Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

Schanze ausrichtend. Sie aber, Fräulein Quakatz,
duckt die Hunde wie damals und fast mit den nämlichen
wunderlichen Zurufen wie damals. Die Köter be-
ruhigen sich langsam und widerwillig, und behalten
uns, leise fortknurrend, fest und mißtrauisch im Auge.

"Der Vater ist nicht zu Hause," sagt Valentine.
"Und die Leute sind im Felde," fügt sie hinzu.

"Schön!" sagt Stopfkuchen. "Da sind wir
ja wieder einmal unter uns Beiden, Tinchen; denn
Dem da habe ich es eben schon klar genug ausein-
andergesetzt, daß er sich gegenwärtig vollständig als Luft
zu betrachten habe. Natürlich, wenn er nicht mein
bester Freund wäre, würde ich ihm meine Meinung
in Hinsicht auf seine heutige völlige Ueberflüssigkeit
hier noch deutlicher zum Bewußtsein gebracht haben.
Aber er ist mein Freund, und also auch, natürlich
so weit das mir paßt, der Deinige, Tinchen; und
so dumm bist Du nicht, Mädchen, daß Du nicht Be-
scheid wüßtest, daß er über euch, die rothe Schanze,
so gut Bescheid weiß, wie die übrige edle, christliche
Menschheit auf fünf Meilen im Umkreis. Herrgott,
darum allein könnte man schon mit Wonne Theologie
studiren, um einmal so recht von der Kanzel aus
unter sie fahren zu dürfen, die edle Menschheit nämlich!
Und nun kommt endlich ins Haus. Die letzte Nase voll
des üblen Geruches der rothen Schanze zum Mitnehmen
in die reinere, die bessere Luft da draußen, jenseits
der eben erwähnten fünf Meilen!"

Zum "Sich äußern" -- zum "Worte machen" --
zum "Reden halten", kurz zum "Predigen" war er

Schanze ausrichtend. Sie aber, Fräulein Quakatz,
duckt die Hunde wie damals und faſt mit den nämlichen
wunderlichen Zurufen wie damals. Die Köter be-
ruhigen ſich langſam und widerwillig, und behalten
uns, leiſe fortknurrend, feſt und mißtrauiſch im Auge.

„Der Vater iſt nicht zu Hauſe,“ ſagt Valentine.
„Und die Leute ſind im Felde,“ fügt ſie hinzu.

„Schön!“ ſagt Stopfkuchen. „Da ſind wir
ja wieder einmal unter uns Beiden, Tinchen; denn
Dem da habe ich es eben ſchon klar genug ausein-
andergeſetzt, daß er ſich gegenwärtig vollſtändig als Luft
zu betrachten habe. Natürlich, wenn er nicht mein
beſter Freund wäre, würde ich ihm meine Meinung
in Hinſicht auf ſeine heutige völlige Ueberflüſſigkeit
hier noch deutlicher zum Bewußtſein gebracht haben.
Aber er iſt mein Freund, und alſo auch, natürlich
ſo weit das mir paßt, der Deinige, Tinchen; und
ſo dumm biſt Du nicht, Mädchen, daß Du nicht Be-
ſcheid wüßteſt, daß er über euch, die rothe Schanze,
ſo gut Beſcheid weiß, wie die übrige edle, chriſtliche
Menſchheit auf fünf Meilen im Umkreis. Herrgott,
darum allein könnte man ſchon mit Wonne Theologie
ſtudiren, um einmal ſo recht von der Kanzel aus
unter ſie fahren zu dürfen, die edle Menſchheit nämlich!
Und nun kommt endlich ins Haus. Die letzte Naſe voll
des üblen Geruches der rothen Schanze zum Mitnehmen
in die reinere, die beſſere Luft da draußen, jenſeits
der eben erwähnten fünf Meilen!“

Zum „Sich äußern“ — zum „Worte machen“ —
zum „Reden halten“, kurz zum „Predigen“ war er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0052" n="42"/>
Schanze ausrichtend. Sie aber, Fräulein Quakatz,<lb/>
duckt die Hunde wie damals und fa&#x017F;t mit den nämlichen<lb/>
wunderlichen Zurufen wie damals. Die Köter be-<lb/>
ruhigen &#x017F;ich lang&#x017F;am und widerwillig, und behalten<lb/>
uns, lei&#x017F;e fortknurrend, fe&#x017F;t und mißtraui&#x017F;ch im Auge.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Der Vater i&#x017F;t nicht zu Hau&#x017F;e,&#x201C; &#x017F;agt Valentine.<lb/>
&#x201E;Und die Leute &#x017F;ind im Felde,&#x201C; fügt &#x017F;ie hinzu.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Schön!&#x201C; &#x017F;agt Stopfkuchen. &#x201E;Da &#x017F;ind wir<lb/>
ja wieder einmal unter uns Beiden, Tinchen; denn<lb/>
Dem da habe ich es eben &#x017F;chon klar genug ausein-<lb/>
anderge&#x017F;etzt, daß er &#x017F;ich gegenwärtig voll&#x017F;tändig als Luft<lb/>
zu betrachten habe. Natürlich, wenn er nicht mein<lb/>
be&#x017F;ter Freund wäre, würde ich ihm meine Meinung<lb/>
in Hin&#x017F;icht auf &#x017F;eine heutige völlige Ueberflü&#x017F;&#x017F;igkeit<lb/>
hier noch deutlicher zum Bewußt&#x017F;ein gebracht haben.<lb/>
Aber er i&#x017F;t mein Freund, und al&#x017F;o auch, natürlich<lb/>
&#x017F;o weit das mir paßt, der Deinige, Tinchen; und<lb/>
&#x017F;o dumm bi&#x017F;t Du nicht, Mädchen, daß Du nicht Be-<lb/>
&#x017F;cheid wüßte&#x017F;t, daß er über euch, die rothe Schanze,<lb/>
&#x017F;o gut Be&#x017F;cheid weiß, wie die übrige edle, chri&#x017F;tliche<lb/>
Men&#x017F;chheit auf fünf Meilen im Umkreis. Herrgott,<lb/>
darum allein könnte man &#x017F;chon mit Wonne Theologie<lb/>
&#x017F;tudiren, um einmal &#x017F;o recht von der Kanzel aus<lb/>
unter &#x017F;ie fahren zu dürfen, die edle Men&#x017F;chheit nämlich!<lb/>
Und nun kommt endlich ins Haus. Die letzte Na&#x017F;e voll<lb/>
des üblen Geruches der rothen Schanze zum Mitnehmen<lb/>
in die reinere, die be&#x017F;&#x017F;ere Luft da draußen, jen&#x017F;eits<lb/>
der eben erwähnten fünf Meilen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Zum &#x201E;Sich äußern&#x201C; &#x2014; zum &#x201E;Worte machen&#x201C; &#x2014;<lb/>
zum &#x201E;Reden halten&#x201C;, kurz zum &#x201E;Predigen&#x201C; war er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0052] Schanze ausrichtend. Sie aber, Fräulein Quakatz, duckt die Hunde wie damals und faſt mit den nämlichen wunderlichen Zurufen wie damals. Die Köter be- ruhigen ſich langſam und widerwillig, und behalten uns, leiſe fortknurrend, feſt und mißtrauiſch im Auge. „Der Vater iſt nicht zu Hauſe,“ ſagt Valentine. „Und die Leute ſind im Felde,“ fügt ſie hinzu. „Schön!“ ſagt Stopfkuchen. „Da ſind wir ja wieder einmal unter uns Beiden, Tinchen; denn Dem da habe ich es eben ſchon klar genug ausein- andergeſetzt, daß er ſich gegenwärtig vollſtändig als Luft zu betrachten habe. Natürlich, wenn er nicht mein beſter Freund wäre, würde ich ihm meine Meinung in Hinſicht auf ſeine heutige völlige Ueberflüſſigkeit hier noch deutlicher zum Bewußtſein gebracht haben. Aber er iſt mein Freund, und alſo auch, natürlich ſo weit das mir paßt, der Deinige, Tinchen; und ſo dumm biſt Du nicht, Mädchen, daß Du nicht Be- ſcheid wüßteſt, daß er über euch, die rothe Schanze, ſo gut Beſcheid weiß, wie die übrige edle, chriſtliche Menſchheit auf fünf Meilen im Umkreis. Herrgott, darum allein könnte man ſchon mit Wonne Theologie ſtudiren, um einmal ſo recht von der Kanzel aus unter ſie fahren zu dürfen, die edle Menſchheit nämlich! Und nun kommt endlich ins Haus. Die letzte Naſe voll des üblen Geruches der rothen Schanze zum Mitnehmen in die reinere, die beſſere Luft da draußen, jenſeits der eben erwähnten fünf Meilen!“ Zum „Sich äußern“ — zum „Worte machen“ — zum „Reden halten“, kurz zum „Predigen“ war er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/52
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/52>, abgerufen am 22.11.2024.