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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Jrus, der verlaßne Jrus, dessen Nahrung in
Brod und Wasser, die Kleidung in einem zer-
rißnen Mantel, und das Lager in einer Hand
voll Stroh bestund; dieser ward auf einmal der
glücklichste Mensch unter der Sonne.

Die Vorsicht riß ihn aus dem Staube, und setzte
ihn den Fürsten an die Seite. Er sah sich in dem
Besitze unermeßlicher Schätze. Sein Auge erstarrte
vor dem ungewöhnlichen Glanze des Goldes. Sein
Palast war weit prächtiger ausgeputzt, als die Tem-
pel der Götter. Purpur und Gold waren seine
schlechteste Kleidung, und seine Tafel konnte man
billig einen Jnnbegriff alles dessen nennen, was die
wollüstige Sorgfalt der Menschen zur Unterhaltung
des Geschmacks ersonnen hatte. Eine unzählbare
Menge schmeicherhafter Verehrer folgte ihm auf al-
len Schritten. Würdigte er jemanden eines ge-
neigten Blickes, so hielt man denselben schon für
glückselig, und wer seine Hand küssen durfte, der
schien allen beneidenswürdig zu seyn. Er glaubte,
der Name Jrus sey ihm ein beständiger Vorwurf
seiner vormaligen Armuth; er nannte sich also Ce-
raunius
oder den Blitzenden, und das ganze Volk
frohlockte über diese edelmüthige Veränderung. Ein
Dichter, welcher ihn vormals nur zum Spotte den
armen Jrus genannt hatte, dieser hungrige Dich-
ter entdeckte eine Wahrheit, die bisher jedermann
unbekannt gewesen, itzt aber von allen mit einem
schmeichlerischen Beyfalle angenommen wurde:

Jupi-




Jrus, der verlaßne Jrus, deſſen Nahrung in
Brod und Waſſer, die Kleidung in einem zer-
rißnen Mantel, und das Lager in einer Hand
voll Stroh beſtund; dieſer ward auf einmal der
gluͤcklichſte Menſch unter der Sonne.

Die Vorſicht riß ihn aus dem Staube, und ſetzte
ihn den Fuͤrſten an die Seite. Er ſah ſich in dem
Beſitze unermeßlicher Schaͤtze. Sein Auge erſtarrte
vor dem ungewoͤhnlichen Glanze des Goldes. Sein
Palaſt war weit praͤchtiger ausgeputzt, als die Tem-
pel der Goͤtter. Purpur und Gold waren ſeine
ſchlechteſte Kleidung, und ſeine Tafel konnte man
billig einen Jnnbegriff alles deſſen nennen, was die
wolluͤſtige Sorgfalt der Menſchen zur Unterhaltung
des Geſchmacks erſonnen hatte. Eine unzaͤhlbare
Menge ſchmeicherhafter Verehrer folgte ihm auf al-
len Schritten. Wuͤrdigte er jemanden eines ge-
neigten Blickes, ſo hielt man denſelben ſchon fuͤr
gluͤckſelig, und wer ſeine Hand kuͤſſen durfte, der
ſchien allen beneidenswuͤrdig zu ſeyn. Er glaubte,
der Name Jrus ſey ihm ein beſtaͤndiger Vorwurf
ſeiner vormaligen Armuth; er nannte ſich alſo Ce-
raunius
oder den Blitzenden, und das ganze Volk
frohlockte uͤber dieſe edelmuͤthige Veraͤnderung. Ein
Dichter, welcher ihn vormals nur zum Spotte den
armen Jrus genannt hatte, dieſer hungrige Dich-
ter entdeckte eine Wahrheit, die bisher jedermann
unbekannt geweſen, itzt aber von allen mit einem
ſchmeichleriſchen Beyfalle angenommen wurde:

Jupi-
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[158/0232] Jrus, der verlaßne Jrus, deſſen Nahrung in Brod und Waſſer, die Kleidung in einem zer- rißnen Mantel, und das Lager in einer Hand voll Stroh beſtund; dieſer ward auf einmal der gluͤcklichſte Menſch unter der Sonne. Die Vorſicht riß ihn aus dem Staube, und ſetzte ihn den Fuͤrſten an die Seite. Er ſah ſich in dem Beſitze unermeßlicher Schaͤtze. Sein Auge erſtarrte vor dem ungewoͤhnlichen Glanze des Goldes. Sein Palaſt war weit praͤchtiger ausgeputzt, als die Tem- pel der Goͤtter. Purpur und Gold waren ſeine ſchlechteſte Kleidung, und ſeine Tafel konnte man billig einen Jnnbegriff alles deſſen nennen, was die wolluͤſtige Sorgfalt der Menſchen zur Unterhaltung des Geſchmacks erſonnen hatte. Eine unzaͤhlbare Menge ſchmeicherhafter Verehrer folgte ihm auf al- len Schritten. Wuͤrdigte er jemanden eines ge- neigten Blickes, ſo hielt man denſelben ſchon fuͤr gluͤckſelig, und wer ſeine Hand kuͤſſen durfte, der ſchien allen beneidenswuͤrdig zu ſeyn. Er glaubte, der Name Jrus ſey ihm ein beſtaͤndiger Vorwurf ſeiner vormaligen Armuth; er nannte ſich alſo Ce- raunius oder den Blitzenden, und das ganze Volk frohlockte uͤber dieſe edelmuͤthige Veraͤnderung. Ein Dichter, welcher ihn vormals nur zum Spotte den armen Jrus genannt hatte, dieſer hungrige Dich- ter entdeckte eine Wahrheit, die bisher jedermann unbekannt geweſen, itzt aber von allen mit einem ſchmeichleriſchen Beyfalle angenommen wurde: Jupi-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/232>, abgerufen am 27.11.2024.