das letzte. Behalt es auch meinetwegen; ich wollte nichts weiter bemerken, als daß wir heute nicht mehr des Abends weder das große noch das kleine Male- fizbuch lesen, Tinchen. Nämlich, Eduard, höchstens stört sie mir jetzt mit der Frau Davidis in der Hand das Nachdenken und paläontologische Studium, indem sie kommt und mit dem Zünglein um die Lippen neue Triumphe vorkostend, die Frage stellt: ,Du, Alter, sollen wir uns mal an dieses Rezept wagen?' Ich, lieber Eduard, habe selbstverständlich auch für diesen Verdruß nur die eine Antwort: dem Muthigen gehört die Welt. Heraus aus dem Kasten!"
Frau Valentine behandelte vernünftigerweise ihren Feinschmecker mit seinem berühmten Kochbuch als Luft und fuhr, gegen mich gewendet, in ihrem Recht, jetzt einmal selber zu erzählen, fort. Gottlob, wirklich wie aus der Sophaecke heraus, wenn auch mit einem feuchten Leuchten in den Augen und einem verschluckten Aufsteigen in der Kehle, gleich einem Kinde, das aus erlittenem, aber vergangenem Kummer in das Lachen der Gegenwart übergeht.
"Ja, es war schlimm. Und es war die höchste Zeit, sowohl für meinen Vater wie für mich, daß wir endlich einen Kameraden kriegten -- einen, den unsere Hunde über unsern Graben und Dammweg passiren ließen, ohne daß sie ihm an die Kehle fuhren und ihm unser häuslich Glück und Behagen entgegen kläfften und heulten. Anfangs konnte ich es doch nicht wissen, daß der Junge aus der Stadt auch für meinen Vater brauchbar war. Zuerst war er ja nur
das letzte. Behalt es auch meinetwegen; ich wollte nichts weiter bemerken, als daß wir heute nicht mehr des Abends weder das große noch das kleine Male- fizbuch leſen, Tinchen. Nämlich, Eduard, höchſtens ſtört ſie mir jetzt mit der Frau Davidis in der Hand das Nachdenken und paläontologiſche Studium, indem ſie kommt und mit dem Zünglein um die Lippen neue Triumphe vorkoſtend, die Frage ſtellt: ‚Du, Alter, ſollen wir uns mal an dieſes Rezept wagen?‘ Ich, lieber Eduard, habe ſelbſtverſtändlich auch für dieſen Verdruß nur die eine Antwort: dem Muthigen gehört die Welt. Heraus aus dem Kaſten!“
Frau Valentine behandelte vernünftigerweiſe ihren Feinſchmecker mit ſeinem berühmten Kochbuch als Luft und fuhr, gegen mich gewendet, in ihrem Recht, jetzt einmal ſelber zu erzählen, fort. Gottlob, wirklich wie aus der Sophaecke heraus, wenn auch mit einem feuchten Leuchten in den Augen und einem verſchluckten Aufſteigen in der Kehle, gleich einem Kinde, das aus erlittenem, aber vergangenem Kummer in das Lachen der Gegenwart übergeht.
„Ja, es war ſchlimm. Und es war die höchſte Zeit, ſowohl für meinen Vater wie für mich, daß wir endlich einen Kameraden kriegten — einen, den unſere Hunde über unſern Graben und Dammweg paſſiren ließen, ohne daß ſie ihm an die Kehle fuhren und ihm unſer häuslich Glück und Behagen entgegen kläfften und heulten. Anfangs konnte ich es doch nicht wiſſen, daß der Junge aus der Stadt auch für meinen Vater brauchbar war. Zuerſt war er ja nur
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das letzte. Behalt es auch meinetwegen; ich wollte
nichts weiter bemerken, als daß wir heute nicht mehr
des Abends weder das große noch das kleine Male-
fizbuch leſen, Tinchen. Nämlich, Eduard, höchſtens ſtört
ſie mir jetzt mit der Frau Davidis in der Hand das
Nachdenken und paläontologiſche Studium, indem ſie
kommt und mit dem Zünglein um die Lippen neue
Triumphe vorkoſtend, die Frage ſtellt: ‚Du, Alter,
ſollen wir uns mal an dieſes Rezept wagen?‘ Ich,
lieber Eduard, habe ſelbſtverſtändlich auch für dieſen
Verdruß nur die eine Antwort: dem Muthigen gehört
die Welt. Heraus aus dem Kaſten!“
Frau Valentine behandelte vernünftigerweiſe
ihren Feinſchmecker mit ſeinem berühmten Kochbuch als
Luft und fuhr, gegen mich gewendet, in ihrem Recht,
jetzt einmal ſelber zu erzählen, fort. Gottlob, wirklich
wie aus der Sophaecke heraus, wenn auch mit einem
feuchten Leuchten in den Augen und einem verſchluckten
Aufſteigen in der Kehle, gleich einem Kinde, das aus
erlittenem, aber vergangenem Kummer in das Lachen
der Gegenwart übergeht.
„Ja, es war ſchlimm. Und es war die höchſte
Zeit, ſowohl für meinen Vater wie für mich, daß wir
endlich einen Kameraden kriegten — einen, den unſere
Hunde über unſern Graben und Dammweg paſſiren
ließen, ohne daß ſie ihm an die Kehle fuhren und
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/152>, abgerufen am 17.02.2025.
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