Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht. Jedenfalls wurde der Mann, der da mit dem
Rücken gegen den Busch auf dem Grabenrande saß,
durch mein und der Erinnyen Näherkommen nicht
sofort aus seiner Beschaulichkeit aufgestört. Ausnahms-
weise kamen die Letzteren auch mal wieder als Eu-
meniden. Meinetwegen, wenn sich Zürnen und
Wohlwollen im gegebenen Falle vereinigen ließen,
war das mir wahrhaftig Recht! -- ,Guten Tag,
Alter! Hier ist's ja wohl gewesen?' und er gab den
Gruß nicht zurück, und die Frage beantwortete er
dadurch, daß er herum und emporfuhr und seinen
Wanderstab mit so verzerrtem Gesicht und mit solch
einem festen Griffe faßte, daß ich unwillkürlich auch
den meinigen erhob und rief: ,Sind Sie verrückt,
Störzer? Soll etwa hier am Ort der gute Freund
Schaumann dran? Na, ich meine, wir lassen es bei
dem Einen bewenden, und die Welt hat auch wohl
genug gehabt an -- Kienbaum!' Darauf begab sich
etwas, was ich mir so nicht voraus hingemalt hatte.
Daß das arme Menschenkind seinen Knüttel fallen
ließ und den dicken Stopfkuchen für den Jüngsten-
gerichts-Boten in Person nahm und abwehrend beide
zitternde alte Arme ihm entgegenstreckte, das war in
der Ordnung; aber von Überfluß war's, daß es sich
selbst fallen ließ und mit einem: ,Herr! Herr! o
Jesus, Sie wieder?' die Böschung hinabrutschte, sich
in seinen Chausseegraben legte und zwar auf's Gesicht --
beide Hände drunter, vor den Augen, wie ein Kind,
mit racheanlockend-hochgehobenem Hintertheil. Da
hatte ich die Bescherung! Ich bin fest überzeugt,

nicht. Jedenfalls wurde der Mann, der da mit dem
Rücken gegen den Buſch auf dem Grabenrande ſaß,
durch mein und der Erinnyen Näherkommen nicht
ſofort aus ſeiner Beſchaulichkeit aufgeſtört. Ausnahms-
weiſe kamen die Letzteren auch mal wieder als Eu-
meniden. Meinetwegen, wenn ſich Zürnen und
Wohlwollen im gegebenen Falle vereinigen ließen,
war das mir wahrhaftig Recht! — ‚Guten Tag,
Alter! Hier iſt's ja wohl geweſen?‘ und er gab den
Gruß nicht zurück, und die Frage beantwortete er
dadurch, daß er herum und emporfuhr und ſeinen
Wanderſtab mit ſo verzerrtem Geſicht und mit ſolch
einem feſten Griffe faßte, daß ich unwillkürlich auch
den meinigen erhob und rief: ‚Sind Sie verrückt,
Störzer? Soll etwa hier am Ort der gute Freund
Schaumann dran? Na, ich meine, wir laſſen es bei
dem Einen bewenden, und die Welt hat auch wohl
genug gehabt an — Kienbaum!‘ Darauf begab ſich
etwas, was ich mir ſo nicht voraus hingemalt hatte.
Daß das arme Menſchenkind ſeinen Knüttel fallen
ließ und den dicken Stopfkuchen für den Jüngſten-
gerichts-Boten in Perſon nahm und abwehrend beide
zitternde alte Arme ihm entgegenſtreckte, das war in
der Ordnung; aber von Überfluß war's, daß es ſich
ſelbſt fallen ließ und mit einem: ‚Herr! Herr! o
Jeſus, Sie wieder?‘ die Böſchung hinabrutſchte, ſich
in ſeinen Chauſſeegraben legte und zwar auf's Geſicht —
beide Hände drunter, vor den Augen, wie ein Kind,
mit racheanlockend-hochgehobenem Hintertheil. Da
hatte ich die Beſcherung! Ich bin feſt überzeugt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0260" n="250"/>
nicht. Jedenfalls wurde der Mann, der da mit dem<lb/>
Rücken gegen den Bu&#x017F;ch auf dem Grabenrande &#x017F;aß,<lb/>
durch mein und der Erinnyen Näherkommen nicht<lb/>
&#x017F;ofort aus &#x017F;einer Be&#x017F;chaulichkeit aufge&#x017F;tört. Ausnahms-<lb/>
wei&#x017F;e kamen die Letzteren auch mal wieder als Eu-<lb/>
meniden. Meinetwegen, wenn &#x017F;ich Zürnen und<lb/>
Wohlwollen im gegebenen Falle vereinigen ließen,<lb/>
war das mir wahrhaftig Recht! &#x2014; &#x201A;Guten Tag,<lb/>
Alter! Hier i&#x017F;t's ja wohl gewe&#x017F;en?&#x2018; und er gab den<lb/>
Gruß nicht zurück, und die Frage beantwortete er<lb/>
dadurch, daß er herum und emporfuhr und &#x017F;einen<lb/>
Wander&#x017F;tab mit &#x017F;o verzerrtem Ge&#x017F;icht und mit &#x017F;olch<lb/>
einem fe&#x017F;ten Griffe faßte, daß ich unwillkürlich auch<lb/>
den meinigen erhob und rief: &#x201A;Sind Sie verrückt,<lb/>
Störzer? Soll etwa hier am Ort der gute Freund<lb/>
Schaumann dran? Na, ich meine, wir la&#x017F;&#x017F;en es bei<lb/>
dem Einen bewenden, und die Welt hat auch wohl<lb/>
genug gehabt an &#x2014; Kienbaum!&#x2018; Darauf begab &#x017F;ich<lb/>
etwas, was ich mir &#x017F;o nicht voraus hingemalt hatte.<lb/>
Daß das arme Men&#x017F;chenkind &#x017F;einen Knüttel fallen<lb/>
ließ und den dicken Stopfkuchen für den Jüng&#x017F;ten-<lb/>
gerichts-Boten in Per&#x017F;on nahm und abwehrend beide<lb/>
zitternde alte Arme ihm entgegen&#x017F;treckte, das war in<lb/>
der Ordnung; aber von Überfluß war's, daß es &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t fallen ließ und mit einem: &#x201A;Herr! Herr! o<lb/>
Je&#x017F;us, Sie wieder?&#x2018; die Bö&#x017F;chung hinabrut&#x017F;chte, &#x017F;ich<lb/>
in &#x017F;einen Chau&#x017F;&#x017F;eegraben legte und zwar auf's Ge&#x017F;icht &#x2014;<lb/>
beide Hände drunter, vor den Augen, wie ein Kind,<lb/>
mit racheanlockend-hochgehobenem Hintertheil. Da<lb/>
hatte ich die Be&#x017F;cherung! Ich bin fe&#x017F;t überzeugt,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0260] nicht. Jedenfalls wurde der Mann, der da mit dem Rücken gegen den Buſch auf dem Grabenrande ſaß, durch mein und der Erinnyen Näherkommen nicht ſofort aus ſeiner Beſchaulichkeit aufgeſtört. Ausnahms- weiſe kamen die Letzteren auch mal wieder als Eu- meniden. Meinetwegen, wenn ſich Zürnen und Wohlwollen im gegebenen Falle vereinigen ließen, war das mir wahrhaftig Recht! — ‚Guten Tag, Alter! Hier iſt's ja wohl geweſen?‘ und er gab den Gruß nicht zurück, und die Frage beantwortete er dadurch, daß er herum und emporfuhr und ſeinen Wanderſtab mit ſo verzerrtem Geſicht und mit ſolch einem feſten Griffe faßte, daß ich unwillkürlich auch den meinigen erhob und rief: ‚Sind Sie verrückt, Störzer? Soll etwa hier am Ort der gute Freund Schaumann dran? Na, ich meine, wir laſſen es bei dem Einen bewenden, und die Welt hat auch wohl genug gehabt an — Kienbaum!‘ Darauf begab ſich etwas, was ich mir ſo nicht voraus hingemalt hatte. Daß das arme Menſchenkind ſeinen Knüttel fallen ließ und den dicken Stopfkuchen für den Jüngſten- gerichts-Boten in Perſon nahm und abwehrend beide zitternde alte Arme ihm entgegenſtreckte, das war in der Ordnung; aber von Überfluß war's, daß es ſich ſelbſt fallen ließ und mit einem: ‚Herr! Herr! o Jeſus, Sie wieder?‘ die Böſchung hinabrutſchte, ſich in ſeinen Chauſſeegraben legte und zwar auf's Geſicht — beide Hände drunter, vor den Augen, wie ein Kind, mit racheanlockend-hochgehobenem Hintertheil. Da hatte ich die Beſcherung! Ich bin feſt überzeugt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/260
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/260>, abgerufen am 22.11.2024.