Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

Übrigens kostete es doch einige List und Mühe,
bloß die Heiligen drei Könige unverhindert hinter
sich zu lassen. Nur durch etwas was einer Bestechung
recht ähnlich sah, gelang es mir, meine Rechnung
sogleich und hinterm Rücken meines Herrn Wirthes
zu erhalten. Es kostete mich Geld, aber ich fand
einen dienstwilligen Geist, der mich des Hotelwagens
überhob und mir mein Gepäck ganz verstohlen auf
einem Schubkarren zum Bahnhof beförderte. Ich
verkleidete mich nicht, ich schlug mir nicht den Theater-
mantel um die Ohren und zog den Schlapphut über
die Nase herab; aber ich verzog mich auch nicht auf
dem offenen geradesten Wege, sondern entschlüpfte durch
die Hinterpforte und den Hausgarten der Heiligen
drei Könige. Aus dem Garten brachte mich ein
zweites Pförtchen in einen mir aus der Kinderzeit
wohlbekannten, gottlob noch vorhandenen engen Pfad
zwischen andern Gärten, Stallungen und sonstigen
Hintergebäuden. Hätte ich Kienbaum todtgeschlagen
und wären mir die Häscher auf den Fersen gewesen,
ich hätte nicht behutsamer verduften können; und ich
pries es jetzt als ein wahres Glück für mich, daß
sich in der Stadt doch verhältnißmäßig wenig während
meiner letzten Abwesenheit verändert hatte und ich mit
dem alten Haus- und Ortssinn auch auf den weniger be-
gangenen Wegen auskam.

Es war gegen neun Uhr als ich nicht durch die
Stadt, sondern um sie herum hinter den Gärten zum
Bahnhof wanderte. Daß dieser Weg durch das
Matthäiviertel führte, hatte ich bei meinem Wunsche,

18*

Übrigens koſtete es doch einige Liſt und Mühe,
bloß die Heiligen drei Könige unverhindert hinter
ſich zu laſſen. Nur durch etwas was einer Beſtechung
recht ähnlich ſah, gelang es mir, meine Rechnung
ſogleich und hinterm Rücken meines Herrn Wirthes
zu erhalten. Es koſtete mich Geld, aber ich fand
einen dienſtwilligen Geiſt, der mich des Hotelwagens
überhob und mir mein Gepäck ganz verſtohlen auf
einem Schubkarren zum Bahnhof beförderte. Ich
verkleidete mich nicht, ich ſchlug mir nicht den Theater-
mantel um die Ohren und zog den Schlapphut über
die Naſe herab; aber ich verzog mich auch nicht auf
dem offenen geradeſten Wege, ſondern entſchlüpfte durch
die Hinterpforte und den Hausgarten der Heiligen
drei Könige. Aus dem Garten brachte mich ein
zweites Pförtchen in einen mir aus der Kinderzeit
wohlbekannten, gottlob noch vorhandenen engen Pfad
zwiſchen andern Gärten, Stallungen und ſonſtigen
Hintergebäuden. Hätte ich Kienbaum todtgeſchlagen
und wären mir die Häſcher auf den Ferſen geweſen,
ich hätte nicht behutſamer verduften können; und ich
pries es jetzt als ein wahres Glück für mich, daß
ſich in der Stadt doch verhältnißmäßig wenig während
meiner letzten Abweſenheit verändert hatte und ich mit
dem alten Haus- und Ortsſinn auch auf den weniger be-
gangenen Wegen auskam.

Es war gegen neun Uhr als ich nicht durch die
Stadt, ſondern um ſie herum hinter den Gärten zum
Bahnhof wanderte. Daß dieſer Weg durch das
Matthäiviertel führte, hatte ich bei meinem Wunſche,

18*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0285" n="275"/>
        <p>Übrigens ko&#x017F;tete es doch einige Li&#x017F;t und Mühe,<lb/>
bloß die Heiligen drei Könige unverhindert hinter<lb/>
&#x017F;ich zu la&#x017F;&#x017F;en. Nur durch etwas was einer Be&#x017F;techung<lb/>
recht ähnlich &#x017F;ah, gelang es mir, meine Rechnung<lb/>
&#x017F;ogleich und hinterm Rücken meines Herrn Wirthes<lb/>
zu erhalten. Es ko&#x017F;tete mich Geld, aber ich fand<lb/>
einen dien&#x017F;twilligen Gei&#x017F;t, der mich des Hotelwagens<lb/>
überhob und mir mein Gepäck ganz ver&#x017F;tohlen auf<lb/>
einem Schubkarren zum Bahnhof beförderte. Ich<lb/>
verkleidete mich nicht, ich &#x017F;chlug mir nicht den Theater-<lb/>
mantel um die Ohren und zog den Schlapphut über<lb/>
die Na&#x017F;e herab; aber ich verzog mich auch nicht auf<lb/>
dem offenen gerade&#x017F;ten Wege, &#x017F;ondern ent&#x017F;chlüpfte durch<lb/>
die Hinterpforte und den Hausgarten der Heiligen<lb/>
drei Könige. Aus dem Garten brachte mich ein<lb/>
zweites Pförtchen in einen mir aus der Kinderzeit<lb/>
wohlbekannten, gottlob noch vorhandenen engen Pfad<lb/>
zwi&#x017F;chen andern Gärten, Stallungen und &#x017F;on&#x017F;tigen<lb/>
Hintergebäuden. Hätte ich Kienbaum todtge&#x017F;chlagen<lb/>
und wären mir die Hä&#x017F;cher auf den Fer&#x017F;en gewe&#x017F;en,<lb/>
ich hätte nicht behut&#x017F;amer verduften können; und ich<lb/>
pries es jetzt als ein wahres Glück für mich, daß<lb/>
&#x017F;ich in der Stadt doch verhältnißmäßig wenig während<lb/>
meiner letzten Abwe&#x017F;enheit verändert hatte und ich mit<lb/>
dem alten Haus- und Orts&#x017F;inn auch auf den weniger be-<lb/>
gangenen Wegen auskam.</p><lb/>
        <p>Es war gegen neun Uhr als ich nicht durch die<lb/>
Stadt, &#x017F;ondern um &#x017F;ie herum hinter den Gärten zum<lb/>
Bahnhof wanderte. Daß die&#x017F;er Weg durch das<lb/>
Matthäiviertel führte, hatte ich bei meinem Wun&#x017F;che,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">18*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0285] Übrigens koſtete es doch einige Liſt und Mühe, bloß die Heiligen drei Könige unverhindert hinter ſich zu laſſen. Nur durch etwas was einer Beſtechung recht ähnlich ſah, gelang es mir, meine Rechnung ſogleich und hinterm Rücken meines Herrn Wirthes zu erhalten. Es koſtete mich Geld, aber ich fand einen dienſtwilligen Geiſt, der mich des Hotelwagens überhob und mir mein Gepäck ganz verſtohlen auf einem Schubkarren zum Bahnhof beförderte. Ich verkleidete mich nicht, ich ſchlug mir nicht den Theater- mantel um die Ohren und zog den Schlapphut über die Naſe herab; aber ich verzog mich auch nicht auf dem offenen geradeſten Wege, ſondern entſchlüpfte durch die Hinterpforte und den Hausgarten der Heiligen drei Könige. Aus dem Garten brachte mich ein zweites Pförtchen in einen mir aus der Kinderzeit wohlbekannten, gottlob noch vorhandenen engen Pfad zwiſchen andern Gärten, Stallungen und ſonſtigen Hintergebäuden. Hätte ich Kienbaum todtgeſchlagen und wären mir die Häſcher auf den Ferſen geweſen, ich hätte nicht behutſamer verduften können; und ich pries es jetzt als ein wahres Glück für mich, daß ſich in der Stadt doch verhältnißmäßig wenig während meiner letzten Abweſenheit verändert hatte und ich mit dem alten Haus- und Ortsſinn auch auf den weniger be- gangenen Wegen auskam. Es war gegen neun Uhr als ich nicht durch die Stadt, ſondern um ſie herum hinter den Gärten zum Bahnhof wanderte. Daß dieſer Weg durch das Matthäiviertel führte, hatte ich bei meinem Wunſche, 18*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/285
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/285>, abgerufen am 22.11.2024.