Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

der Satyre.
nen Eindruck schaffen dürfte? Spräche ich: Be-
denke doch, Harpax, was du thust! Der Geiz ist ja
eine Wurzel alles Uebels, und die da reich werden
wollen, fallen in Versuchung und Stricke, und viel
thörichte und schädliche Lüste, welche die Menschen
ins Verderben, und Verdammniß versenken! Ja,
ja, würde Harpax sprechen, unser Pfarrer sagte es
am Sonntage auch. Er würde gähnen, und die-
ses wäre der ganze Nutzen von meiner Sittenlehre.
Erzählen Sie ihm aber die Fabel vom kranken Hun-
de, welcher nur um deswillen bey seinem Sterben un-
ruhig und ängstlich ist, weil er die verscharrten
Beine nicht noch vor seinem Ende fressen, oder mit
sich nehmen soll, welcher gegen seinen vertrautesten
Freund argwöhnisch ist, welcher sich seine besten
Knochen herzuschleppen läßt, um solche wenigstens
noch einmal anzuriechen, welcher mitten unter
Seufzern und Gelübden für ein längeres Leben
seine geizige Seele von sich bläst. Erzählen Sie ihm,
sage ich, diese Fabel; was gilts, Harpax wird sich
schämen, und wenigstens eine innerliche Ueberzeu-
gung empfinden, daß seine Leidenschaft thöricht ist.

Aber; wer hat euch den Beruf gegeben, andre
zu tadeln? Seyd ihr selbst ohne Fehler, daß ihr
euch um die Mängel des Nächsten bekümmern
könnt? Schreibt ihr wohl eure Satyren aus Lie-
be, zu bessern, und nicht vielmehr aus Begierde,
zu lachen? Dieses sind gemeiniglich die Einwürfe,
die man macht. Sie sind leicht zu beantworten.
Wer mir, als einem Liebhaber der Weltweisheit,
die Macht gegeben hat, Sittenlehren zu schreiben,

von
J 5

der Satyre.
nen Eindruck ſchaffen duͤrfte? Spraͤche ich: Be-
denke doch, Harpax, was du thuſt! Der Geiz iſt ja
eine Wurzel alles Uebels, und die da reich werden
wollen, fallen in Verſuchung und Stricke, und viel
thoͤrichte und ſchaͤdliche Luͤſte, welche die Menſchen
ins Verderben, und Verdammniß verſenken! Ja,
ja, wuͤrde Harpax ſprechen, unſer Pfarrer ſagte es
am Sonntage auch. Er wuͤrde gaͤhnen, und die-
ſes waͤre der ganze Nutzen von meiner Sittenlehre.
Erzaͤhlen Sie ihm aber die Fabel vom kranken Hun-
de, welcher nur um deswillen bey ſeinem Sterben un-
ruhig und aͤngſtlich iſt, weil er die verſcharrten
Beine nicht noch vor ſeinem Ende freſſen, oder mit
ſich nehmen ſoll, welcher gegen ſeinen vertrauteſten
Freund argwoͤhniſch iſt, welcher ſich ſeine beſten
Knochen herzuſchleppen laͤßt, um ſolche wenigſtens
noch einmal anzuriechen, welcher mitten unter
Seufzern und Geluͤbden fuͤr ein laͤngeres Leben
ſeine geizige Seele von ſich blaͤſt. Erzaͤhlen Sie ihm,
ſage ich, dieſe Fabel; was gilts, Harpax wird ſich
ſchaͤmen, und wenigſtens eine innerliche Ueberzeu-
gung empfinden, daß ſeine Leidenſchaft thoͤricht iſt.

Aber; wer hat euch den Beruf gegeben, andre
zu tadeln? Seyd ihr ſelbſt ohne Fehler, daß ihr
euch um die Maͤngel des Naͤchſten bekuͤmmern
koͤnnt? Schreibt ihr wohl eure Satyren aus Lie-
be, zu beſſern, und nicht vielmehr aus Begierde,
zu lachen? Dieſes ſind gemeiniglich die Einwuͤrfe,
die man macht. Sie ſind leicht zu beantworten.
Wer mir, als einem Liebhaber der Weltweisheit,
die Macht gegeben hat, Sittenlehren zu ſchreiben,

von
J 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0211" n="137"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Satyre.</hi></fw><lb/>
nen Eindruck &#x017F;chaffen du&#x0364;rfte? Spra&#x0364;che ich: Be-<lb/>
denke doch, Harpax, was du thu&#x017F;t! Der Geiz i&#x017F;t ja<lb/>
eine Wurzel alles Uebels, und die da reich werden<lb/>
wollen, fallen in Ver&#x017F;uchung und Stricke, und viel<lb/>
tho&#x0364;richte und &#x017F;cha&#x0364;dliche Lu&#x0364;&#x017F;te, welche die Men&#x017F;chen<lb/>
ins Verderben, und Verdammniß ver&#x017F;enken! Ja,<lb/>
ja, wu&#x0364;rde Harpax &#x017F;prechen, un&#x017F;er Pfarrer &#x017F;agte es<lb/>
am Sonntage auch. Er wu&#x0364;rde ga&#x0364;hnen, und die-<lb/>
&#x017F;es wa&#x0364;re der ganze Nutzen von meiner Sittenlehre.<lb/>
Erza&#x0364;hlen Sie ihm aber die Fabel vom kranken Hun-<lb/>
de, welcher nur um deswillen bey &#x017F;einem Sterben un-<lb/>
ruhig und a&#x0364;ng&#x017F;tlich i&#x017F;t, weil er die ver&#x017F;charrten<lb/>
Beine nicht noch vor &#x017F;einem Ende fre&#x017F;&#x017F;en, oder mit<lb/>
&#x017F;ich nehmen &#x017F;oll, welcher gegen &#x017F;einen vertraute&#x017F;ten<lb/>
Freund argwo&#x0364;hni&#x017F;ch i&#x017F;t, welcher &#x017F;ich &#x017F;eine be&#x017F;ten<lb/>
Knochen herzu&#x017F;chleppen la&#x0364;ßt, um &#x017F;olche wenig&#x017F;tens<lb/>
noch einmal anzuriechen, welcher mitten unter<lb/>
Seufzern und Gelu&#x0364;bden fu&#x0364;r ein la&#x0364;ngeres Leben<lb/>
&#x017F;eine geizige Seele von &#x017F;ich bla&#x0364;&#x017F;t. Erza&#x0364;hlen Sie ihm,<lb/>
&#x017F;age ich, die&#x017F;e Fabel; was gilts, Harpax wird &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;men, und wenig&#x017F;tens eine innerliche Ueberzeu-<lb/>
gung empfinden, daß &#x017F;eine Leiden&#x017F;chaft tho&#x0364;richt i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Aber; wer hat euch den Beruf gegeben, andre<lb/>
zu tadeln? Seyd ihr &#x017F;elb&#x017F;t ohne Fehler, daß ihr<lb/>
euch um die Ma&#x0364;ngel des Na&#x0364;ch&#x017F;ten beku&#x0364;mmern<lb/>
ko&#x0364;nnt? Schreibt ihr wohl eure Satyren aus Lie-<lb/>
be, zu be&#x017F;&#x017F;ern, und nicht vielmehr aus Begierde,<lb/>
zu lachen? Die&#x017F;es &#x017F;ind gemeiniglich die Einwu&#x0364;rfe,<lb/>
die man macht. Sie &#x017F;ind leicht zu beantworten.<lb/>
Wer mir, als einem Liebhaber der Weltweisheit,<lb/>
die Macht gegeben hat, Sittenlehren zu &#x017F;chreiben,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 5</fw><fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0211] der Satyre. nen Eindruck ſchaffen duͤrfte? Spraͤche ich: Be- denke doch, Harpax, was du thuſt! Der Geiz iſt ja eine Wurzel alles Uebels, und die da reich werden wollen, fallen in Verſuchung und Stricke, und viel thoͤrichte und ſchaͤdliche Luͤſte, welche die Menſchen ins Verderben, und Verdammniß verſenken! Ja, ja, wuͤrde Harpax ſprechen, unſer Pfarrer ſagte es am Sonntage auch. Er wuͤrde gaͤhnen, und die- ſes waͤre der ganze Nutzen von meiner Sittenlehre. Erzaͤhlen Sie ihm aber die Fabel vom kranken Hun- de, welcher nur um deswillen bey ſeinem Sterben un- ruhig und aͤngſtlich iſt, weil er die verſcharrten Beine nicht noch vor ſeinem Ende freſſen, oder mit ſich nehmen ſoll, welcher gegen ſeinen vertrauteſten Freund argwoͤhniſch iſt, welcher ſich ſeine beſten Knochen herzuſchleppen laͤßt, um ſolche wenigſtens noch einmal anzuriechen, welcher mitten unter Seufzern und Geluͤbden fuͤr ein laͤngeres Leben ſeine geizige Seele von ſich blaͤſt. Erzaͤhlen Sie ihm, ſage ich, dieſe Fabel; was gilts, Harpax wird ſich ſchaͤmen, und wenigſtens eine innerliche Ueberzeu- gung empfinden, daß ſeine Leidenſchaft thoͤricht iſt. Aber; wer hat euch den Beruf gegeben, andre zu tadeln? Seyd ihr ſelbſt ohne Fehler, daß ihr euch um die Maͤngel des Naͤchſten bekuͤmmern koͤnnt? Schreibt ihr wohl eure Satyren aus Lie- be, zu beſſern, und nicht vielmehr aus Begierde, zu lachen? Dieſes ſind gemeiniglich die Einwuͤrfe, die man macht. Sie ſind leicht zu beantworten. Wer mir, als einem Liebhaber der Weltweisheit, die Macht gegeben hat, Sittenlehren zu ſchreiben, von J 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/211
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/211>, abgerufen am 27.11.2024.