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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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Beytrag
anzusehen, mit wie viel Ehrfurcht und Freund-
schaft ihm die reichsten Capitalisten begegneten.
Jn seiner Gesellschaft vergaßen sie, daß sie Wechs-
ler waren, und redeten witzig. Alle Frauenzimmer-
gesellschaften waren todt und schläfrig, in welchen
Phokles nicht war. Denn damals, als Phokles
lebte, wußte man von Fächern nichts; Lomber
ward gar nicht gespielt; und die Kunst, den Näch-
sten zu richten, war nur in ein paar Familien be-
kannt. So bald man den Phokles nur von wei-
tem erblickte, so bald ward alles vergnügt, und
lebhaft. Lebte Phokles in meiner Stadt: So wür-
de man hier auf die Vermuthung fallen, er sey
um deswillen so beliebt gewesen, weil er diesen
schönen Kindern artige Schmeicheleyen vorgesagt,
ihre schönen Hände verewigt, ihre Augen besungen,
mit unter ein paar Takte geseufzt, zum Spaße ein
wenig verzweifelt, und seine Nachbarinn Tieger und
Fels gescholten hätte, weil sie so unmenschlich grau-
sam gewesen, und ihm einen Kuß versagt. Die-
ses ist gemeiniglich die Sprache unsrer heutigen
Dichter. Aber Phokles sang ganz anders! Er
rühmte die Phyllis wegen ihrer anständigen Sitt-
samkeit, Cleonen, wegen ihrer vernünftigen Wirth-
schaft. Er lobte Aesinen, wegen ihrer sorgfältigen
Kinderzucht, wodurch sie noch die Nachwelt ihrer
Stadt glücklich zu machen suchte. Er besang die
Unempfindlichkeit der Calliste gegen die leichtsin-
nigen Bemühungen eines jungen Herrn. An Eu-
phrosynen rühmte er, daß sie noch mehr tugend-

haft,

Beytrag
anzuſehen, mit wie viel Ehrfurcht und Freund-
ſchaft ihm die reichſten Capitaliſten begegneten.
Jn ſeiner Geſellſchaft vergaßen ſie, daß ſie Wechs-
ler waren, und redeten witzig. Alle Frauenzimmer-
geſellſchaften waren todt und ſchlaͤfrig, in welchen
Phokles nicht war. Denn damals, als Phokles
lebte, wußte man von Faͤchern nichts; Lomber
ward gar nicht geſpielt; und die Kunſt, den Naͤch-
ſten zu richten, war nur in ein paar Familien be-
kannt. So bald man den Phokles nur von wei-
tem erblickte, ſo bald ward alles vergnuͤgt, und
lebhaft. Lebte Phokles in meiner Stadt: So wuͤr-
de man hier auf die Vermuthung fallen, er ſey
um deswillen ſo beliebt geweſen, weil er dieſen
ſchoͤnen Kindern artige Schmeicheleyen vorgeſagt,
ihre ſchoͤnen Haͤnde verewigt, ihre Augen beſungen,
mit unter ein paar Takte geſeufzt, zum Spaße ein
wenig verzweifelt, und ſeine Nachbarinn Tieger und
Fels geſcholten haͤtte, weil ſie ſo unmenſchlich grau-
ſam geweſen, und ihm einen Kuß verſagt. Die-
ſes iſt gemeiniglich die Sprache unſrer heutigen
Dichter. Aber Phokles ſang ganz anders! Er
ruͤhmte die Phyllis wegen ihrer anſtaͤndigen Sitt-
ſamkeit, Cleonen, wegen ihrer vernuͤnftigen Wirth-
ſchaft. Er lobte Aeſinen, wegen ihrer ſorgfaͤltigen
Kinderzucht, wodurch ſie noch die Nachwelt ihrer
Stadt gluͤcklich zu machen ſuchte. Er beſang die
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nigen Bemuͤhungen eines jungen Herrn. An Eu-
phroſynen ruͤhmte er, daß ſie noch mehr tugend-

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[222/0222] Beytrag anzuſehen, mit wie viel Ehrfurcht und Freund- ſchaft ihm die reichſten Capitaliſten begegneten. Jn ſeiner Geſellſchaft vergaßen ſie, daß ſie Wechs- ler waren, und redeten witzig. Alle Frauenzimmer- geſellſchaften waren todt und ſchlaͤfrig, in welchen Phokles nicht war. Denn damals, als Phokles lebte, wußte man von Faͤchern nichts; Lomber ward gar nicht geſpielt; und die Kunſt, den Naͤch- ſten zu richten, war nur in ein paar Familien be- kannt. So bald man den Phokles nur von wei- tem erblickte, ſo bald ward alles vergnuͤgt, und lebhaft. Lebte Phokles in meiner Stadt: So wuͤr- de man hier auf die Vermuthung fallen, er ſey um deswillen ſo beliebt geweſen, weil er dieſen ſchoͤnen Kindern artige Schmeicheleyen vorgeſagt, ihre ſchoͤnen Haͤnde verewigt, ihre Augen beſungen, mit unter ein paar Takte geſeufzt, zum Spaße ein wenig verzweifelt, und ſeine Nachbarinn Tieger und Fels geſcholten haͤtte, weil ſie ſo unmenſchlich grau- ſam geweſen, und ihm einen Kuß verſagt. Die- ſes iſt gemeiniglich die Sprache unſrer heutigen Dichter. Aber Phokles ſang ganz anders! Er ruͤhmte die Phyllis wegen ihrer anſtaͤndigen Sitt- ſamkeit, Cleonen, wegen ihrer vernuͤnftigen Wirth- ſchaft. Er lobte Aeſinen, wegen ihrer ſorgfaͤltigen Kinderzucht, wodurch ſie noch die Nachwelt ihrer Stadt gluͤcklich zu machen ſuchte. Er beſang die Unempfindlichkeit der Calliſte gegen die leichtſin- nigen Bemuͤhungen eines jungen Herrn. An Eu- phroſynen ruͤhmte er, daß ſie noch mehr tugend- haft,

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/222>, abgerufen am 23.11.2024.