Unter diesem Namen verstehen einige Sittenleh- rer gemeiniglich diejenigen verdrießlichen und mür- rischen Leute, welche mit ihrem Schöpfer hadern, daß er sie zu Menschen gemacht hat, und welche niemals misvergnügter sind, als wenn sie sich in Gesellschaft andrer Menschen befinden. Jch will nicht untersuchen, wie weit diese Sittenlehrer recht haben. Jch glaube aber, daß noch eine andre Bedeutung des Worts Menschenfeind statt ha- ben kann.
Jch setze, und zwar, vermöge der Erfahrung, zum voraus, daß gemeiniglich der Mensch nichts anders ist, als ein Thier, welches nur sich für vollkommen, alle andre menschliche Thiere aber, die um dasselbe herum sind, für fehlerhaft und lächerlich hält; wel- ches diejenigen Pflichten gegen andre niemals aus- übt, die es doch von andern verlangt; welches glaubt, daß alles, was erschaffen ist, nur seinetwe- gen erschaffen ist; welches sich Mühe giebt, dasjeni- ge zu scheinen, was es doch nicht ist; welches sehr mühselig lebt, um elend zu sterben; welches thöricht ist, weil es das Vermögen hat, vernünftig zu seyn;
und
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eines deutſchen Woͤrterbuchs.
Gelehrtes Frauenzimmer, iſt ein Pro- blema.
Menſchenfeind.
Unter dieſem Namen verſtehen einige Sittenleh- rer gemeiniglich diejenigen verdrießlichen und muͤr- riſchen Leute, welche mit ihrem Schoͤpfer hadern, daß er ſie zu Menſchen gemacht hat, und welche niemals misvergnuͤgter ſind, als wenn ſie ſich in Geſellſchaft andrer Menſchen befinden. Jch will nicht unterſuchen, wie weit dieſe Sittenlehrer recht haben. Jch glaube aber, daß noch eine andre Bedeutung des Worts Menſchenfeind ſtatt ha- ben kann.
Jch ſetze, und zwar, vermoͤge der Erfahrung, zum voraus, daß gemeiniglich der Menſch nichts anders iſt, als ein Thier, welches nur ſich fuͤr vollkommen, alle andre menſchliche Thiere aber, die um daſſelbe herum ſind, fuͤr fehlerhaft und laͤcherlich haͤlt; wel- ches diejenigen Pflichten gegen andre niemals aus- uͤbt, die es doch von andern verlangt; welches glaubt, daß alles, was erſchaffen iſt, nur ſeinetwe- gen erſchaffen iſt; welches ſich Muͤhe giebt, dasjeni- ge zu ſcheinen, was es doch nicht iſt; welches ſehr muͤhſelig lebt, um elend zu ſterben; welches thoͤricht iſt, weil es das Vermoͤgen hat, vernuͤnftig zu ſeyn;
und
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eines deutſchen Woͤrterbuchs.
Gelehrtes Frauenzimmer, iſt ein Pro-
blema.
Menſchenfeind.
Unter dieſem Namen verſtehen einige Sittenleh-
rer gemeiniglich diejenigen verdrießlichen und muͤr-
riſchen Leute, welche mit ihrem Schoͤpfer hadern,
daß er ſie zu Menſchen gemacht hat, und welche
niemals misvergnuͤgter ſind, als wenn ſie ſich in
Geſellſchaft andrer Menſchen befinden. Jch will
nicht unterſuchen, wie weit dieſe Sittenlehrer recht
haben. Jch glaube aber, daß noch eine andre
Bedeutung des Worts Menſchenfeind ſtatt ha-
ben kann.
Jch ſetze, und zwar, vermoͤge der Erfahrung, zum
voraus, daß gemeiniglich der Menſch nichts anders
iſt, als ein Thier, welches nur ſich fuͤr vollkommen,
alle andre menſchliche Thiere aber, die um daſſelbe
herum ſind, fuͤr fehlerhaft und laͤcherlich haͤlt; wel-
ches diejenigen Pflichten gegen andre niemals aus-
uͤbt, die es doch von andern verlangt; welches
glaubt, daß alles, was erſchaffen iſt, nur ſeinetwe-
gen erſchaffen iſt; welches ſich Muͤhe giebt, dasjeni-
ge zu ſcheinen, was es doch nicht iſt; welches ſehr
muͤhſelig lebt, um elend zu ſterben; welches thoͤricht
iſt, weil es das Vermoͤgen hat, vernuͤnftig zu ſeyn;
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/195>, abgerufen am 22.02.2025.
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