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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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des Dörfleins Qverleqvitsch.
wird zuerst vorgenommen. Es ist keine Mauer, keine
Stube, kein Fenster, kein Ziegel auf dem Dache, wel-
chen er nicht nach seiner Länge und Breite beschreibt,
ja den Einfältigen zum Besten, hat er so gar einige
Risse nebst dem Maasstabe beygefügt. Es gehört
eine ziemliche Geduld dazu, wenn man alles will
durchlesen. Doch darf ihm dieses nicht als ein Feh-
ler ausgelegt werden, weil er nichts gethan hat, als
was unsre Scribenten mit einer unermüdeten
Sorgfalt noch heutiges Tages thun.

Ueber dem Thorwege entdeckt er eine alte steiner-
ne Figur, welche nach dem verfertigten Entwurfe ver-
muthlich nichts anders ist, als eine Verzierung von
Laubwerke, er will es aber für ein hochadeliches Wa-
pen ansehen, woraus er verschiedene Verbindungen
des gestrengen Junkers mit andern Familien, und
zugleich einige rechtsgegründete Ansprüche auf sechs
Rittergüter ableitet.

Einen Thurm, welcher den Bauern zum Gefäng-
nisse dienen muß, hält er für besonders merkwürdig.
Er nennt ihn ein Schrecken der Widerspänstigen
und einen Tempel der Gerechtigkeit, den Gerichts-
voigt aber sacerdotem iustitiae, und zeigt bey dieser
guten Gelegenheit, den gegründeten Unterschied zwi-
schen dem geistlichen und weltlichen Arme.

Das Gemeindehaus kann er mit Stillschweigen
nicht übergehen. Er machet eine beynahe eben so
lebhafte Abbildung davon, als von dem Rittersitze;
über die dabey stehende Linde aber, worunter die
Bauern ordentlich zusammen kommen, bezeigt er eine
herzliche Freude, weil sie ihn auf die Geschichte der

alten
Erster Theil. G

des Doͤrfleins Qverleqvitſch.
wird zuerſt vorgenommen. Es iſt keine Mauer, keine
Stube, kein Fenſter, kein Ziegel auf dem Dache, wel-
chen er nicht nach ſeiner Laͤnge und Breite beſchreibt,
ja den Einfaͤltigen zum Beſten, hat er ſo gar einige
Riſſe nebſt dem Maasſtabe beygefuͤgt. Es gehoͤrt
eine ziemliche Geduld dazu, wenn man alles will
durchleſen. Doch darf ihm dieſes nicht als ein Feh-
ler ausgelegt werden, weil er nichts gethan hat, als
was unſre Scribenten mit einer unermuͤdeten
Sorgfalt noch heutiges Tages thun.

Ueber dem Thorwege entdeckt er eine alte ſteiner-
ne Figur, welche nach dem verfertigten Entwurfe ver-
muthlich nichts anders iſt, als eine Verzierung von
Laubwerke, er will es aber fuͤr ein hochadeliches Wa-
pen anſehen, woraus er verſchiedene Verbindungen
des geſtrengen Junkers mit andern Familien, und
zugleich einige rechtsgegruͤndete Anſpruͤche auf ſechs
Ritterguͤter ableitet.

Einen Thurm, welcher den Bauern zum Gefaͤng-
niſſe dienen muß, haͤlt er fuͤr beſonders merkwuͤrdig.
Er nennt ihn ein Schrecken der Widerſpaͤnſtigen
und einen Tempel der Gerechtigkeit, den Gerichts-
voigt aber ſacerdotem iuſtitiae, und zeigt bey dieſer
guten Gelegenheit, den gegruͤndeten Unterſchied zwi-
ſchen dem geiſtlichen und weltlichen Arme.

Das Gemeindehaus kann er mit Stillſchweigen
nicht uͤbergehen. Er machet eine beynahe eben ſo
lebhafte Abbildung davon, als von dem Ritterſitze;
uͤber die dabey ſtehende Linde aber, worunter die
Bauern ordentlich zuſammen kommen, bezeigt er eine
herzliche Freude, weil ſie ihn auf die Geſchichte der

alten
Erſter Theil. G
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[97/0171] des Doͤrfleins Qverleqvitſch. wird zuerſt vorgenommen. Es iſt keine Mauer, keine Stube, kein Fenſter, kein Ziegel auf dem Dache, wel- chen er nicht nach ſeiner Laͤnge und Breite beſchreibt, ja den Einfaͤltigen zum Beſten, hat er ſo gar einige Riſſe nebſt dem Maasſtabe beygefuͤgt. Es gehoͤrt eine ziemliche Geduld dazu, wenn man alles will durchleſen. Doch darf ihm dieſes nicht als ein Feh- ler ausgelegt werden, weil er nichts gethan hat, als was unſre Scribenten mit einer unermuͤdeten Sorgfalt noch heutiges Tages thun. Ueber dem Thorwege entdeckt er eine alte ſteiner- ne Figur, welche nach dem verfertigten Entwurfe ver- muthlich nichts anders iſt, als eine Verzierung von Laubwerke, er will es aber fuͤr ein hochadeliches Wa- pen anſehen, woraus er verſchiedene Verbindungen des geſtrengen Junkers mit andern Familien, und zugleich einige rechtsgegruͤndete Anſpruͤche auf ſechs Ritterguͤter ableitet. Einen Thurm, welcher den Bauern zum Gefaͤng- niſſe dienen muß, haͤlt er fuͤr beſonders merkwuͤrdig. Er nennt ihn ein Schrecken der Widerſpaͤnſtigen und einen Tempel der Gerechtigkeit, den Gerichts- voigt aber ſacerdotem iuſtitiae, und zeigt bey dieſer guten Gelegenheit, den gegruͤndeten Unterſchied zwi- ſchen dem geiſtlichen und weltlichen Arme. Das Gemeindehaus kann er mit Stillſchweigen nicht uͤbergehen. Er machet eine beynahe eben ſo lebhafte Abbildung davon, als von dem Ritterſitze; uͤber die dabey ſtehende Linde aber, worunter die Bauern ordentlich zuſammen kommen, bezeigt er eine herzliche Freude, weil ſie ihn auf die Geſchichte der alten Erſter Theil. G

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/171>, abgerufen am 24.11.2024.