seinem Willen solle ihn niemand um den Decem betrügen; mithin sähe er nicht, was man an ihm aussetzen wolle.
Uffo Suanvita, eines Schneiders Sohn. Anfänglich wollte der Vater, er sollte sein Hand- werk lernen; er stellte sich aber so dumm dabey an, daß man gar bald sah, er habe weder Witz noch Verstand genug, ein Schneider zu werden. Der betrübte Vater erzählte diese große Blödigkeit des Sohnes einigen seiner Collegen, welche alle der Meynung waren, er schicke sich zu gar nichts wei- ter, als zu einem Gelehrten. Dieser Entschluß ward ins Werk gerichtet. Der dumme Sohn mußte studieren; er lebte auch wirklich sechs Jahr lang auf der niedern Schule zu Bergen, und drey Jahre auf der Universität zu Coppenhagen; sodann absolvirte er mit Ehren, und kehrte zu den werthen Seinigen zurück, zwar älter, aber nicht klüger. Nunmehr wußte sein Vater so wenig, als andre Leute, was mit dem gelehrten Herrn Sohne anzu- fangen sey. Er behielt ihn bey sich, und war zu- frieden, daß er ihn wenigstens in der Küche brau- chen konnte. Er vertraute ihm zugleich die Auf- sicht über seine Hühner an, welche er in der That mit vieler Sorgfalt fütterte. Endlich starb der Vater, und die übrigen Freunde erbarmten sich über un- sern Suanvita, damit er nicht verhungern durfte. Diese kümmerlichen Umstände änderten sich auf einmal. Ein lübeckischer Kaufmann, welcher sein Vetter war, starb unvermuthet, und hinterließ ihm
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von Nicolaus Klimen.
ſeinem Willen ſolle ihn niemand um den Decem betruͤgen; mithin ſaͤhe er nicht, was man an ihm ausſetzen wolle.
Uffo Suanvita, eines Schneiders Sohn. Anfaͤnglich wollte der Vater, er ſollte ſein Hand- werk lernen; er ſtellte ſich aber ſo dumm dabey an, daß man gar bald ſah, er habe weder Witz noch Verſtand genug, ein Schneider zu werden. Der betruͤbte Vater erzaͤhlte dieſe große Bloͤdigkeit des Sohnes einigen ſeiner Collegen, welche alle der Meynung waren, er ſchicke ſich zu gar nichts wei- ter, als zu einem Gelehrten. Dieſer Entſchluß ward ins Werk gerichtet. Der dumme Sohn mußte ſtudieren; er lebte auch wirklich ſechs Jahr lang auf der niedern Schule zu Bergen, und drey Jahre auf der Univerſitaͤt zu Coppenhagen; ſodann abſolvirte er mit Ehren, und kehrte zu den werthen Seinigen zuruͤck, zwar aͤlter, aber nicht kluͤger. Nunmehr wußte ſein Vater ſo wenig, als andre Leute, was mit dem gelehrten Herrn Sohne anzu- fangen ſey. Er behielt ihn bey ſich, und war zu- frieden, daß er ihn wenigſtens in der Kuͤche brau- chen konnte. Er vertraute ihm zugleich die Auf- ſicht uͤber ſeine Huͤhner an, welche er in der That mit vieler Sorgfalt fuͤtterte. Endlich ſtarb der Vater, und die uͤbrigen Freunde erbarmten ſich uͤber un- ſern Suanvita, damit er nicht verhungern durfte. Dieſe kuͤmmerlichen Umſtaͤnde aͤnderten ſich auf einmal. Ein luͤbeckiſcher Kaufmann, welcher ſein Vetter war, ſtarb unvermuthet, und hinterließ ihm
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von Nicolaus Klimen.
ſeinem Willen ſolle ihn niemand um den Decem
betruͤgen; mithin ſaͤhe er nicht, was man an ihm
ausſetzen wolle.
Uffo Suanvita, eines Schneiders Sohn.
Anfaͤnglich wollte der Vater, er ſollte ſein Hand-
werk lernen; er ſtellte ſich aber ſo dumm dabey an,
daß man gar bald ſah, er habe weder Witz noch
Verſtand genug, ein Schneider zu werden. Der
betruͤbte Vater erzaͤhlte dieſe große Bloͤdigkeit des
Sohnes einigen ſeiner Collegen, welche alle der
Meynung waren, er ſchicke ſich zu gar nichts wei-
ter, als zu einem Gelehrten. Dieſer Entſchluß
ward ins Werk gerichtet. Der dumme Sohn
mußte ſtudieren; er lebte auch wirklich ſechs Jahr
lang auf der niedern Schule zu Bergen, und drey
Jahre auf der Univerſitaͤt zu Coppenhagen; ſodann
abſolvirte er mit Ehren, und kehrte zu den werthen
Seinigen zuruͤck, zwar aͤlter, aber nicht kluͤger.
Nunmehr wußte ſein Vater ſo wenig, als andre
Leute, was mit dem gelehrten Herrn Sohne anzu-
fangen ſey. Er behielt ihn bey ſich, und war zu-
frieden, daß er ihn wenigſtens in der Kuͤche brau-
chen konnte. Er vertraute ihm zugleich die Auf-
ſicht uͤber ſeine Huͤhner an, welche er in der That mit
vieler Sorgfalt fuͤtterte. Endlich ſtarb der Vater,
und die uͤbrigen Freunde erbarmten ſich uͤber un-
ſern Suanvita, damit er nicht verhungern durfte.
Dieſe kuͤmmerlichen Umſtaͤnde aͤnderten ſich auf
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/257>, abgerufen am 27.07.2024.
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