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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Eine Todtenliste
nicht zum wenigsten einen auctorein classicum edirt
hatte. Er schrieb eine kritische Untersuchung der
Frage: Ob Horaz die triefigten Augen von dem
Rauche seiner Oellamve, oder von den gesalznen
Fischen bekommen habe, die er in der Jugend bey
seinem Vater gegessen. Er behauptete die erste
Meynung; und weil sein College, der ehrliche Con-
rector, der letzten Meynung zugethan war, so warf
er einen so tödtlichen Haß auf ihn, daß er sich auch
nicht einmal auf dem Todbette mit demselben ver-
söhnen wollte. Ueber jeden Schnitzer wider die
Grammatik konnte er sich ärgern, daß er das Po-
dagra bekam; und als sein College, der Conrector,
ein Programma in seiner Muttersprache schrieb, so
ereiferte er sich dergestalt darüber, daß ihm das Po-
dagra in den Leib trat, woran er auch starb.

Stephan Wäderhat, ein friedfertiger Sol-
dat, welcher vor den Augen seiner Mutter als ein
gehorsamer Sohn gewandelt hat, bis an seinen
Tod. Er wünschte für sein Vaterland zu sterben,
und kam deswegen niemals aus Bergen. Er hat
Zeit seiner Kriegsdienste vielen Belagerungen und
Schlachten beygewohnt, aber nur von Haus aus.
Etlichemal geschah es, daß er mit ins Feld rücken
sollte; so bald er aber Ordre bekam, so überfiel ihn
eine starke Engbrünstigkeit, und er überschickte an
seiner Stelle ein Attestat vom Stadtphysicus, daß
er im Leibe nicht richtig wäre, und an dieser Krank-
heit vermuthlich nicht eher, als nach geendigtem
Feldzuge, geheilt werden dürfte. Deswegen aber
war er zu Hause nicht müßig; denn er trank alle

Tage

Eine Todtenliſte
nicht zum wenigſten einen auctorein claſſicum edirt
hatte. Er ſchrieb eine kritiſche Unterſuchung der
Frage: Ob Horaz die triefigten Augen von dem
Rauche ſeiner Oellamve, oder von den geſalznen
Fiſchen bekommen habe, die er in der Jugend bey
ſeinem Vater gegeſſen. Er behauptete die erſte
Meynung; und weil ſein College, der ehrliche Con-
rector, der letzten Meynung zugethan war, ſo warf
er einen ſo toͤdtlichen Haß auf ihn, daß er ſich auch
nicht einmal auf dem Todbette mit demſelben ver-
ſoͤhnen wollte. Ueber jeden Schnitzer wider die
Grammatik konnte er ſich aͤrgern, daß er das Po-
dagra bekam; und als ſein College, der Conrector,
ein Programma in ſeiner Mutterſprache ſchrieb, ſo
ereiferte er ſich dergeſtalt daruͤber, daß ihm das Po-
dagra in den Leib trat, woran er auch ſtarb.

Stephan Waͤderhat, ein friedfertiger Sol-
dat, welcher vor den Augen ſeiner Mutter als ein
gehorſamer Sohn gewandelt hat, bis an ſeinen
Tod. Er wuͤnſchte fuͤr ſein Vaterland zu ſterben,
und kam deswegen niemals aus Bergen. Er hat
Zeit ſeiner Kriegsdienſte vielen Belagerungen und
Schlachten beygewohnt, aber nur von Haus aus.
Etlichemal geſchah es, daß er mit ins Feld ruͤcken
ſollte; ſo bald er aber Ordre bekam, ſo uͤberfiel ihn
eine ſtarke Engbruͤnſtigkeit, und er uͤberſchickte an
ſeiner Stelle ein Atteſtat vom Stadtphyſicus, daß
er im Leibe nicht richtig waͤre, und an dieſer Krank-
heit vermuthlich nicht eher, als nach geendigtem
Feldzuge, geheilt werden duͤrfte. Deswegen aber
war er zu Hauſe nicht muͤßig; denn er trank alle

Tage
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[178/0252] Eine Todtenliſte nicht zum wenigſten einen auctorein claſſicum edirt hatte. Er ſchrieb eine kritiſche Unterſuchung der Frage: Ob Horaz die triefigten Augen von dem Rauche ſeiner Oellamve, oder von den geſalznen Fiſchen bekommen habe, die er in der Jugend bey ſeinem Vater gegeſſen. Er behauptete die erſte Meynung; und weil ſein College, der ehrliche Con- rector, der letzten Meynung zugethan war, ſo warf er einen ſo toͤdtlichen Haß auf ihn, daß er ſich auch nicht einmal auf dem Todbette mit demſelben ver- ſoͤhnen wollte. Ueber jeden Schnitzer wider die Grammatik konnte er ſich aͤrgern, daß er das Po- dagra bekam; und als ſein College, der Conrector, ein Programma in ſeiner Mutterſprache ſchrieb, ſo ereiferte er ſich dergeſtalt daruͤber, daß ihm das Po- dagra in den Leib trat, woran er auch ſtarb. Stephan Waͤderhat, ein friedfertiger Sol- dat, welcher vor den Augen ſeiner Mutter als ein gehorſamer Sohn gewandelt hat, bis an ſeinen Tod. Er wuͤnſchte fuͤr ſein Vaterland zu ſterben, und kam deswegen niemals aus Bergen. Er hat Zeit ſeiner Kriegsdienſte vielen Belagerungen und Schlachten beygewohnt, aber nur von Haus aus. Etlichemal geſchah es, daß er mit ins Feld ruͤcken ſollte; ſo bald er aber Ordre bekam, ſo uͤberfiel ihn eine ſtarke Engbruͤnſtigkeit, und er uͤberſchickte an ſeiner Stelle ein Atteſtat vom Stadtphyſicus, daß er im Leibe nicht richtig waͤre, und an dieſer Krank- heit vermuthlich nicht eher, als nach geendigtem Feldzuge, geheilt werden duͤrfte. Deswegen aber war er zu Hauſe nicht muͤßig; denn er trank alle Tage

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/252>, abgerufen am 24.11.2024.