Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

von Nicolaus Klimen.
seinem Willen solle ihn niemand um den Decem
betrügen; mithin sähe er nicht, was man an ihm
aussetzen wolle.

Uffo Suanvita, eines Schneiders Sohn.
Anfänglich wollte der Vater, er sollte sein Hand-
werk lernen; er stellte sich aber so dumm dabey an,
daß man gar bald sah, er habe weder Witz noch
Verstand genug, ein Schneider zu werden. Der
betrübte Vater erzählte diese große Blödigkeit des
Sohnes einigen seiner Collegen, welche alle der
Meynung waren, er schicke sich zu gar nichts wei-
ter, als zu einem Gelehrten. Dieser Entschluß
ward ins Werk gerichtet. Der dumme Sohn
mußte studieren; er lebte auch wirklich sechs Jahr
lang auf der niedern Schule zu Bergen, und drey
Jahre auf der Universität zu Coppenhagen; sodann
absolvirte er mit Ehren, und kehrte zu den werthen
Seinigen zurück, zwar älter, aber nicht klüger.
Nunmehr wußte sein Vater so wenig, als andre
Leute, was mit dem gelehrten Herrn Sohne anzu-
fangen sey. Er behielt ihn bey sich, und war zu-
frieden, daß er ihn wenigstens in der Küche brau-
chen konnte. Er vertraute ihm zugleich die Auf-
sicht über seine Hühner an, welche er in der That mit
vieler Sorgfalt fütterte. Endlich starb der Vater,
und die übrigen Freunde erbarmten sich über un-
sern Suanvita, damit er nicht verhungern durfte.
Diese kümmerlichen Umstände änderten sich auf
einmal. Ein lübeckischer Kaufmann, welcher sein
Vetter war, starb unvermuthet, und hinterließ ihm

ein
M 4

von Nicolaus Klimen.
ſeinem Willen ſolle ihn niemand um den Decem
betruͤgen; mithin ſaͤhe er nicht, was man an ihm
ausſetzen wolle.

Uffo Suanvita, eines Schneiders Sohn.
Anfaͤnglich wollte der Vater, er ſollte ſein Hand-
werk lernen; er ſtellte ſich aber ſo dumm dabey an,
daß man gar bald ſah, er habe weder Witz noch
Verſtand genug, ein Schneider zu werden. Der
betruͤbte Vater erzaͤhlte dieſe große Bloͤdigkeit des
Sohnes einigen ſeiner Collegen, welche alle der
Meynung waren, er ſchicke ſich zu gar nichts wei-
ter, als zu einem Gelehrten. Dieſer Entſchluß
ward ins Werk gerichtet. Der dumme Sohn
mußte ſtudieren; er lebte auch wirklich ſechs Jahr
lang auf der niedern Schule zu Bergen, und drey
Jahre auf der Univerſitaͤt zu Coppenhagen; ſodann
abſolvirte er mit Ehren, und kehrte zu den werthen
Seinigen zuruͤck, zwar aͤlter, aber nicht kluͤger.
Nunmehr wußte ſein Vater ſo wenig, als andre
Leute, was mit dem gelehrten Herrn Sohne anzu-
fangen ſey. Er behielt ihn bey ſich, und war zu-
frieden, daß er ihn wenigſtens in der Kuͤche brau-
chen konnte. Er vertraute ihm zugleich die Auf-
ſicht uͤber ſeine Huͤhner an, welche er in der That mit
vieler Sorgfalt fuͤtterte. Endlich ſtarb der Vater,
und die uͤbrigen Freunde erbarmten ſich uͤber un-
ſern Suanvita, damit er nicht verhungern durfte.
Dieſe kuͤmmerlichen Umſtaͤnde aͤnderten ſich auf
einmal. Ein luͤbeckiſcher Kaufmann, welcher ſein
Vetter war, ſtarb unvermuthet, und hinterließ ihm

ein
M 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0257" n="183"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von Nicolaus Klimen.</hi></fw><lb/>
&#x017F;einem Willen &#x017F;olle ihn niemand um den Decem<lb/>
betru&#x0364;gen; mithin &#x017F;a&#x0364;he er nicht, was man an ihm<lb/>
aus&#x017F;etzen wolle.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Uffo Suanvita,</hi> eines Schneiders Sohn.<lb/>
Anfa&#x0364;nglich wollte der Vater, er &#x017F;ollte &#x017F;ein Hand-<lb/>
werk lernen; er &#x017F;tellte &#x017F;ich aber &#x017F;o dumm dabey an,<lb/>
daß man gar bald &#x017F;ah, er habe weder Witz noch<lb/>
Ver&#x017F;tand genug, ein Schneider zu werden. Der<lb/>
betru&#x0364;bte Vater erza&#x0364;hlte die&#x017F;e große Blo&#x0364;digkeit des<lb/>
Sohnes einigen &#x017F;einer Collegen, welche alle der<lb/>
Meynung waren, er &#x017F;chicke &#x017F;ich zu gar nichts wei-<lb/>
ter, als zu einem Gelehrten. Die&#x017F;er Ent&#x017F;chluß<lb/>
ward ins Werk gerichtet. Der dumme Sohn<lb/>
mußte &#x017F;tudieren; er lebte auch wirklich &#x017F;echs Jahr<lb/>
lang auf der niedern Schule zu Bergen, und drey<lb/>
Jahre auf der Univer&#x017F;ita&#x0364;t zu Coppenhagen; &#x017F;odann<lb/>
ab&#x017F;olvirte er mit Ehren, und kehrte zu den werthen<lb/>
Seinigen zuru&#x0364;ck, zwar a&#x0364;lter, aber nicht klu&#x0364;ger.<lb/>
Nunmehr wußte &#x017F;ein Vater &#x017F;o wenig, als andre<lb/>
Leute, was mit dem gelehrten Herrn Sohne anzu-<lb/>
fangen &#x017F;ey. Er behielt ihn bey &#x017F;ich, und war zu-<lb/>
frieden, daß er ihn wenig&#x017F;tens in der Ku&#x0364;che brau-<lb/>
chen konnte. Er vertraute ihm zugleich die Auf-<lb/>
&#x017F;icht u&#x0364;ber &#x017F;eine Hu&#x0364;hner an, welche er in der That mit<lb/>
vieler Sorgfalt fu&#x0364;tterte. Endlich &#x017F;tarb der Vater,<lb/>
und die u&#x0364;brigen Freunde erbarmten &#x017F;ich u&#x0364;ber un-<lb/>
&#x017F;ern <hi rendition="#fr">Suanvita,</hi> damit er nicht verhungern durfte.<lb/>
Die&#x017F;e ku&#x0364;mmerlichen Um&#x017F;ta&#x0364;nde a&#x0364;nderten &#x017F;ich auf<lb/>
einmal. Ein lu&#x0364;becki&#x017F;cher Kaufmann, welcher &#x017F;ein<lb/>
Vetter war, &#x017F;tarb unvermuthet, und hinterließ ihm<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M 4</fw><fw place="bottom" type="catch">ein</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0257] von Nicolaus Klimen. ſeinem Willen ſolle ihn niemand um den Decem betruͤgen; mithin ſaͤhe er nicht, was man an ihm ausſetzen wolle. Uffo Suanvita, eines Schneiders Sohn. Anfaͤnglich wollte der Vater, er ſollte ſein Hand- werk lernen; er ſtellte ſich aber ſo dumm dabey an, daß man gar bald ſah, er habe weder Witz noch Verſtand genug, ein Schneider zu werden. Der betruͤbte Vater erzaͤhlte dieſe große Bloͤdigkeit des Sohnes einigen ſeiner Collegen, welche alle der Meynung waren, er ſchicke ſich zu gar nichts wei- ter, als zu einem Gelehrten. Dieſer Entſchluß ward ins Werk gerichtet. Der dumme Sohn mußte ſtudieren; er lebte auch wirklich ſechs Jahr lang auf der niedern Schule zu Bergen, und drey Jahre auf der Univerſitaͤt zu Coppenhagen; ſodann abſolvirte er mit Ehren, und kehrte zu den werthen Seinigen zuruͤck, zwar aͤlter, aber nicht kluͤger. Nunmehr wußte ſein Vater ſo wenig, als andre Leute, was mit dem gelehrten Herrn Sohne anzu- fangen ſey. Er behielt ihn bey ſich, und war zu- frieden, daß er ihn wenigſtens in der Kuͤche brau- chen konnte. Er vertraute ihm zugleich die Auf- ſicht uͤber ſeine Huͤhner an, welche er in der That mit vieler Sorgfalt fuͤtterte. Endlich ſtarb der Vater, und die uͤbrigen Freunde erbarmten ſich uͤber un- ſern Suanvita, damit er nicht verhungern durfte. Dieſe kuͤmmerlichen Umſtaͤnde aͤnderten ſich auf einmal. Ein luͤbeckiſcher Kaufmann, welcher ſein Vetter war, ſtarb unvermuthet, und hinterließ ihm ein M 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/257
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/257>, abgerufen am 27.11.2024.