Die moralischen Narren lagen ihm am Herzen; Narren, welche oftmals bey gesundem Körper den- noch die gefährlichsten und ansteckendsten Krankheiten haben.
Seine Dienstfertigkeit erstreckte sich über ganz Großbritannien; und er hatte Lords und Schreiber in seiner Cur. Durch eine vieljährige Erfahrung, war ihm bekannt, daß es mit der moralischen Narrheit eben die Beschaffenheit habe, wie mit dem Podagra, mit welchem vornehme Leute am meisten geplagt sind, Leute von geringerm Stande aber nur selten, oder doch wenigstens nicht so heftig befallen werden.
Vor etlichen Jahren that man ihm so vortheil- hafte Vorschläge, daß er sich zu Westmünster nieder- lassen, und seine Curen daselbst treiben sollte. Er hat es aber allemal auszuschlagen gesucht, weil er glaub- te, er sey dieser weitläuftigen Arbeit nicht gewach- sen, und die Menge der Narren sey daselbst viel zu zahlreich, als daß er sie in die Cur nehmen könn- te. Jn Dublin gefiel es ihm am besten, weil da- selbst gleich so viel Narren waren, als er bestreiten konnte. Jndessen war er doch so billig, daß er Westmünster und London von Hause aus mit Re- cepten versorgte.
Er starb in seinem neun und achtzigsten Jahre, und doch wünschte er sich selbst, noch etliche Jahre zu leben, weil er eben im Begriffe war, mit etlichen angesehnen Patienten eine wichtige Operation vor-
zuneh-
Geheime Nachricht
Die moraliſchen Narren lagen ihm am Herzen; Narren, welche oftmals bey geſundem Koͤrper den- noch die gefaͤhrlichſten und anſteckendſten Krankheiten haben.
Seine Dienſtfertigkeit erſtreckte ſich uͤber ganz Großbritannien; und er hatte Lords und Schreiber in ſeiner Cur. Durch eine vieljaͤhrige Erfahrung, war ihm bekannt, daß es mit der moraliſchen Narrheit eben die Beſchaffenheit habe, wie mit dem Podagra, mit welchem vornehme Leute am meiſten geplagt ſind, Leute von geringerm Stande aber nur ſelten, oder doch wenigſtens nicht ſo heftig befallen werden.
Vor etlichen Jahren that man ihm ſo vortheil- hafte Vorſchlaͤge, daß er ſich zu Weſtmuͤnſter nieder- laſſen, und ſeine Curen daſelbſt treiben ſollte. Er hat es aber allemal auszuſchlagen geſucht, weil er glaub- te, er ſey dieſer weitlaͤuftigen Arbeit nicht gewach- ſen, und die Menge der Narren ſey daſelbſt viel zu zahlreich, als daß er ſie in die Cur nehmen koͤnn- te. Jn Dublin gefiel es ihm am beſten, weil da- ſelbſt gleich ſo viel Narren waren, als er beſtreiten konnte. Jndeſſen war er doch ſo billig, daß er Weſtmuͤnſter und London von Hauſe aus mit Re- cepten verſorgte.
Er ſtarb in ſeinem neun und achtzigſten Jahre, und doch wuͤnſchte er ſich ſelbſt, noch etliche Jahre zu leben, weil er eben im Begriffe war, mit etlichen angeſehnen Patienten eine wichtige Operation vor-
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Geheime Nachricht
Die moraliſchen Narren lagen ihm am Herzen;
Narren, welche oftmals bey geſundem Koͤrper den-
noch die gefaͤhrlichſten und anſteckendſten Krankheiten
haben.
Seine Dienſtfertigkeit erſtreckte ſich uͤber ganz
Großbritannien; und er hatte Lords und Schreiber in
ſeiner Cur. Durch eine vieljaͤhrige Erfahrung, war
ihm bekannt, daß es mit der moraliſchen Narrheit
eben die Beſchaffenheit habe, wie mit dem Podagra,
mit welchem vornehme Leute am meiſten geplagt ſind,
Leute von geringerm Stande aber nur ſelten, oder
doch wenigſtens nicht ſo heftig befallen werden.
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laſſen, und ſeine Curen daſelbſt treiben ſollte. Er hat
es aber allemal auszuſchlagen geſucht, weil er glaub-
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ſelbſt gleich ſo viel Narren waren, als er beſtreiten
konnte. Jndeſſen war er doch ſo billig, daß er
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/234>, abgerufen am 17.02.2025.
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