Cliton hat in seinem ganzen Leben nicht mehr als zwo Verrichtungen gehabt, zu Mittage und zu Abend zu essen. Es scheint, daß er nur zur Ver- dauung geboren worden sey. Er spricht auch nur von Dingen, die dahin gehören. Er erzählt, wie viele Gerichte bey dem letzten Schmause aufgetragen, was für Essen, wie viel Essen, was für Braten und Beygerichte aufgesetzt worden sind. Er besinnt sich ganz genau darauf, was man für Gerichte bey dem ersten Aufsatze gebracht hat, und eben so gewiß be- sinnt er sich auf die Früchte, und Assietten. Er nennt alle Weine und gebrannte Wasser her, von denen er getrunken hat. Er versteht die Sprache der Küche vollkommen, und er macht mir Appetit, an einem guten Tische zu speisen, wo er nicht ist. Er ist ein außerordentlicher Mann in seiner Art, der die Kunst, sich gut zu mästen, zur größten Voll- kommenheit gebracht hat. Er ist auch der Kenner guter Bissen; es wird kein Mensch wieder geboren werden, der so viel, und so gut ißt. Man darf auch selten dasjenige loben, was ihm misfällt. Er hat sich bis auf seinen letzten Hauch zu Tische tragen las- sen; er gab eben an dem Tage, da er starb, einen Schmaus. Er mag seyn, wo er will, so wird er es- sen, und wenn er in die Welt zurückkehrt, so kömmt er zum Essen wieder.
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Vorbericht.
Cliton hat in ſeinem ganzen Leben nicht mehr als zwo Verrichtungen gehabt, zu Mittage und zu Abend zu eſſen. Es ſcheint, daß er nur zur Ver- dauung geboren worden ſey. Er ſpricht auch nur von Dingen, die dahin gehoͤren. Er erzaͤhlt, wie viele Gerichte bey dem letzten Schmauſe aufgetragen, was fuͤr Eſſen, wie viel Eſſen, was fuͤr Braten und Beygerichte aufgeſetzt worden ſind. Er beſinnt ſich ganz genau darauf, was man fuͤr Gerichte bey dem erſten Aufſatze gebracht hat, und eben ſo gewiß be- ſinnt er ſich auf die Fruͤchte, und Aſſietten. Er nennt alle Weine und gebrannte Waſſer her, von denen er getrunken hat. Er verſteht die Sprache der Kuͤche vollkommen, und er macht mir Appetit, an einem guten Tiſche zu ſpeiſen, wo er nicht iſt. Er iſt ein außerordentlicher Mann in ſeiner Art, der die Kunſt, ſich gut zu maͤſten, zur groͤßten Voll- kommenheit gebracht hat. Er iſt auch der Kenner guter Biſſen; es wird kein Menſch wieder geboren werden, der ſo viel, und ſo gut ißt. Man darf auch ſelten dasjenige loben, was ihm misfaͤllt. Er hat ſich bis auf ſeinen letzten Hauch zu Tiſche tragen laſ- ſen; er gab eben an dem Tage, da er ſtarb, einen Schmaus. Er mag ſeyn, wo er will, ſo wird er eſ- ſen, und wenn er in die Welt zuruͤckkehrt, ſo koͤmmt er zum Eſſen wieder.
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Vorbericht.
Cliton hat in ſeinem ganzen Leben nicht mehr
als zwo Verrichtungen gehabt, zu Mittage und zu
Abend zu eſſen. Es ſcheint, daß er nur zur Ver-
dauung geboren worden ſey. Er ſpricht auch nur
von Dingen, die dahin gehoͤren. Er erzaͤhlt, wie
viele Gerichte bey dem letzten Schmauſe aufgetragen,
was fuͤr Eſſen, wie viel Eſſen, was fuͤr Braten und
Beygerichte aufgeſetzt worden ſind. Er beſinnt ſich
ganz genau darauf, was man fuͤr Gerichte bey dem
erſten Aufſatze gebracht hat, und eben ſo gewiß be-
ſinnt er ſich auf die Fruͤchte, und Aſſietten. Er
nennt alle Weine und gebrannte Waſſer her, von
denen er getrunken hat. Er verſteht die Sprache
der Kuͤche vollkommen, und er macht mir Appetit,
an einem guten Tiſche zu ſpeiſen, wo er nicht iſt.
Er iſt ein außerordentlicher Mann in ſeiner Art,
der die Kunſt, ſich gut zu maͤſten, zur groͤßten Voll-
kommenheit gebracht hat. Er iſt auch der Kenner
guter Biſſen; es wird kein Menſch wieder geboren
werden, der ſo viel, und ſo gut ißt. Man darf auch
ſelten dasjenige loben, was ihm misfaͤllt. Er hat
ſich bis auf ſeinen letzten Hauch zu Tiſche tragen laſ-
ſen; er gab eben an dem Tage, da er ſtarb, einen
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ſen, und wenn er in die Welt zuruͤckkehrt, ſo koͤmmt
er zum Eſſen wieder.
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/48>, abgerufen am 16.07.2024.
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