er täglich den Leuten in seiner Ledertasche zu und macht dabei an dem einem wie an dem andern Tage das gleiche Gesicht."
Der letztere Teil dieser Rede war mir damals wohl etwas dunkel geblieben; heute weiß ich, daß mein seliger Papa vor dem Worte: Gesicht, wohl die dazu gehörigen Beiwörter: dumm, gleichgültig, still- vergnügt, unterschlagen hatte. Aber welch ein rich- tiger Junge achtet nicht einen Menschen, der ihm als ein Muster aufgestellt wird, weil er sich weder aus dem Wetter noch aus dem Wege etwas macht?
"Wo das Kind eigentlich wieder stecken mag?" pflegte in jenen glücklichen Tagen meine arme selige Mutter zu fragen.
Das Kind steckte bei Störzern, seiner Kunst, sämmtlichen autochthonen und auch einigen exotischen Vögeln nachzupfeifen, flöten, zirpen und schnarren, bei seiner "Kriegsbereitschaft" Anno Achtzehnhundert- fünfzig und bei seiner -- Geographie. Die Sache war doch ganz klar, so dunkel sie auch einem den Deckel vom Suppennapf abhebenden und vergeblich um sich schauenden Muttergemüth sein mochte. Bei- läufig, daß wir ebenfalls zur Post (damals noch nicht kaiserlichen) gehörten und daß mein Vater in seinen letzten Lebensjahren sogar Herr Postrath genannt wurde, trug wohl auch das Seinige zu dem ange- nehmen und innigen Verhältniß zwischen mir und Störzer bei. Wir rechneten uns einander, wie man das ausdrückt, zu einander; und auf meinen Wegen nicht um, sondern durch die Welt habe ich niemals
er täglich den Leuten in ſeiner Ledertaſche zu und macht dabei an dem einem wie an dem andern Tage das gleiche Geſicht.“
Der letztere Teil dieſer Rede war mir damals wohl etwas dunkel geblieben; heute weiß ich, daß mein ſeliger Papa vor dem Worte: Geſicht, wohl die dazu gehörigen Beiwörter: dumm, gleichgültig, ſtill- vergnügt, unterſchlagen hatte. Aber welch ein rich- tiger Junge achtet nicht einen Menſchen, der ihm als ein Muſter aufgeſtellt wird, weil er ſich weder aus dem Wetter noch aus dem Wege etwas macht?
„Wo das Kind eigentlich wieder ſtecken mag?“ pflegte in jenen glücklichen Tagen meine arme ſelige Mutter zu fragen.
Das Kind ſteckte bei Störzern, ſeiner Kunſt, ſämmtlichen autochthonen und auch einigen exotiſchen Vögeln nachzupfeifen, flöten, zirpen und ſchnarren, bei ſeiner „Kriegsbereitſchaft“ Anno Achtzehnhundert- fünfzig und bei ſeiner — Geographie. Die Sache war doch ganz klar, ſo dunkel ſie auch einem den Deckel vom Suppennapf abhebenden und vergeblich um ſich ſchauenden Muttergemüth ſein mochte. Bei- läufig, daß wir ebenfalls zur Poſt (damals noch nicht kaiſerlichen) gehörten und daß mein Vater in ſeinen letzten Lebensjahren ſogar Herr Poſtrath genannt wurde, trug wohl auch das Seinige zu dem ange- nehmen und innigen Verhältniß zwiſchen mir und Störzer bei. Wir rechneten uns einander, wie man das ausdrückt, zu einander; und auf meinen Wegen nicht um, ſondern durch die Welt habe ich niemals
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er täglich den Leuten in ſeiner Ledertaſche zu und
macht dabei an dem einem wie an dem andern Tage
das gleiche Geſicht.“
Der letztere Teil dieſer Rede war mir damals
wohl etwas dunkel geblieben; heute weiß ich, daß
mein ſeliger Papa vor dem Worte: Geſicht, wohl die
dazu gehörigen Beiwörter: dumm, gleichgültig, ſtill-
vergnügt, unterſchlagen hatte. Aber welch ein rich-
tiger Junge achtet nicht einen Menſchen, der ihm als
ein Muſter aufgeſtellt wird, weil er ſich weder aus
dem Wetter noch aus dem Wege etwas macht?
„Wo das Kind eigentlich wieder ſtecken mag?“
pflegte in jenen glücklichen Tagen meine arme ſelige
Mutter zu fragen.
Das Kind ſteckte bei Störzern, ſeiner Kunſt,
ſämmtlichen autochthonen und auch einigen exotiſchen
Vögeln nachzupfeifen, flöten, zirpen und ſchnarren,
bei ſeiner „Kriegsbereitſchaft“ Anno Achtzehnhundert-
fünfzig und bei ſeiner — Geographie. Die Sache
war doch ganz klar, ſo dunkel ſie auch einem den
Deckel vom Suppennapf abhebenden und vergeblich
um ſich ſchauenden Muttergemüth ſein mochte. Bei-
läufig, daß wir ebenfalls zur Poſt (damals noch nicht
kaiſerlichen) gehörten und daß mein Vater in ſeinen
letzten Lebensjahren ſogar Herr Poſtrath genannt
wurde, trug wohl auch das Seinige zu dem ange-
nehmen und innigen Verhältniß zwiſchen mir und
Störzer bei. Wir rechneten uns einander, wie man
das ausdrückt, zu einander; und auf meinen Wegen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/23>, abgerufen am 16.02.2025.
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