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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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von Nicolaus Klimen.
Jahr sey bey der Schönheit dasjenige, was im
menschlichen Leben das große Stufenjahr heißt.
Man wird wenig Schönen finden, welche dasselbe
überleben; ich beweise dieses mit dem Exempel un-
srer Sigridinn. Um diese Zeit verlor sich das
Feuer ihrer Blicke, welches so viele Herzen in Flam-
men gesetzt hatte. Jhre Anbeter verschwanden,
mit ihren Reizungen: man konnte sie ansehen, oh-
ne den Verstand zu verlieren, und wenn sie gleich
unempfindlich that, so wollte doch niemand verzwei-
feln. Nunmehr kam die Reihe zu seufzen an sie.
Jn öffentlichen Gesellschaften war sie bemüht, den
Rest ihrer Reizungen an den Tag zu legen, um
wenigstens einen zu gewinnen, der ihr diejenigen
Schmeicheleyen vorsagte, deren sie seit langen Jah-
ren gewohnt war; aber umsonst. Man rechnete
sie unter die galanten Alterthümer, welche man
nicht ansehen kann, ohne an die Flüchtigkeit der
Zeit zu gedenken. Diese bezeigte Kaltsinnigkeit
machte sie unruhig; sie suchte ihren Zweck zu erlan-
gen, es möchte auch kosten, was es wolle. Jhre
verstellte Sittsamkeit verlor sich gänzlich; ihre Bli-
cke wurden frech, ihr Umgang unverschämt; sie
suchte dasjenige mit Sturm zu erobern, was sie
nicht mit List hatte erlangen können. Nunmehr
fieng sie an, verächtlich zu werden. Ein Dichter,
welcher ehedem ihr zu Ehren, alle Gestirne und Mi-
neralien in seinen Versen verschwendet hatte; die-
ser leichtsinnige Dichter, war so boshaft, daß er sie
die Chronike von Bergen nennte, und ihre unge-
zähmte Aufführung dergestalt lächerlich machte, daß

die

von Nicolaus Klimen.
Jahr ſey bey der Schoͤnheit dasjenige, was im
menſchlichen Leben das große Stufenjahr heißt.
Man wird wenig Schoͤnen finden, welche daſſelbe
uͤberleben; ich beweiſe dieſes mit dem Exempel un-
ſrer Sigridinn. Um dieſe Zeit verlor ſich das
Feuer ihrer Blicke, welches ſo viele Herzen in Flam-
men geſetzt hatte. Jhre Anbeter verſchwanden,
mit ihren Reizungen: man konnte ſie anſehen, oh-
ne den Verſtand zu verlieren, und wenn ſie gleich
unempfindlich that, ſo wollte doch niemand verzwei-
feln. Nunmehr kam die Reihe zu ſeufzen an ſie.
Jn oͤffentlichen Geſellſchaften war ſie bemuͤht, den
Reſt ihrer Reizungen an den Tag zu legen, um
wenigſtens einen zu gewinnen, der ihr diejenigen
Schmeicheleyen vorſagte, deren ſie ſeit langen Jah-
ren gewohnt war; aber umſonſt. Man rechnete
ſie unter die galanten Alterthuͤmer, welche man
nicht anſehen kann, ohne an die Fluͤchtigkeit der
Zeit zu gedenken. Dieſe bezeigte Kaltſinnigkeit
machte ſie unruhig; ſie ſuchte ihren Zweck zu erlan-
gen, es moͤchte auch koſten, was es wolle. Jhre
verſtellte Sittſamkeit verlor ſich gaͤnzlich; ihre Bli-
cke wurden frech, ihr Umgang unverſchaͤmt; ſie
ſuchte dasjenige mit Sturm zu erobern, was ſie
nicht mit Liſt hatte erlangen koͤnnen. Nunmehr
fieng ſie an, veraͤchtlich zu werden. Ein Dichter,
welcher ehedem ihr zu Ehren, alle Geſtirne und Mi-
neralien in ſeinen Verſen verſchwendet hatte; die-
ſer leichtſinnige Dichter, war ſo boshaft, daß er ſie
die Chronike von Bergen nennte, und ihre unge-
zaͤhmte Auffuͤhrung dergeſtalt laͤcherlich machte, daß

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[175/0249] von Nicolaus Klimen. Jahr ſey bey der Schoͤnheit dasjenige, was im menſchlichen Leben das große Stufenjahr heißt. Man wird wenig Schoͤnen finden, welche daſſelbe uͤberleben; ich beweiſe dieſes mit dem Exempel un- ſrer Sigridinn. Um dieſe Zeit verlor ſich das Feuer ihrer Blicke, welches ſo viele Herzen in Flam- men geſetzt hatte. Jhre Anbeter verſchwanden, mit ihren Reizungen: man konnte ſie anſehen, oh- ne den Verſtand zu verlieren, und wenn ſie gleich unempfindlich that, ſo wollte doch niemand verzwei- feln. Nunmehr kam die Reihe zu ſeufzen an ſie. Jn oͤffentlichen Geſellſchaften war ſie bemuͤht, den Reſt ihrer Reizungen an den Tag zu legen, um wenigſtens einen zu gewinnen, der ihr diejenigen Schmeicheleyen vorſagte, deren ſie ſeit langen Jah- ren gewohnt war; aber umſonſt. Man rechnete ſie unter die galanten Alterthuͤmer, welche man nicht anſehen kann, ohne an die Fluͤchtigkeit der Zeit zu gedenken. Dieſe bezeigte Kaltſinnigkeit machte ſie unruhig; ſie ſuchte ihren Zweck zu erlan- gen, es moͤchte auch koſten, was es wolle. Jhre verſtellte Sittſamkeit verlor ſich gaͤnzlich; ihre Bli- cke wurden frech, ihr Umgang unverſchaͤmt; ſie ſuchte dasjenige mit Sturm zu erobern, was ſie nicht mit Liſt hatte erlangen koͤnnen. Nunmehr fieng ſie an, veraͤchtlich zu werden. Ein Dichter, welcher ehedem ihr zu Ehren, alle Geſtirne und Mi- neralien in ſeinen Verſen verſchwendet hatte; die- ſer leichtſinnige Dichter, war ſo boshaft, daß er ſie die Chronike von Bergen nennte, und ihre unge- zaͤhmte Auffuͤhrung dergeſtalt laͤcherlich machte, daß die

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/249>, abgerufen am 24.11.2024.