That mehr zu bedauern, als zu bestrafen. Sie kön- nen bey ihrer gemächlichen Unempfindlichkeit immer ganz fromme Leute seyn, denn viele Leute sind auch aus Dummheit fromm, und ihre guten Absichten ersetzen das, was ihnen am Verstande fehlt.
Diejenigen sind weit weniger zu entschuldigen, welche auf die Bemühungen, die Laster lächerlich und verhaßt zu machen, unerbittlich eifern, und doch unermüdet sind, von ihrem unschuldigen Nach- bar alles böse zu reden, was ihnen der Neid oder an- dre Leidenschaften eingeben. Vielleicht halten diese es für einen Eingriff in ihr Amt; denn dazu haben sie zu viel Eigenliebe, daß sie ihre Verleumdungen für Bosheit, und die Absichten eines Satyrenschrei- bers für Menschenliebe halten sollten. Gemeinig- lich rührt ihre Wut aus der Quelle so vieler Laster, aus der Heucheley, her. Sie fühlen es, daß ihre Aufführung schändlich ist; sie haben sich zu lieb, als daß sie solche ändern sollten; sie glauben, ge- nug gethan zu haben, wenn sie ihr einen guten An- strich geben. Sie eifern auf die Satyren, um auf die Verleumdung eifern zu können, und unter dieser ehrbaren Maske verfahren sie so lieblos mit ihren Nächsten, ohne den Vorwurf zu befürchten, daß sie gefährliche Verleumder sind. Denn wie wollte der
ein
Vorbericht.
That mehr zu bedauern, als zu beſtrafen. Sie koͤn- nen bey ihrer gemaͤchlichen Unempfindlichkeit immer ganz fromme Leute ſeyn, denn viele Leute ſind auch aus Dummheit fromm, und ihre guten Abſichten erſetzen das, was ihnen am Verſtande fehlt.
Diejenigen ſind weit weniger zu entſchuldigen, welche auf die Bemuͤhungen, die Laſter laͤcherlich und verhaßt zu machen, unerbittlich eifern, und doch unermuͤdet ſind, von ihrem unſchuldigen Nach- bar alles boͤſe zu reden, was ihnen der Neid oder an- dre Leidenſchaften eingeben. Vielleicht halten dieſe es fuͤr einen Eingriff in ihr Amt; denn dazu haben ſie zu viel Eigenliebe, daß ſie ihre Verleumdungen fuͤr Bosheit, und die Abſichten eines Satyrenſchrei- bers fuͤr Menſchenliebe halten ſollten. Gemeinig- lich ruͤhrt ihre Wut aus der Quelle ſo vieler Laſter, aus der Heucheley, her. Sie fuͤhlen es, daß ihre Auffuͤhrung ſchaͤndlich iſt; ſie haben ſich zu lieb, als daß ſie ſolche aͤndern ſollten; ſie glauben, ge- nug gethan zu haben, wenn ſie ihr einen guten An- ſtrich geben. Sie eifern auf die Satyren, um auf die Verleumdung eifern zu koͤnnen, und unter dieſer ehrbaren Maske verfahren ſie ſo lieblos mit ihren Naͤchſten, ohne den Vorwurf zu befuͤrchten, daß ſie gefaͤhrliche Verleumder ſind. Denn wie wollte der
ein
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Vorbericht.
That mehr zu bedauern, als zu beſtrafen. Sie koͤn-
nen bey ihrer gemaͤchlichen Unempfindlichkeit immer
ganz fromme Leute ſeyn, denn viele Leute ſind auch
aus Dummheit fromm, und ihre guten Abſichten
erſetzen das, was ihnen am Verſtande fehlt.
Diejenigen ſind weit weniger zu entſchuldigen,
welche auf die Bemuͤhungen, die Laſter laͤcherlich
und verhaßt zu machen, unerbittlich eifern, und
doch unermuͤdet ſind, von ihrem unſchuldigen Nach-
bar alles boͤſe zu reden, was ihnen der Neid oder an-
dre Leidenſchaften eingeben. Vielleicht halten dieſe
es fuͤr einen Eingriff in ihr Amt; denn dazu haben
ſie zu viel Eigenliebe, daß ſie ihre Verleumdungen
fuͤr Bosheit, und die Abſichten eines Satyrenſchrei-
bers fuͤr Menſchenliebe halten ſollten. Gemeinig-
lich ruͤhrt ihre Wut aus der Quelle ſo vieler Laſter,
aus der Heucheley, her. Sie fuͤhlen es, daß ihre
Auffuͤhrung ſchaͤndlich iſt; ſie haben ſich zu lieb,
als daß ſie ſolche aͤndern ſollten; ſie glauben, ge-
nug gethan zu haben, wenn ſie ihr einen guten An-
ſtrich geben. Sie eifern auf die Satyren, um auf
die Verleumdung eifern zu koͤnnen, und unter dieſer
ehrbaren Maske verfahren ſie ſo lieblos mit ihren
Naͤchſten, ohne den Vorwurf zu befuͤrchten, daß ſie
gefaͤhrliche Verleumder ſind. Denn wie wollte der
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/6>, abgerufen am 16.02.2025.
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