Haus zu, Kienbaums Mörder. Er konnte hier nichts auch für sein Kind thun und er mußte uns allein mit der Sache fertig werden lassen. Doch die einzige Be- wegung, die er gemacht hatte, hatte freilich schon genügt, das junge Dorfvolk im panischen Schrecken aus dem Felde zu scheuchen. ,Komm, Junge, an den Brunnen!' sagte Tinchen. ,Wie siehst Du aus! Deine Mutter, wenn Du noch eine hast, schlägt Dich todt, wenn sie Dich so sieht.' Siehst Du, Eduard, da steht er noch. Es ist derselbe alte Ziehbrunnen, und liefert ein braves Wasser. Der Schacht geht ziemlich tief durch das Schanzenwerk des Grafen von der Lausitz, bis in den Grund der Erde. In Afrika habt Ihr kein besseres Wasser meine ich, und wenn Du einen Trunk daraus wünschest, so wende Dich nachher nur an Tinchen. Sie windet den Eimer heute noch so wie damals auf. Damals aber sagte sie: ,Wenn wir und unser Vieh nicht daraus trinken müßten, so hätte ich schon längst ein paar von ihnen drunten liegen!' und dabei drohte sie mit der Faust nach dem Dorfe zu, und alle Köter der rothen Schanze bellten nach derselben Richtung hin. Nun wusch ich mir das Blut ab, und dann tranken wir Beide aus dem Eimer, indem wir daneben knieten und die Köpfe neben ein- ander in ihn hinein versenkten. Es war auch eine Art Blutsbruder- oder schwesterschaft, die da auf solche Weise gemacht wurde. Als wir uns aber die Mäuler getrocknet hatten, meinte das Burgfräulein von Quakatzenburg: ,Wenn Du Dich fürchtest, jetzt bei Hellem allein nach Hause zu gehen, so kannst Du
Haus zu, Kienbaums Mörder. Er konnte hier nichts auch für ſein Kind thun und er mußte uns allein mit der Sache fertig werden laſſen. Doch die einzige Be- wegung, die er gemacht hatte, hatte freilich ſchon genügt, das junge Dorfvolk im paniſchen Schrecken aus dem Felde zu ſcheuchen. ‚Komm, Junge, an den Brunnen!‘ ſagte Tinchen. ‚Wie ſiehſt Du aus! Deine Mutter, wenn Du noch eine haſt, ſchlägt Dich todt, wenn ſie Dich ſo ſieht.‘ Siehſt Du, Eduard, da ſteht er noch. Es iſt derſelbe alte Ziehbrunnen, und liefert ein braves Waſſer. Der Schacht geht ziemlich tief durch das Schanzenwerk des Grafen von der Lauſitz, bis in den Grund der Erde. In Afrika habt Ihr kein beſſeres Waſſer meine ich, und wenn Du einen Trunk daraus wünſcheſt, ſo wende Dich nachher nur an Tinchen. Sie windet den Eimer heute noch ſo wie damals auf. Damals aber ſagte ſie: ‚Wenn wir und unſer Vieh nicht daraus trinken müßten, ſo hätte ich ſchon längſt ein paar von ihnen drunten liegen!‘ und dabei drohte ſie mit der Fauſt nach dem Dorfe zu, und alle Köter der rothen Schanze bellten nach derſelben Richtung hin. Nun wuſch ich mir das Blut ab, und dann tranken wir Beide aus dem Eimer, indem wir daneben knieten und die Köpfe neben ein- ander in ihn hinein verſenkten. Es war auch eine Art Blutsbruder- oder ſchweſterſchaft, die da auf ſolche Weiſe gemacht wurde. Als wir uns aber die Mäuler getrocknet hatten, meinte das Burgfräulein von Quakatzenburg: ‚Wenn Du Dich fürchteſt, jetzt bei Hellem allein nach Hauſe zu gehen, ſo kannſt Du
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Haus zu, Kienbaums Mörder. Er konnte hier nichts
auch für ſein Kind thun und er mußte uns allein
mit der Sache fertig werden laſſen. Doch die einzige Be-
wegung, die er gemacht hatte, hatte freilich ſchon
genügt, das junge Dorfvolk im paniſchen Schrecken
aus dem Felde zu ſcheuchen. ‚Komm, Junge, an den
Brunnen!‘ ſagte Tinchen. ‚Wie ſiehſt Du aus! Deine
Mutter, wenn Du noch eine haſt, ſchlägt Dich todt,
wenn ſie Dich ſo ſieht.‘ Siehſt Du, Eduard, da ſteht
er noch. Es iſt derſelbe alte Ziehbrunnen, und liefert
ein braves Waſſer. Der Schacht geht ziemlich tief
durch das Schanzenwerk des Grafen von der Lauſitz,
bis in den Grund der Erde. In Afrika habt Ihr
kein beſſeres Waſſer meine ich, und wenn Du einen
Trunk daraus wünſcheſt, ſo wende Dich nachher nur
an Tinchen. Sie windet den Eimer heute noch ſo
wie damals auf. Damals aber ſagte ſie: ‚Wenn wir
und unſer Vieh nicht daraus trinken müßten, ſo hätte
ich ſchon längſt ein paar von ihnen drunten liegen!‘
und dabei drohte ſie mit der Fauſt nach dem Dorfe
zu, und alle Köter der rothen Schanze bellten nach
derſelben Richtung hin. Nun wuſch ich mir das Blut
ab, und dann tranken wir Beide aus dem Eimer,
indem wir daneben knieten und die Köpfe neben ein-
ander in ihn hinein verſenkten. Es war auch eine
Art Blutsbruder- oder ſchweſterſchaft, die da auf ſolche
Weiſe gemacht wurde. Als wir uns aber die Mäuler
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Quakatzenburg: ‚Wenn Du Dich fürchteſt, jetzt bei
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Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/121>, abgerufen am 25.11.2024.
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