[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.Eine Todtenliste seinem Leben. Sein ältester Sohn war sehr lü-derlich, und verschwendete mehr Geld, als der Va- ter ersparen konnte. Weil ihm dieser keines gab, so borgte er bey andern Leuten; und wie der Va- ter niemals weniger, als funfzehen pro Cent nahm, so mußte auch der Sohn allemal so viel geben. Er wies alle Schuldner auf des Vaters Leiche an, welcher ihm auch das Vergnügen machte, und starb. Denn er fiel in ein hitziges Fieber, welches ihm den Verstand noch verwirrter machte, als er bey gesunden Tagen gewesen war. Er redete von nichts, als Jnteressen, von bösen Schuldnern, und seinen Handelsbüchern. Sein Beichtvater war bemüht, ihn von dem Jrrdischen abzuziehen, und ihm Todesgedanken beyzubringen; er wies ihn auf das theure Lösegeld aller Welt. Nein, rief der Kranke, dafür kann ich es nicht brauchen, es thut nach itzigem Cours nicht mehr, als ein und drey Qvart! Dieses waren seine letzten Worte, und er verschied. Stine Frogerta, ein frommes Weib. Sie Wor-
Eine Todtenliſte ſeinem Leben. Sein aͤlteſter Sohn war ſehr luͤ-derlich, und verſchwendete mehr Geld, als der Va- ter erſparen konnte. Weil ihm dieſer keines gab, ſo borgte er bey andern Leuten; und wie der Va- ter niemals weniger, als funfzehen pro Cent nahm, ſo mußte auch der Sohn allemal ſo viel geben. Er wies alle Schuldner auf des Vaters Leiche an, welcher ihm auch das Vergnuͤgen machte, und ſtarb. Denn er fiel in ein hitziges Fieber, welches ihm den Verſtand noch verwirrter machte, als er bey geſunden Tagen geweſen war. Er redete von nichts, als Jntereſſen, von boͤſen Schuldnern, und ſeinen Handelsbuͤchern. Sein Beichtvater war bemuͤht, ihn von dem Jrrdiſchen abzuziehen, und ihm Todesgedanken beyzubringen; er wies ihn auf das theure Loͤſegeld aller Welt. Nein, rief der Kranke, dafuͤr kann ich es nicht brauchen, es thut nach itzigem Cours nicht mehr, als ein und drey Qvart! Dieſes waren ſeine letzten Worte, und er verſchied. Stine Frogerta, ein frommes Weib. Sie Wor-
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Eine Todtenliſte
ſeinem Leben. Sein aͤlteſter Sohn war ſehr luͤ-
derlich, und verſchwendete mehr Geld, als der Va-
ter erſparen konnte. Weil ihm dieſer keines gab,
ſo borgte er bey andern Leuten; und wie der Va-
ter niemals weniger, als funfzehen pro Cent nahm,
ſo mußte auch der Sohn allemal ſo viel geben. Er
wies alle Schuldner auf des Vaters Leiche an,
welcher ihm auch das Vergnuͤgen machte, und
ſtarb. Denn er fiel in ein hitziges Fieber, welches
ihm den Verſtand noch verwirrter machte, als er
bey geſunden Tagen geweſen war. Er redete von
nichts, als Jntereſſen, von boͤſen Schuldnern, und
ſeinen Handelsbuͤchern. Sein Beichtvater war
bemuͤht, ihn von dem Jrrdiſchen abzuziehen, und
ihm Todesgedanken beyzubringen; er wies ihn
auf das theure Loͤſegeld aller Welt. Nein, rief
der Kranke, dafuͤr kann ich es nicht brauchen, es
thut nach itzigem Cours nicht mehr, als ein und
drey Qvart! Dieſes waren ſeine letzten Worte, und
er verſchied.
Stine Frogerta, ein frommes Weib. Sie
hatte ſehr oft andaͤchtige Entzuͤckungen, welche die
Kinder dieſer Welt ihrer verdorbnen Milz und dem
ungeſunden Gebluͤte zuſchreiben wollten. Wenn
ſie betete, ſo betete ſie mit Haͤnden und Fuͤßen,
und man konnte die Wirkung ihres glaͤubigen Her-
zens an allen Gliedern ſehen; wie ſie denn uͤber
die Unbußfertigkeit der verſtockten Welt ſich derge-
ſtalt betruͤbte, daß ſie rothe Augen, und einen krum-
men Hals bekommen hatte. Die dunkelſten
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Zitationshilfe: | [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/262>, abgerufen am 28.07.2024. |