trägt es gar vorsichtig und hält es mit beiden Händen weit von sich ab. Jetzt erscheint der Doctor ebenfalls in der Gasse, den östreichischen Landsturm pfeifend, die Cigarre im Munde und mit dem Hakenstock sehr burschi- kose Fechterübungen gegen einen eingebildeten Gegner machend. Er brüllt herauf:
"Wetter, edler Philosoph, lassen Sie die deutsche Presse nicht zu unvernünftig lange warten."
Halb gezogen von Lischen, halb umgeworfen vom Rezensenten, der, wie es scheint, seiner höheren Bil- dungsschule sehr ungeduldig entgegengeht stolpere ich die Treppe hinunter: über Eimer und Besen, über Kin- der und Körbe. Aus allen Thüren schauen alte und junge, männliche und weibliche Köpfe, die alle der klei- nen Lise Ralff freundlich zunicken. Und wirklich, sie ist auch, -- wie einst ihre Mutter, nur jetzt noch auf andere Weise -- das bewegende Princip der ganzen Hausge- nossenschaft. Auf der Gasse taucht der Klempner Mar- quart aus seiner Höhle auf und erhält von der Lise Gruß und Handschlag, nicht aber vom Rezensenten, der den Feuerarbeiter haßt und, wie es so oft in der Welt geschieht, das Werkzeug für die Ursache nimmt. -- Hat nicht Marquart auf hohe polizeiliche Anordnung ihm, dem ehrbaren, soliden Rezensenten, dem Muster aller Pudel, den Maulkorb mit der Steuermarke um die be-
trägt es gar vorſichtig und hält es mit beiden Händen weit von ſich ab. Jetzt erſcheint der Doctor ebenfalls in der Gaſſe, den öſtreichiſchen Landſturm pfeifend, die Cigarre im Munde und mit dem Hakenſtock ſehr burſchi- koſe Fechterübungen gegen einen eingebildeten Gegner machend. Er brüllt herauf:
„Wetter, edler Philoſoph, laſſen Sie die deutſche Preſſe nicht zu unvernünftig lange warten.“
Halb gezogen von Lischen, halb umgeworfen vom Rezenſenten, der, wie es ſcheint, ſeiner höheren Bil- dungsſchule ſehr ungeduldig entgegengeht ſtolpere ich die Treppe hinunter: über Eimer und Beſen, über Kin- der und Körbe. Aus allen Thüren ſchauen alte und junge, männliche und weibliche Köpfe, die alle der klei- nen Liſe Ralff freundlich zunicken. Und wirklich, ſie iſt auch, — wie einſt ihre Mutter, nur jetzt noch auf andere Weiſe — das bewegende Princip der ganzen Hausge- noſſenſchaft. Auf der Gaſſe taucht der Klempner Mar- quart aus ſeiner Höhle auf und erhält von der Liſe Gruß und Handſchlag, nicht aber vom Rezenſenten, der den Feuerarbeiter haßt und, wie es ſo oft in der Welt geſchieht, das Werkzeug für die Urſache nimmt. — Hat nicht Marquart auf hohe polizeiliche Anordnung ihm, dem ehrbaren, ſoliden Rezenſenten, dem Muſter aller Pudel, den Maulkorb mit der Steuermarke um die be-
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trägt es gar vorſichtig und hält es mit beiden Händen
weit von ſich ab. Jetzt erſcheint der Doctor ebenfalls
in der Gaſſe, den öſtreichiſchen Landſturm pfeifend, die
Cigarre im Munde und mit dem Hakenſtock ſehr burſchi-
koſe Fechterübungen gegen einen eingebildeten Gegner
machend. Er brüllt herauf:
„Wetter, edler Philoſoph, laſſen Sie die deutſche
Preſſe nicht zu unvernünftig lange warten.“
Halb gezogen von Lischen, halb umgeworfen vom
Rezenſenten, der, wie es ſcheint, ſeiner höheren Bil-
dungsſchule ſehr ungeduldig entgegengeht ſtolpere ich
die Treppe hinunter: über Eimer und Beſen, über Kin-
der und Körbe. Aus allen Thüren ſchauen alte und
junge, männliche und weibliche Köpfe, die alle der klei-
nen Liſe Ralff freundlich zunicken. Und wirklich, ſie iſt
auch, — wie einſt ihre Mutter, nur jetzt noch auf andere
Weiſe — das bewegende Princip der ganzen Hausge-
noſſenſchaft. Auf der Gaſſe taucht der Klempner Mar-
quart aus ſeiner Höhle auf und erhält von der Liſe
Gruß und Handſchlag, nicht aber vom Rezenſenten, der
den Feuerarbeiter haßt und, wie es ſo oft in der Welt
geſchieht, das Werkzeug für die Urſache nimmt. — Hat
nicht Marquart auf hohe polizeiliche Anordnung ihm,
dem ehrbaren, ſoliden Rezenſenten, dem Muſter aller
Pudel, den Maulkorb mit der Steuermarke um die be-
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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/88>, abgerufen am 16.02.2025.
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