ihn sein Nachbar auf, und alsdann votirte er alle- mal, wie der regierende Bürgermeister.
Hauns Erichson, ein fleißiger Mann. Er war in Sammlung und Lesung alter Bücher uner- müdet, lebte in seiner Studierstube zwey und sieben- zig Jahre, und ward nach seinem Tode nicht ver- mißt, weil er in seinem Leben der Welt mit nichts genutzt hat. Unter seinen Papieren hat man ei- nen Aufsatz gefunden, welcher den Titel führet; Unumstößlicher Beweis, daß ein gründlich Gelehr- ter nicht für andre Leute, sondern nur für sich, er- schaffen sey.
Jugo Alricus, ein geschickter Arzt. Wer unter seinen Händen starb, der starb dogmatisch. Er konnte aus dem Uringlase besser wahrsagen, als ein Zigeuner aus der Hand. Wenn er jemanden an den Puls fühlte, so war dieses ein sichres Zei- chen eines herannahenden Todes. Er war Leib- medicus von allen denen, welche alte geizige Witt- wen, oder solche Weiber hatten, die sich nicht wie- der aus der Welt finden konnten; und er verwal- tete sein Amt redlich. Alle seine Patienten curir- te er auf griechisch; wie ich denn nachgerechnet ha- be, daß binnen dreyen Jahren über vierhundert Leute am Hippokrates gestorben sind. Man kann leicht glauben, daß die Geistlichkeit, ich, der Küster, und andre Todtengräber, diesem fleißigen Manne viel zu danken haben.
Christian Tywede hatte auf der hohen Schu- le zu Abo seine Wissenschaften erlernt, war von
einem
Eine Todtenliſte
ihn ſein Nachbar auf, und alsdann votirte er alle- mal, wie der regierende Buͤrgermeiſter.
Hauns Erichſon, ein fleißiger Mann. Er war in Sammlung und Leſung alter Buͤcher uner- muͤdet, lebte in ſeiner Studierſtube zwey und ſieben- zig Jahre, und ward nach ſeinem Tode nicht ver- mißt, weil er in ſeinem Leben der Welt mit nichts genutzt hat. Unter ſeinen Papieren hat man ei- nen Aufſatz gefunden, welcher den Titel fuͤhret; Unumſtoͤßlicher Beweis, daß ein gruͤndlich Gelehr- ter nicht fuͤr andre Leute, ſondern nur fuͤr ſich, er- ſchaffen ſey.
Jugo Alricus, ein geſchickter Arzt. Wer unter ſeinen Haͤnden ſtarb, der ſtarb dogmatiſch. Er konnte aus dem Uringlaſe beſſer wahrſagen, als ein Zigeuner aus der Hand. Wenn er jemanden an den Puls fuͤhlte, ſo war dieſes ein ſichres Zei- chen eines herannahenden Todes. Er war Leib- medicus von allen denen, welche alte geizige Witt- wen, oder ſolche Weiber hatten, die ſich nicht wie- der aus der Welt finden konnten; und er verwal- tete ſein Amt redlich. Alle ſeine Patienten curir- te er auf griechiſch; wie ich denn nachgerechnet ha- be, daß binnen dreyen Jahren uͤber vierhundert Leute am Hippokrates geſtorben ſind. Man kann leicht glauben, daß die Geiſtlichkeit, ich, der Kuͤſter, und andre Todtengraͤber, dieſem fleißigen Manne viel zu danken haben.
Chriſtian Tywede hatte auf der hohen Schu- le zu Abo ſeine Wiſſenſchaften erlernt, war von
einem
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Eine Todtenliſte
ihn ſein Nachbar auf, und alsdann votirte er alle-
mal, wie der regierende Buͤrgermeiſter.
Hauns Erichſon, ein fleißiger Mann. Er
war in Sammlung und Leſung alter Buͤcher uner-
muͤdet, lebte in ſeiner Studierſtube zwey und ſieben-
zig Jahre, und ward nach ſeinem Tode nicht ver-
mißt, weil er in ſeinem Leben der Welt mit nichts
genutzt hat. Unter ſeinen Papieren hat man ei-
nen Aufſatz gefunden, welcher den Titel fuͤhret;
Unumſtoͤßlicher Beweis, daß ein gruͤndlich Gelehr-
ter nicht fuͤr andre Leute, ſondern nur fuͤr ſich, er-
ſchaffen ſey.
Jugo Alricus, ein geſchickter Arzt. Wer
unter ſeinen Haͤnden ſtarb, der ſtarb dogmatiſch.
Er konnte aus dem Uringlaſe beſſer wahrſagen, als
ein Zigeuner aus der Hand. Wenn er jemanden
an den Puls fuͤhlte, ſo war dieſes ein ſichres Zei-
chen eines herannahenden Todes. Er war Leib-
medicus von allen denen, welche alte geizige Witt-
wen, oder ſolche Weiber hatten, die ſich nicht wie-
der aus der Welt finden konnten; und er verwal-
tete ſein Amt redlich. Alle ſeine Patienten curir-
te er auf griechiſch; wie ich denn nachgerechnet ha-
be, daß binnen dreyen Jahren uͤber vierhundert
Leute am Hippokrates geſtorben ſind. Man kann
leicht glauben, daß die Geiſtlichkeit, ich, der Kuͤſter,
und andre Todtengraͤber, dieſem fleißigen Manne
viel zu danken haben.
Chriſtian Tywede hatte auf der hohen Schu-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/242>, abgerufen am 27.07.2024.
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