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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Lobschrift auf Amouretten,
den künftigen Geschichtschreibern eine mühsame Un-
tersuchung, und den andern Dörfern selbiger Ge-
gend einen hitzigen Wettstreit erspare, welches un-
ter ihnen sich dieser Ehre anzumaaßen habe. Bey
der Geburt selbst hat sich eben nichts merkwürdiges
zugetragen. Ein Winzer, ihr Pflegevater, sagte
mir, daß sie gleich anfangs sehr gewinselt, und er
daher befürchtet habe, es würde ihr in der Welt
unglücklich gehen. Allein, die Folge hat gewiesen,
daß diese abergläubische Meynung ungegründet ge-
wesen ist. Jhre Mutter ist aus einem zwar guten,
doch gemeinen, Bürgerhause; und ihr Vater soll
von einem adlichen Hofe seyn. Es ist eine Ver-
muthung, welche viele Umstände glaubwürdig ma-
chen. Die ganze Sache bleibt freylich eine Unge-
wißheit. Allein, dieses ist etwas gewöhnliches, und
kann Amouretten bey vernünftigen Leuten nicht
zum Vorwurfe gereichen. Sie hat noch zween
Brüder gehabt, welche gleich nach der Geburt er-
säuft worden sind, und meine Amourette würde ein
gleiches Schicksal erfahren haben, wenn sie nicht
ihre ehrliche und gute Gesichtsbildung davon be-
freyet hätte. Sie blieb also die einzige in ihrer
Mutterhütte; und es wäre daher kein Wunder ge-
wesen, wenn man sie bey ihrer Auferziehung verzär-
telt, und in aller üppigen Wollust und eigenwilliger
Freyheit gelassen hätte. Allein dieses geschah nicht.
Sie ward von ihrer Mutter geliebt, welche sie auch
nicht einmal einer Amme anvertrauen wollte, son-
dern es für ihre Schuldigkeit hielt, sie selbst zu säu-
gen. Bey zunehmendem Alter ward sie zu allen

mögli-

Lobſchrift auf Amouretten,
den kuͤnftigen Geſchichtſchreibern eine muͤhſame Un-
terſuchung, und den andern Doͤrfern ſelbiger Ge-
gend einen hitzigen Wettſtreit erſpare, welches un-
ter ihnen ſich dieſer Ehre anzumaaßen habe. Bey
der Geburt ſelbſt hat ſich eben nichts merkwuͤrdiges
zugetragen. Ein Winzer, ihr Pflegevater, ſagte
mir, daß ſie gleich anfangs ſehr gewinſelt, und er
daher befuͤrchtet habe, es wuͤrde ihr in der Welt
ungluͤcklich gehen. Allein, die Folge hat gewieſen,
daß dieſe aberglaͤubiſche Meynung ungegruͤndet ge-
weſen iſt. Jhre Mutter iſt aus einem zwar guten,
doch gemeinen, Buͤrgerhauſe; und ihr Vater ſoll
von einem adlichen Hofe ſeyn. Es iſt eine Ver-
muthung, welche viele Umſtaͤnde glaubwuͤrdig ma-
chen. Die ganze Sache bleibt freylich eine Unge-
wißheit. Allein, dieſes iſt etwas gewoͤhnliches, und
kann Amouretten bey vernuͤnftigen Leuten nicht
zum Vorwurfe gereichen. Sie hat noch zween
Bruͤder gehabt, welche gleich nach der Geburt er-
ſaͤuft worden ſind, und meine Amourette wuͤrde ein
gleiches Schickſal erfahren haben, wenn ſie nicht
ihre ehrliche und gute Geſichtsbildung davon be-
freyet haͤtte. Sie blieb alſo die einzige in ihrer
Mutterhuͤtte; und es waͤre daher kein Wunder ge-
weſen, wenn man ſie bey ihrer Auferziehung verzaͤr-
telt, und in aller uͤppigen Wolluſt und eigenwilliger
Freyheit gelaſſen haͤtte. Allein dieſes geſchah nicht.
Sie ward von ihrer Mutter geliebt, welche ſie auch
nicht einmal einer Amme anvertrauen wollte, ſon-
dern es fuͤr ihre Schuldigkeit hielt, ſie ſelbſt zu ſaͤu-
gen. Bey zunehmendem Alter ward ſie zu allen

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[50/0124] Lobſchrift auf Amouretten, den kuͤnftigen Geſchichtſchreibern eine muͤhſame Un- terſuchung, und den andern Doͤrfern ſelbiger Ge- gend einen hitzigen Wettſtreit erſpare, welches un- ter ihnen ſich dieſer Ehre anzumaaßen habe. Bey der Geburt ſelbſt hat ſich eben nichts merkwuͤrdiges zugetragen. Ein Winzer, ihr Pflegevater, ſagte mir, daß ſie gleich anfangs ſehr gewinſelt, und er daher befuͤrchtet habe, es wuͤrde ihr in der Welt ungluͤcklich gehen. Allein, die Folge hat gewieſen, daß dieſe aberglaͤubiſche Meynung ungegruͤndet ge- weſen iſt. Jhre Mutter iſt aus einem zwar guten, doch gemeinen, Buͤrgerhauſe; und ihr Vater ſoll von einem adlichen Hofe ſeyn. Es iſt eine Ver- muthung, welche viele Umſtaͤnde glaubwuͤrdig ma- chen. Die ganze Sache bleibt freylich eine Unge- wißheit. Allein, dieſes iſt etwas gewoͤhnliches, und kann Amouretten bey vernuͤnftigen Leuten nicht zum Vorwurfe gereichen. Sie hat noch zween Bruͤder gehabt, welche gleich nach der Geburt er- ſaͤuft worden ſind, und meine Amourette wuͤrde ein gleiches Schickſal erfahren haben, wenn ſie nicht ihre ehrliche und gute Geſichtsbildung davon be- freyet haͤtte. Sie blieb alſo die einzige in ihrer Mutterhuͤtte; und es waͤre daher kein Wunder ge- weſen, wenn man ſie bey ihrer Auferziehung verzaͤr- telt, und in aller uͤppigen Wolluſt und eigenwilliger Freyheit gelaſſen haͤtte. Allein dieſes geſchah nicht. Sie ward von ihrer Mutter geliebt, welche ſie auch nicht einmal einer Amme anvertrauen wollte, ſon- dern es fuͤr ihre Schuldigkeit hielt, ſie ſelbſt zu ſaͤu- gen. Bey zunehmendem Alter ward ſie zu allen moͤgli-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/124>, abgerufen am 22.11.2024.