mir zu gar keinem Troste verholfen, was Kienbaum für ein Mensch und im Besondern gegen mich gewesen ist. Ich habe es aber auch zuerst am andern Tage vernommen, was meine That gewesen ist! Hätte ich ihn hier vor mir liegen sehen, hätte der Bauer von der rothen Schanze, der Herr Schwiegervater, wohl nicht meine Schuld auf sich zu nehmen brauchen: da hätten sie mich ganz gewiß bei der Leiche gefunden und mich gleich mit sich nehmen können vor den Richter. Die eine Nacht zwischen dem einen Abend und dem einen Morgen hat es gemacht, daß mich mein Gewissen doch verhältnißmäßig in Ruhe gelassen hat, daß aber dafür mir und dem Herrn Papa die schwere, schwere Lebenslast aufgelegt worden ist.' -- ,Hm, hm, Störzer, es läßt sich hören, was Sie da sagen; aber ein etwas zu gemüthliches und jedenfalls sehr be- quemes Gewissen ist's doch, was Sie in Ihrer Brust tragen. Ihre Posttasche da könnte ungefähr dieselben Gefühle, wie Sie für den Inhalt der Briefschaften in ihr hegen.' -- ,Ich verstehe nicht recht, was Sie meinen, Herr Schaumann, und wie es in so schrecklichen Sachen mit Anderen ist, weiß ich auch nicht; aber Eines weiß ich, daß es ja nun heraus ist, und durch Ihre gütige Vermittelung die Menschheit sich ja nun wird beruhigen können. Und was den lieben Herr- gott angeht, ach Gott, so muß ich mich in bitterer Reue damit vertrösten, daß er Kienbaum gekannt hat, und mich in meinen jungen Jahren auch gekannt hat und besser als ein Anderer Bescheid weiß, wie es gekommen ist.' -- ,Ja wohl, aber besser Bescheid
mir zu gar keinem Troſte verholfen, was Kienbaum für ein Menſch und im Beſondern gegen mich geweſen iſt. Ich habe es aber auch zuerſt am andern Tage vernommen, was meine That geweſen iſt! Hätte ich ihn hier vor mir liegen ſehen, hätte der Bauer von der rothen Schanze, der Herr Schwiegervater, wohl nicht meine Schuld auf ſich zu nehmen brauchen: da hätten ſie mich ganz gewiß bei der Leiche gefunden und mich gleich mit ſich nehmen können vor den Richter. Die eine Nacht zwiſchen dem einen Abend und dem einen Morgen hat es gemacht, daß mich mein Gewiſſen doch verhältnißmäßig in Ruhe gelaſſen hat, daß aber dafür mir und dem Herrn Papa die ſchwere, ſchwere Lebenslaſt aufgelegt worden iſt.‘ — ‚Hm, hm, Störzer, es läßt ſich hören, was Sie da ſagen; aber ein etwas zu gemüthliches und jedenfalls ſehr be- quemes Gewiſſen iſt's doch, was Sie in Ihrer Bruſt tragen. Ihre Poſttaſche da könnte ungefähr dieſelben Gefühle, wie Sie für den Inhalt der Briefſchaften in ihr hegen.‘ — ‚Ich verſtehe nicht recht, was Sie meinen, Herr Schaumann, und wie es in ſo ſchrecklichen Sachen mit Anderen iſt, weiß ich auch nicht; aber Eines weiß ich, daß es ja nun heraus iſt, und durch Ihre gütige Vermittelung die Menſchheit ſich ja nun wird beruhigen können. Und was den lieben Herr- gott angeht, ach Gott, ſo muß ich mich in bitterer Reue damit vertröſten, daß er Kienbaum gekannt hat, und mich in meinen jungen Jahren auch gekannt hat und beſſer als ein Anderer Beſcheid weiß, wie es gekommen iſt.‘ — ‚Ja wohl, aber beſſer Beſcheid
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mir zu gar keinem Troſte verholfen, was Kienbaum
für ein Menſch und im Beſondern gegen mich geweſen
iſt. Ich habe es aber auch zuerſt am andern Tage
vernommen, was meine That geweſen iſt! Hätte ich
ihn hier vor mir liegen ſehen, hätte der Bauer von
der rothen Schanze, der Herr Schwiegervater, wohl
nicht meine Schuld auf ſich zu nehmen brauchen: da
hätten ſie mich ganz gewiß bei der Leiche gefunden
und mich gleich mit ſich nehmen können vor den
Richter. Die eine Nacht zwiſchen dem einen Abend
und dem einen Morgen hat es gemacht, daß mich
mein Gewiſſen doch verhältnißmäßig in Ruhe gelaſſen
hat, daß aber dafür mir und dem Herrn Papa die
ſchwere, ſchwere Lebenslaſt aufgelegt worden iſt.‘ —
‚Hm, hm, Störzer, es läßt ſich hören, was Sie da ſagen;
aber ein etwas zu gemüthliches und jedenfalls ſehr be-
quemes Gewiſſen iſt's doch, was Sie in Ihrer Bruſt
tragen. Ihre Poſttaſche da könnte ungefähr dieſelben
Gefühle, wie Sie für den Inhalt der Briefſchaften
in ihr hegen.‘ — ‚Ich verſtehe nicht recht, was Sie meinen,
Herr Schaumann, und wie es in ſo ſchrecklichen
Sachen mit Anderen iſt, weiß ich auch nicht; aber
Eines weiß ich, daß es ja nun heraus iſt, und durch
Ihre gütige Vermittelung die Menſchheit ſich ja nun
wird beruhigen können. Und was den lieben Herr-
gott angeht, ach Gott, ſo muß ich mich in bitterer
Reue damit vertröſten, daß er Kienbaum gekannt
hat, und mich in meinen jungen Jahren auch gekannt
hat und beſſer als ein Anderer Beſcheid weiß, wie
es gekommen iſt.‘ — ‚Ja wohl, aber beſſer Beſcheid
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/264>, abgerufen am 24.11.2024.
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