Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite
Beytrag
Die dritte Fabel.

Jch habe einen Mann gekannt, dessen Beruf war,
eine große Gesellschaft Leute wöchentlich vor
allen Lastern zu warnen. Es kam ihm beynahe kein La-
ster verderblicher vor, als der Geiz. Den Geiz malte
er also aufs abscheulichste ab, so oft er hierzu Gele-
genheit fand. Das ist nichts unmögliches! Das
hören wir oft! werden meine Leser rufen. Geduld!
Jch will weiter erzählen. Dieser Mann wußte
sein Vermögen den Armen auf eine so vorsichtige
Art zufließen zu lassen, daß die wenigsten erfuhren,
von wem es herkam. Keine nothdürftige Witt-
we ließ er mit Thränen von sich gehen, sie müßte
denn aus Dankbarkeit geweint haben. Einem
Kaufmanne, welcher ehrlich, aber in seiner Hand-
lung unglücklich, war, lieh er ein ansehnliches Ca-
pital, ohne Verzinsung, damit er ehrlich bleiben,
und sechs unerzogne Kinder ernähren könnte. Auf
Pfänder lieh er gar nicht, und niemals soll er über
fünf Procent genommen haben. Eine schöne Fa-
bel, zu der ich aber den Titel nicht weis!

Die vierte Fabel.
Der billige Dichter.

Phokles war ein berühmter Dichter derjenigen
Stadt, in welcher bey schwerer Strafe nie-
mand gelobet werden durfte, der nicht wirklich tu-

gend-
Beytrag
Die dritte Fabel.

Jch habe einen Mann gekannt, deſſen Beruf war,
eine große Geſellſchaft Leute woͤchentlich vor
allen Laſtern zu warnen. Es kam ihm beynahe kein La-
ſter verderblicher vor, als der Geiz. Den Geiz malte
er alſo aufs abſcheulichſte ab, ſo oft er hierzu Gele-
genheit fand. Das iſt nichts unmoͤgliches! Das
hoͤren wir oft! werden meine Leſer rufen. Geduld!
Jch will weiter erzaͤhlen. Dieſer Mann wußte
ſein Vermoͤgen den Armen auf eine ſo vorſichtige
Art zufließen zu laſſen, daß die wenigſten erfuhren,
von wem es herkam. Keine nothduͤrftige Witt-
we ließ er mit Thraͤnen von ſich gehen, ſie muͤßte
denn aus Dankbarkeit geweint haben. Einem
Kaufmanne, welcher ehrlich, aber in ſeiner Hand-
lung ungluͤcklich, war, lieh er ein anſehnliches Ca-
pital, ohne Verzinſung, damit er ehrlich bleiben,
und ſechs unerzogne Kinder ernaͤhren koͤnnte. Auf
Pfaͤnder lieh er gar nicht, und niemals ſoll er uͤber
fuͤnf Procent genommen haben. Eine ſchoͤne Fa-
bel, zu der ich aber den Titel nicht weis!

Die vierte Fabel.
Der billige Dichter.

Phokles war ein beruͤhmter Dichter derjenigen
Stadt, in welcher bey ſchwerer Strafe nie-
mand gelobet werden durfte, der nicht wirklich tu-

gend-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0220" n="220"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Beytrag</hi> </hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Die dritte Fabel.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">J</hi>ch habe einen Mann gekannt, de&#x017F;&#x017F;en Beruf war,<lb/>
eine große Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft Leute wo&#x0364;chentlich vor<lb/>
allen La&#x017F;tern zu warnen. Es kam ihm beynahe kein La-<lb/>
&#x017F;ter verderblicher vor, als der Geiz. Den Geiz malte<lb/>
er al&#x017F;o aufs ab&#x017F;cheulich&#x017F;te ab, &#x017F;o oft er hierzu Gele-<lb/>
genheit fand. Das i&#x017F;t nichts unmo&#x0364;gliches! Das<lb/>
ho&#x0364;ren wir oft! werden meine Le&#x017F;er rufen. Geduld!<lb/>
Jch will weiter erza&#x0364;hlen. Die&#x017F;er Mann wußte<lb/>
&#x017F;ein Vermo&#x0364;gen den Armen auf eine &#x017F;o vor&#x017F;ichtige<lb/>
Art zufließen zu la&#x017F;&#x017F;en, daß die wenig&#x017F;ten erfuhren,<lb/>
von wem es herkam. Keine nothdu&#x0364;rftige Witt-<lb/>
we ließ er mit Thra&#x0364;nen von &#x017F;ich gehen, &#x017F;ie mu&#x0364;ßte<lb/>
denn aus Dankbarkeit geweint haben. Einem<lb/>
Kaufmanne, welcher ehrlich, aber in &#x017F;einer Hand-<lb/>
lung unglu&#x0364;cklich, war, lieh er ein an&#x017F;ehnliches Ca-<lb/>
pital, ohne Verzin&#x017F;ung, damit er ehrlich bleiben,<lb/>
und &#x017F;echs unerzogne Kinder erna&#x0364;hren ko&#x0364;nnte. Auf<lb/>
Pfa&#x0364;nder lieh er gar nicht, und niemals &#x017F;oll er u&#x0364;ber<lb/>
fu&#x0364;nf Procent genommen haben. Eine &#x017F;cho&#x0364;ne Fa-<lb/>
bel, zu der ich aber den Titel nicht weis!</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Die vierte Fabel.</hi> </head><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Der billige Dichter.</hi> </hi> </head><lb/>
              <p><hi rendition="#in">P</hi>hokles war ein beru&#x0364;hmter Dichter derjenigen<lb/>
Stadt, in welcher bey &#x017F;chwerer Strafe nie-<lb/>
mand gelobet werden durfte, der nicht wirklich tu-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gend-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0220] Beytrag Die dritte Fabel. Jch habe einen Mann gekannt, deſſen Beruf war, eine große Geſellſchaft Leute woͤchentlich vor allen Laſtern zu warnen. Es kam ihm beynahe kein La- ſter verderblicher vor, als der Geiz. Den Geiz malte er alſo aufs abſcheulichſte ab, ſo oft er hierzu Gele- genheit fand. Das iſt nichts unmoͤgliches! Das hoͤren wir oft! werden meine Leſer rufen. Geduld! Jch will weiter erzaͤhlen. Dieſer Mann wußte ſein Vermoͤgen den Armen auf eine ſo vorſichtige Art zufließen zu laſſen, daß die wenigſten erfuhren, von wem es herkam. Keine nothduͤrftige Witt- we ließ er mit Thraͤnen von ſich gehen, ſie muͤßte denn aus Dankbarkeit geweint haben. Einem Kaufmanne, welcher ehrlich, aber in ſeiner Hand- lung ungluͤcklich, war, lieh er ein anſehnliches Ca- pital, ohne Verzinſung, damit er ehrlich bleiben, und ſechs unerzogne Kinder ernaͤhren koͤnnte. Auf Pfaͤnder lieh er gar nicht, und niemals ſoll er uͤber fuͤnf Procent genommen haben. Eine ſchoͤne Fa- bel, zu der ich aber den Titel nicht weis! Die vierte Fabel. Der billige Dichter. Phokles war ein beruͤhmter Dichter derjenigen Stadt, in welcher bey ſchwerer Strafe nie- mand gelobet werden durfte, der nicht wirklich tu- gend-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/220
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/220>, abgerufen am 20.11.2024.