ihm einen guten Bürger gezogen habe.
Ueber wen das Unglück es verhangen hat, in der Nachbarschaft der erbaulichen Sara Knidly zu wohnen; der wird sich nicht wundern, wenn er sie in meinem Codicille findet. Jhr Haus ist einem verwünschten Schlosse, und sie einem Poltergeiste ähnlich, der alle Menschen quält, die ihm nicht ausweichen können. Wer es vermeiden kann, der hütet sich wohl, mit ihr unter einem Dache zu wohnen. Den ganzen Tag spukt sie im Hause herum. Nirgends poltert sie ärger, als in der Küche, und niemals ist ihre Gegenwart gefährli- cher, als wenn sie herumgeht, und Psalme brummt. Jhre unglückliche Magd hat es empfunden, und es ist nicht lange, daß dieselbe beynahe ihr rechtes Au- ge über dem sechsten Psalme verloren hätte, denn das andächtige Gespenst murmelte eben den Schluß desselben her, als die Magd aus Unvorsichtigkeit das Salzfaß verschüttete, und um deswillen von den bußfertigen Händen ihrer frommen Frau in voller Andacht etliche Ohrfeigen bekam. Die gan- ze Gasse, in der sie wohnt, wird öde, und ich habe gefunden, daß seit sechs Jahren, (denn so lange ist Sara Knidly eine Wittwe) die Miethen um die Hälfte des Preises gefallen sind. Wer es vermeiden
kann,
Geheime Nachricht
Bedenken wieder frey laſſen, und ihm das Vermoͤ- gen ſeines Oheims anvertrauen koͤnnen. Jch mey- ne es recht gut mit ihm, und bin gewiß, das Va- terland wird es dereinſt erkennen, daß ich ihm einen guten Buͤrger gezogen habe.
Ueber wen das Ungluͤck es verhangen hat, in der Nachbarſchaft der erbaulichen Sara Knidly zu wohnen; der wird ſich nicht wundern, wenn er ſie in meinem Codicille findet. Jhr Haus iſt einem verwuͤnſchten Schloſſe, und ſie einem Poltergeiſte aͤhnlich, der alle Menſchen quaͤlt, die ihm nicht ausweichen koͤnnen. Wer es vermeiden kann, der huͤtet ſich wohl, mit ihr unter einem Dache zu wohnen. Den ganzen Tag ſpukt ſie im Hauſe herum. Nirgends poltert ſie aͤrger, als in der Kuͤche, und niemals iſt ihre Gegenwart gefaͤhrli- cher, als wenn ſie herumgeht, und Pſalme brummt. Jhre ungluͤckliche Magd hat es empfunden, und es iſt nicht lange, daß dieſelbe beynahe ihr rechtes Au- ge uͤber dem ſechſten Pſalme verloren haͤtte, denn das andaͤchtige Geſpenſt murmelte eben den Schluß deſſelben her, als die Magd aus Unvorſichtigkeit das Salzfaß verſchuͤttete, und um deswillen von den bußfertigen Haͤnden ihrer frommen Frau in voller Andacht etliche Ohrfeigen bekam. Die gan- ze Gaſſe, in der ſie wohnt, wird oͤde, und ich habe gefunden, daß ſeit ſechs Jahren, (denn ſo lange iſt Sara Knidly eine Wittwe) die Miethen um die Haͤlfte des Preiſes gefallen ſind. Wer es vermeiden
kann,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><div><p><pbfacs="#f0254"n="254"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Geheime Nachricht</hi></fw><lb/>
Bedenken wieder frey laſſen, und ihm das Vermoͤ-<lb/>
gen ſeines Oheims anvertrauen koͤnnen. Jch mey-<lb/>
ne es recht gut mit ihm, und bin gewiß, das Va-<lb/>
terland wird es dereinſt erkennen, daß ich ihm einen<lb/>
guten Buͤrger gezogen habe.</p><lb/><p>Ueber wen das Ungluͤck es verhangen hat, in der<lb/>
Nachbarſchaft der erbaulichen <hirendition="#fr">Sara Knidly</hi> zu<lb/>
wohnen; der wird ſich nicht wundern, wenn er ſie<lb/>
in meinem Codicille findet. Jhr Haus iſt einem<lb/>
verwuͤnſchten Schloſſe, und ſie einem Poltergeiſte<lb/>
aͤhnlich, der alle Menſchen quaͤlt, die ihm nicht<lb/>
ausweichen koͤnnen. Wer es vermeiden kann, der<lb/>
huͤtet ſich wohl, mit ihr unter einem Dache zu<lb/>
wohnen. Den ganzen Tag ſpukt ſie im Hauſe<lb/>
herum. Nirgends poltert ſie aͤrger, als in der<lb/>
Kuͤche, und niemals iſt ihre Gegenwart gefaͤhrli-<lb/>
cher, als wenn ſie herumgeht, und Pſalme brummt.<lb/>
Jhre ungluͤckliche Magd hat es empfunden, und es<lb/>
iſt nicht lange, daß dieſelbe beynahe ihr rechtes Au-<lb/>
ge uͤber dem ſechſten Pſalme verloren haͤtte, denn das<lb/>
andaͤchtige Geſpenſt murmelte eben den Schluß<lb/>
deſſelben her, als die Magd aus Unvorſichtigkeit<lb/>
das Salzfaß verſchuͤttete, und um deswillen von<lb/>
den bußfertigen Haͤnden ihrer frommen Frau in<lb/>
voller Andacht etliche Ohrfeigen bekam. Die gan-<lb/>
ze Gaſſe, in der ſie wohnt, wird oͤde, und ich habe<lb/>
gefunden, daß ſeit ſechs Jahren, (denn ſo lange iſt<lb/><hirendition="#fr">Sara Knidly</hi> eine Wittwe) die Miethen um die<lb/>
Haͤlfte des Preiſes gefallen ſind. Wer es vermeiden<lb/><fwplace="bottom"type="catch">kann,</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[254/0254]
Geheime Nachricht
Bedenken wieder frey laſſen, und ihm das Vermoͤ-
gen ſeines Oheims anvertrauen koͤnnen. Jch mey-
ne es recht gut mit ihm, und bin gewiß, das Va-
terland wird es dereinſt erkennen, daß ich ihm einen
guten Buͤrger gezogen habe.
Ueber wen das Ungluͤck es verhangen hat, in der
Nachbarſchaft der erbaulichen Sara Knidly zu
wohnen; der wird ſich nicht wundern, wenn er ſie
in meinem Codicille findet. Jhr Haus iſt einem
verwuͤnſchten Schloſſe, und ſie einem Poltergeiſte
aͤhnlich, der alle Menſchen quaͤlt, die ihm nicht
ausweichen koͤnnen. Wer es vermeiden kann, der
huͤtet ſich wohl, mit ihr unter einem Dache zu
wohnen. Den ganzen Tag ſpukt ſie im Hauſe
herum. Nirgends poltert ſie aͤrger, als in der
Kuͤche, und niemals iſt ihre Gegenwart gefaͤhrli-
cher, als wenn ſie herumgeht, und Pſalme brummt.
Jhre ungluͤckliche Magd hat es empfunden, und es
iſt nicht lange, daß dieſelbe beynahe ihr rechtes Au-
ge uͤber dem ſechſten Pſalme verloren haͤtte, denn das
andaͤchtige Geſpenſt murmelte eben den Schluß
deſſelben her, als die Magd aus Unvorſichtigkeit
das Salzfaß verſchuͤttete, und um deswillen von
den bußfertigen Haͤnden ihrer frommen Frau in
voller Andacht etliche Ohrfeigen bekam. Die gan-
ze Gaſſe, in der ſie wohnt, wird oͤde, und ich habe
gefunden, daß ſeit ſechs Jahren, (denn ſo lange iſt
Sara Knidly eine Wittwe) die Miethen um die
Haͤlfte des Preiſes gefallen ſind. Wer es vermeiden
kann,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/254>, abgerufen am 15.08.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.