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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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"Ich kann es gar nicht sagen, wie lieb es mir
war, daß der Junge zu uns kam," sagte sie. "So wie
mich, weiß ich doch Keinen in meiner Bekanntschaft,
dem es als Kind so ergangen wäre, als wie mir.
Armes Volk in der Stadt und auf dem Lande muß
auch wohl das Seinige ausstehen; aber wir hier auf
der Schanze gehörten ja gar nicht zu dem armen
Volk, und doch -- wenn ich unter der Hecke geboren
wäre und meiner Mutter aus der Kiepe in das öffent-
liche Mitleid gefallen wäre, hätte ich es besser gehabt
wie als des Bauern von der rothen Schanze einziges
wohlhabendes Kind und seine Tochter! Daß ich bei
meinen Erlebnissen und Erfahrungen im Dorfe, in
der Schule, auf dem Felde, auf der Wiese nicht
hundertmal mehr als mein seliger Vater ein wirklicher
Mörder geworden bin, das ist nichts weiter als ein
unendliches großes Wunder. Was ich habe sehen,
hören und fühlen müssen, seit ich mich zuerst in die
Welt finden mußte, das steht in gar kein Buch zu
schreiben."

"Hm," murrte Stopfkuchen, "vielleicht lohnte es
sich gerade gegenwärtig mehr als manches andere."

"Nein, Heinrich! es war doch zu häßlich."

"Gerade darum," brummte Heinrich Schaumann,
doch seine Frau rief jetzt:

"Ich habe Dich reden lassen, nun laß auch mir
das Wort, da Du mich doch einmal dazu aufgefordert
hast. Und Herr -- Herr --"

"Eduard --"

"Ja denn, wenn unser lieber Freund, Herr

„Ich kann es gar nicht ſagen, wie lieb es mir
war, daß der Junge zu uns kam,“ ſagte ſie. „So wie
mich, weiß ich doch Keinen in meiner Bekanntſchaft,
dem es als Kind ſo ergangen wäre, als wie mir.
Armes Volk in der Stadt und auf dem Lande muß
auch wohl das Seinige ausſtehen; aber wir hier auf
der Schanze gehörten ja gar nicht zu dem armen
Volk, und doch — wenn ich unter der Hecke geboren
wäre und meiner Mutter aus der Kiepe in das öffent-
liche Mitleid gefallen wäre, hätte ich es beſſer gehabt
wie als des Bauern von der rothen Schanze einziges
wohlhabendes Kind und ſeine Tochter! Daß ich bei
meinen Erlebniſſen und Erfahrungen im Dorfe, in
der Schule, auf dem Felde, auf der Wieſe nicht
hundertmal mehr als mein ſeliger Vater ein wirklicher
Mörder geworden bin, das iſt nichts weiter als ein
unendliches großes Wunder. Was ich habe ſehen,
hören und fühlen müſſen, ſeit ich mich zuerſt in die
Welt finden mußte, das ſteht in gar kein Buch zu
ſchreiben.“

„Hm,“ murrte Stopfkuchen, „vielleicht lohnte es
ſich gerade gegenwärtig mehr als manches andere.“

„Nein, Heinrich! es war doch zu häßlich.“

„Gerade darum,“ brummte Heinrich Schaumann,
doch ſeine Frau rief jetzt:

„Ich habe Dich reden laſſen, nun laß auch mir
das Wort, da Du mich doch einmal dazu aufgefordert
haſt. Und Herr — Herr —“

„Eduard —“

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[137/0147] „Ich kann es gar nicht ſagen, wie lieb es mir war, daß der Junge zu uns kam,“ ſagte ſie. „So wie mich, weiß ich doch Keinen in meiner Bekanntſchaft, dem es als Kind ſo ergangen wäre, als wie mir. Armes Volk in der Stadt und auf dem Lande muß auch wohl das Seinige ausſtehen; aber wir hier auf der Schanze gehörten ja gar nicht zu dem armen Volk, und doch — wenn ich unter der Hecke geboren wäre und meiner Mutter aus der Kiepe in das öffent- liche Mitleid gefallen wäre, hätte ich es beſſer gehabt wie als des Bauern von der rothen Schanze einziges wohlhabendes Kind und ſeine Tochter! Daß ich bei meinen Erlebniſſen und Erfahrungen im Dorfe, in der Schule, auf dem Felde, auf der Wieſe nicht hundertmal mehr als mein ſeliger Vater ein wirklicher Mörder geworden bin, das iſt nichts weiter als ein unendliches großes Wunder. Was ich habe ſehen, hören und fühlen müſſen, ſeit ich mich zuerſt in die Welt finden mußte, das ſteht in gar kein Buch zu ſchreiben.“ „Hm,“ murrte Stopfkuchen, „vielleicht lohnte es ſich gerade gegenwärtig mehr als manches andere.“ „Nein, Heinrich! es war doch zu häßlich.“ „Gerade darum,“ brummte Heinrich Schaumann, doch ſeine Frau rief jetzt: „Ich habe Dich reden laſſen, nun laß auch mir das Wort, da Du mich doch einmal dazu aufgefordert haſt. Und Herr — Herr —“ „Eduard —“ „Ja denn, wenn unſer lieber Freund, Herr

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/147>, abgerufen am 24.11.2024.