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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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eines Wittwers.
Jch sehe dem Tode meiner Frau getrost entgegen,
weil ich dadurch aufhöre, eine beschwerliche Rolle
zu spielen, und weil ich ihr diejenige Ruhe von
Herzen gönne, welche die Weltweisen so lebhaft
zu rühmen wissen. Meine Frau fiel in eine
Krankheit, wobey gleich die ersten Anzeigen tödt-
lich waren. Sie nahm ihre Zuflucht zum Arzte,
welcher sie in seiner Sprache sehr umständlich ver-
sicherte, daß sie sich nicht wohl befände. Er hatte
Recht; denn das Uebel nahm in wenigen Stun-
den dergestalt zu, daß er an nichts weiter gedachte,
als sie nur nach gehöriger Ordnung zu ihren Vä-
tern zu versammlen. Man kann das Gemüth ei-
nes Menschen niemals besser einsehen, als in dem-
jenigen Augenblicke, wenn die Seele anfängt, sich
von der Beschwerlichkeit des Leibes frey zu machen.
Dieses habe ich an meiner sterbenden Frau beob-
achtet. Sie foderte einen Spiegel; sie sah sich an,
und erschrack. Jch sterbe, rief sie, ich sterbe zu
früh! Meine Schuldigkeit war, sie zu trösten. Jch
redete ihr zu; sie solle nur freudig sterben. Aber ein
zorniger Blick unterbrach meine Vermahnung; sie
stieß mich mit den Worten von sich: Schweig, Ver-
räther! Dieses war ihr letzter Wille, welchen sie in
dem Augenblicke mit ihrem Tode versiegelte.

Jch bin nicht vermögend, meine Herren, Jhnen
dasjenige deutlich gnug zu beschreiben, was ich da-
mals in meinem Gemüthe empfand. Stellen Sie
sich einen Menschen vor, welchen ein fürchterlicher
Traum beunruhigt. Er befindet sich auf der See,

wo
F 3

eines Wittwers.
Jch ſehe dem Tode meiner Frau getroſt entgegen,
weil ich dadurch aufhoͤre, eine beſchwerliche Rolle
zu ſpielen, und weil ich ihr diejenige Ruhe von
Herzen goͤnne, welche die Weltweiſen ſo lebhaft
zu ruͤhmen wiſſen. Meine Frau fiel in eine
Krankheit, wobey gleich die erſten Anzeigen toͤdt-
lich waren. Sie nahm ihre Zuflucht zum Arzte,
welcher ſie in ſeiner Sprache ſehr umſtaͤndlich ver-
ſicherte, daß ſie ſich nicht wohl befaͤnde. Er hatte
Recht; denn das Uebel nahm in wenigen Stun-
den dergeſtalt zu, daß er an nichts weiter gedachte,
als ſie nur nach gehoͤriger Ordnung zu ihren Vaͤ-
tern zu verſammlen. Man kann das Gemuͤth ei-
nes Menſchen niemals beſſer einſehen, als in dem-
jenigen Augenblicke, wenn die Seele anfaͤngt, ſich
von der Beſchwerlichkeit des Leibes frey zu machen.
Dieſes habe ich an meiner ſterbenden Frau beob-
achtet. Sie foderte einen Spiegel; ſie ſah ſich an,
und erſchrack. Jch ſterbe, rief ſie, ich ſterbe zu
fruͤh! Meine Schuldigkeit war, ſie zu troͤſten. Jch
redete ihr zu; ſie ſolle nur freudig ſterben. Aber ein
zorniger Blick unterbrach meine Vermahnung; ſie
ſtieß mich mit den Worten von ſich: Schweig, Ver-
raͤther! Dieſes war ihr letzter Wille, welchen ſie in
dem Augenblicke mit ihrem Tode verſiegelte.

Jch bin nicht vermoͤgend, meine Herren, Jhnen
dasjenige deutlich gnug zu beſchreiben, was ich da-
mals in meinem Gemuͤthe empfand. Stellen Sie
ſich einen Menſchen vor, welchen ein fuͤrchterlicher
Traum beunruhigt. Er befindet ſich auf der See,

wo
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[85/0159] eines Wittwers. Jch ſehe dem Tode meiner Frau getroſt entgegen, weil ich dadurch aufhoͤre, eine beſchwerliche Rolle zu ſpielen, und weil ich ihr diejenige Ruhe von Herzen goͤnne, welche die Weltweiſen ſo lebhaft zu ruͤhmen wiſſen. Meine Frau fiel in eine Krankheit, wobey gleich die erſten Anzeigen toͤdt- lich waren. Sie nahm ihre Zuflucht zum Arzte, welcher ſie in ſeiner Sprache ſehr umſtaͤndlich ver- ſicherte, daß ſie ſich nicht wohl befaͤnde. Er hatte Recht; denn das Uebel nahm in wenigen Stun- den dergeſtalt zu, daß er an nichts weiter gedachte, als ſie nur nach gehoͤriger Ordnung zu ihren Vaͤ- tern zu verſammlen. Man kann das Gemuͤth ei- nes Menſchen niemals beſſer einſehen, als in dem- jenigen Augenblicke, wenn die Seele anfaͤngt, ſich von der Beſchwerlichkeit des Leibes frey zu machen. Dieſes habe ich an meiner ſterbenden Frau beob- achtet. Sie foderte einen Spiegel; ſie ſah ſich an, und erſchrack. Jch ſterbe, rief ſie, ich ſterbe zu fruͤh! Meine Schuldigkeit war, ſie zu troͤſten. Jch redete ihr zu; ſie ſolle nur freudig ſterben. Aber ein zorniger Blick unterbrach meine Vermahnung; ſie ſtieß mich mit den Worten von ſich: Schweig, Ver- raͤther! Dieſes war ihr letzter Wille, welchen ſie in dem Augenblicke mit ihrem Tode verſiegelte. Jch bin nicht vermoͤgend, meine Herren, Jhnen dasjenige deutlich gnug zu beſchreiben, was ich da- mals in meinem Gemuͤthe empfand. Stellen Sie ſich einen Menſchen vor, welchen ein fuͤrchterlicher Traum beunruhigt. Er befindet ſich auf der See, wo F 3

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/159>, abgerufen am 24.11.2024.