Daumen und Zeigefinger gestanden hatten. Ich aber saß vor dem Buch und rieb mir weinerlich mit den Handknöcheln die Augen: so weit waren wir noch nicht in der Schule, daß wir dem Bauer Andreas Quakatz das Buch aller juristischen Bücher hätten aus- legen können. Und wie in der Schule mich duckend stotterte ich endlich: ,Herr Quakatz, blos wenn ich die Worte wissen sollte, müßte ich mein Wörterbuch hier haben, und das habe ich unten in der Stadt.' -- ,Dann hole es und bringe es morgen mit heraus. Ich bin ein Narr, daß ich so mit Dir rede; aber die Welt hat mich ja so gewollt, und Du bist mir gerade so gut als wie ein Anderer, wenn ich zu Einem über meine Sache reden will. Es ist aus, ich will keine Gelehrten, keine Afkaten, keine Großgewachsenen mehr bei mir und meiner Sache. Du sollst mir klug genug sein, daß ich auf Dich hereinreden kann, wie zu einem Vernunftmenschen. Die Alten, unsere Vor- fahren haben es auch so gemacht, daß sie sich an die Dummen und Unmündigen gehalten haben. Junge, Junge, meine Tine sagt, daß Du heraus gekommen bist, um die rothe Schanze zu verstudiren. Verstudire sie, und kriege es mir heraus, wer Recht hat, die Welt oder der Bauer auf der rothen Schanze! Du hast Dich meiner Krabbe aus Gerechtigkeitsgefühl an- genommen, ich habe es hinter der Hecke vom Wall mit angesehen, nun will ich's mal darauf hin probiren, ob es wahr ist, wie es geschrieben steht: in den Mäulern der Unmündigen will ich der Wahrheit eine Stätte bereiten. Kriegst Du es mir heraus, wer
Daumen und Zeigefinger geſtanden hatten. Ich aber ſaß vor dem Buch und rieb mir weinerlich mit den Handknöcheln die Augen: ſo weit waren wir noch nicht in der Schule, daß wir dem Bauer Andreas Quakatz das Buch aller juriſtiſchen Bücher hätten aus- legen können. Und wie in der Schule mich duckend ſtotterte ich endlich: ‚Herr Quakatz, blos wenn ich die Worte wiſſen ſollte, müßte ich mein Wörterbuch hier haben, und das habe ich unten in der Stadt.‘ — ‚Dann hole es und bringe es morgen mit heraus. Ich bin ein Narr, daß ich ſo mit Dir rede; aber die Welt hat mich ja ſo gewollt, und Du biſt mir gerade ſo gut als wie ein Anderer, wenn ich zu Einem über meine Sache reden will. Es iſt aus, ich will keine Gelehrten, keine Afkaten, keine Großgewachſenen mehr bei mir und meiner Sache. Du ſollſt mir klug genug ſein, daß ich auf Dich hereinreden kann, wie zu einem Vernunftmenſchen. Die Alten, unſere Vor- fahren haben es auch ſo gemacht, daß ſie ſich an die Dummen und Unmündigen gehalten haben. Junge, Junge, meine Tine ſagt, daß Du heraus gekommen biſt, um die rothe Schanze zu verſtudiren. Verſtudire ſie, und kriege es mir heraus, wer Recht hat, die Welt oder der Bauer auf der rothen Schanze! Du haſt Dich meiner Krabbe aus Gerechtigkeitsgefühl an- genommen, ich habe es hinter der Hecke vom Wall mit angeſehen, nun will ich's mal darauf hin probiren, ob es wahr iſt, wie es geſchrieben ſteht: in den Mäulern der Unmündigen will ich der Wahrheit eine Stätte bereiten. Kriegſt Du es mir heraus, wer
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Daumen und Zeigefinger geſtanden hatten. Ich aber
ſaß vor dem Buch und rieb mir weinerlich mit den
Handknöcheln die Augen: ſo weit waren wir noch
nicht in der Schule, daß wir dem Bauer Andreas
Quakatz das Buch aller juriſtiſchen Bücher hätten aus-
legen können. Und wie in der Schule mich duckend
ſtotterte ich endlich: ‚Herr Quakatz, blos wenn ich die
Worte wiſſen ſollte, müßte ich mein Wörterbuch hier
haben, und das habe ich unten in der Stadt.‘ —
‚Dann hole es und bringe es morgen mit heraus.
Ich bin ein Narr, daß ich ſo mit Dir rede; aber die
Welt hat mich ja ſo gewollt, und Du biſt mir gerade
ſo gut als wie ein Anderer, wenn ich zu Einem über
meine Sache reden will. Es iſt aus, ich will keine
Gelehrten, keine Afkaten, keine Großgewachſenen mehr
bei mir und meiner Sache. Du ſollſt mir klug
genug ſein, daß ich auf Dich hereinreden kann, wie
zu einem Vernunftmenſchen. Die Alten, unſere Vor-
fahren haben es auch ſo gemacht, daß ſie ſich an die
Dummen und Unmündigen gehalten haben. Junge,
Junge, meine Tine ſagt, daß Du heraus gekommen
biſt, um die rothe Schanze zu verſtudiren. Verſtudire
ſie, und kriege es mir heraus, wer Recht hat, die
Welt oder der Bauer auf der rothen Schanze! Du
haſt Dich meiner Krabbe aus Gerechtigkeitsgefühl an-
genommen, ich habe es hinter der Hecke vom Wall
mit angeſehen, nun will ich's mal darauf hin probiren,
ob es wahr iſt, wie es geſchrieben ſteht: in den
Mäulern der Unmündigen will ich der Wahrheit eine
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Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/130>, abgerufen am 24.11.2024.
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