Wie meynen Sie wohl, mein Herr, daß mir damals zu Muthe gewesen ist? Wahrhaftig, so sehr hat sich wohl Plato kaum geschämt, als ihn Dio- genes durch einen nackigten Hahn, wegen seiner ir- rigen Meynung, lächerlich machen wollte. Jch gieng ganz bestürzt nach Hause.
Allein, das war noch nicht genug. Dieser Tag schien recht zu meiner Demüthigung ausersehen zu seyn. Jch fand unsern Hofmeister, welcher seinen Sohn mit vielem Eifer ausgescholten hatte. Jch hörte nur noch so viel, daß er zu ihm sagte: "Du "bist mir ein braver Kerl! Du schickst dich zu al- "lem, wie der Esel zum Lautenschlagen. Ein Narr "bleibt ein Narr, und wenn man ihn im Mörsel zer- "stieße. Du kannst nichts, du hast nichts gelernt, "du willst nichts lernen, was soll denn endlich aus "dir werden? Halte dein Maul, oder - -! Fort! "Packe dich! Geh mir aus den Augen!" Jch er- staunte, als ich dieses hörte. Wie? dachte ich. Unser Hofmeister, ein Bauer, ein Mann, der weder lesen noch schreiben kann; der versteht die Rede- kunst! Sarkasmus, Diasyrmus, Ploki, Anaphora, Ellipsis, Asyndeton, sind dieses nicht alle die Figu- ren, die ich itzt von ihm gehört habe? Und der Kerl hat nicht studiert! Wie geht das Ding zu? Jch redete ihn an. Jch fragte ihn, warum er sich so er- eifert hätte? Was! sprach er, das ist mein Junge, und ich soll mich nicht ärgern, daß sich der Schlin- gel auf die faule Seite legt? Neue Wunder! Un- ser Hofmeister versteht auch die Logik. Jst dieses
nicht
Von Erlernung der Sprachen
Wie meynen Sie wohl, mein Herr, daß mir damals zu Muthe geweſen iſt? Wahrhaftig, ſo ſehr hat ſich wohl Plato kaum geſchaͤmt, als ihn Dio- genes durch einen nackigten Hahn, wegen ſeiner ir- rigen Meynung, laͤcherlich machen wollte. Jch gieng ganz beſtuͤrzt nach Hauſe.
Allein, das war noch nicht genug. Dieſer Tag ſchien recht zu meiner Demuͤthigung auserſehen zu ſeyn. Jch fand unſern Hofmeiſter, welcher ſeinen Sohn mit vielem Eifer ausgeſcholten hatte. Jch hoͤrte nur noch ſo viel, daß er zu ihm ſagte: „Du „biſt mir ein braver Kerl! Du ſchickſt dich zu al- „lem, wie der Eſel zum Lautenſchlagen. Ein Narr „bleibt ein Narr, und wenn man ihn im Moͤrſel zer- „ſtieße. Du kannſt nichts, du haſt nichts gelernt, „du willſt nichts lernen, was ſoll denn endlich aus „dir werden? Halte dein Maul, oder ‒ ‒! Fort! „Packe dich! Geh mir aus den Augen!“ Jch er- ſtaunte, als ich dieſes hoͤrte. Wie? dachte ich. Unſer Hofmeiſter, ein Bauer, ein Mann, der weder leſen noch ſchreiben kann; der verſteht die Rede- kunſt! Sarkaſmus, Diaſyrmus, Ploki, Anaphora, Ellipſis, Aſyndeton, ſind dieſes nicht alle die Figu- ren, die ich itzt von ihm gehoͤrt habe? Und der Kerl hat nicht ſtudiert! Wie geht das Ding zu? Jch redete ihn an. Jch fragte ihn, warum er ſich ſo er- eifert haͤtte? Was! ſprach er, das iſt mein Junge, und ich ſoll mich nicht aͤrgern, daß ſich der Schlin- gel auf die faule Seite legt? Neue Wunder! Un- ſer Hofmeiſter verſteht auch die Logik. Jſt dieſes
nicht
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Von Erlernung der Sprachen
Wie meynen Sie wohl, mein Herr, daß mir
damals zu Muthe geweſen iſt? Wahrhaftig, ſo ſehr
hat ſich wohl Plato kaum geſchaͤmt, als ihn Dio-
genes durch einen nackigten Hahn, wegen ſeiner ir-
rigen Meynung, laͤcherlich machen wollte. Jch
gieng ganz beſtuͤrzt nach Hauſe.
Allein, das war noch nicht genug. Dieſer Tag
ſchien recht zu meiner Demuͤthigung auserſehen zu
ſeyn. Jch fand unſern Hofmeiſter, welcher ſeinen
Sohn mit vielem Eifer ausgeſcholten hatte. Jch
hoͤrte nur noch ſo viel, daß er zu ihm ſagte: „Du
„biſt mir ein braver Kerl! Du ſchickſt dich zu al-
„lem, wie der Eſel zum Lautenſchlagen. Ein Narr
„bleibt ein Narr, und wenn man ihn im Moͤrſel zer-
„ſtieße. Du kannſt nichts, du haſt nichts gelernt,
„du willſt nichts lernen, was ſoll denn endlich aus
„dir werden? Halte dein Maul, oder ‒ ‒! Fort!
„Packe dich! Geh mir aus den Augen!“ Jch er-
ſtaunte, als ich dieſes hoͤrte. Wie? dachte ich.
Unſer Hofmeiſter, ein Bauer, ein Mann, der weder
leſen noch ſchreiben kann; der verſteht die Rede-
kunſt! Sarkaſmus, Diaſyrmus, Ploki, Anaphora,
Ellipſis, Aſyndeton, ſind dieſes nicht alle die Figu-
ren, die ich itzt von ihm gehoͤrt habe? Und der Kerl
hat nicht ſtudiert! Wie geht das Ding zu? Jch
redete ihn an. Jch fragte ihn, warum er ſich ſo er-
eifert haͤtte? Was! ſprach er, das iſt mein Junge,
und ich ſoll mich nicht aͤrgern, daß ſich der Schlin-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/190>, abgerufen am 16.02.2025.
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