durch fünf Minuten ihrer Anwesenheit einen mensch- lichen Aufenthaltsort daraus machte! Wie ich dann spä- ter von der kleinen Quälerin gezwungen wurde, eine un- glückliche Flöte hervorzuholen und steinerweichend eine klägliche Nachahmung von: "Guter Mond, du gehst so stille," hervorzujammern, bis Franz Einspruch that, oder mir der Athem ausging, oder der kleinen Tyrannin die Kraft zu lachen. Es waren selige Abende, und ich nahm das Andenken daran mit herauf bis zur Thür des Zeich- ners. Auf mein Anklopfen erschallte drinnen ein un- verständliches Gebrumme; ich trat ein. -- -- --
Manche Junggesellenwirthschaft habe ich durchgemacht und kann viel vertragen in dieser Hinsicht. Den Doc- tor Wimmer, den Schauspieler Müller, den Musiker Schmidt, den Candidaten der Theologie Schulze habe ich in ihrer Häuslichkeit gesehen, von meiner eigenen Unordnung nicht zu sprechen, aber eine solche malerische Liederlichkeit war mir doch noch nicht vorgekommen. Eine Phantasie, durch Justinus Kerner's kakodämoni- schen Magnetismus in Verwirrung gerathen, könnte, ge- froren, versteinert, verkörpert in einem anatomischen Mu- seum ausgestellt, keinen tolleren Anblick gewähren! Auf einem unaussprechlich lächerlichen Sopha, viel zu kurz für ihn, lag, den Kopf gegen die Thür, die Beine über die Lehne weg gestreckt, und die Füße gegen die Fenster-
durch fünf Minuten ihrer Anweſenheit einen menſch- lichen Aufenthaltsort daraus machte! Wie ich dann ſpä- ter von der kleinen Quälerin gezwungen wurde, eine un- glückliche Flöte hervorzuholen und ſteinerweichend eine klägliche Nachahmung von: „Guter Mond, du gehſt ſo ſtille,“ hervorzujammern, bis Franz Einſpruch that, oder mir der Athem ausging, oder der kleinen Tyrannin die Kraft zu lachen. Es waren ſelige Abende, und ich nahm das Andenken daran mit herauf bis zur Thür des Zeich- ners. Auf mein Anklopfen erſchallte drinnen ein un- verſtändliches Gebrumme; ich trat ein. — — —
Manche Junggeſellenwirthſchaft habe ich durchgemacht und kann viel vertragen in dieſer Hinſicht. Den Doc- tor Wimmer, den Schauſpieler Müller, den Muſiker Schmidt, den Candidaten der Theologie Schulze habe ich in ihrer Häuslichkeit geſehen, von meiner eigenen Unordnung nicht zu ſprechen, aber eine ſolche maleriſche Liederlichkeit war mir doch noch nicht vorgekommen. Eine Phantaſie, durch Juſtinus Kerner’s kakodämoni- ſchen Magnetismus in Verwirrung gerathen, könnte, ge- froren, verſteinert, verkörpert in einem anatomiſchen Mu- ſeum ausgeſtellt, keinen tolleren Anblick gewähren! Auf einem unausſprechlich lächerlichen Sopha, viel zu kurz für ihn, lag, den Kopf gegen die Thür, die Beine über die Lehne weg geſtreckt, und die Füße gegen die Fenſter-
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durch fünf Minuten ihrer Anweſenheit einen menſch-
lichen Aufenthaltsort daraus machte! Wie ich dann ſpä-
ter von der kleinen Quälerin gezwungen wurde, eine un-
glückliche Flöte hervorzuholen und ſteinerweichend eine
klägliche Nachahmung von: „Guter Mond, du gehſt ſo
ſtille,“ hervorzujammern, bis Franz Einſpruch that, oder
mir der Athem ausging, oder der kleinen Tyrannin die
Kraft zu lachen. Es waren ſelige Abende, und ich nahm
das Andenken daran mit herauf bis zur Thür des Zeich-
ners. Auf mein Anklopfen erſchallte drinnen ein un-
verſtändliches Gebrumme; ich trat ein. — — —
Manche Junggeſellenwirthſchaft habe ich durchgemacht
und kann viel vertragen in dieſer Hinſicht. Den Doc-
tor Wimmer, den Schauſpieler Müller, den Muſiker
Schmidt, den Candidaten der Theologie Schulze habe
ich in ihrer Häuslichkeit geſehen, von meiner eigenen
Unordnung nicht zu ſprechen, aber eine ſolche maleriſche
Liederlichkeit war mir doch noch nicht vorgekommen.
Eine Phantaſie, durch Juſtinus Kerner’s kakodämoni-
ſchen Magnetismus in Verwirrung gerathen, könnte, ge-
froren, verſteinert, verkörpert in einem anatomiſchen Mu-
ſeum ausgeſtellt, keinen tolleren Anblick gewähren! Auf
einem unausſprechlich lächerlichen Sopha, viel zu kurz
für ihn, lag, den Kopf gegen die Thür, die Beine über
die Lehne weg geſtreckt, und die Füße gegen die Fenſter-
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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/47>, abgerufen am 17.02.2025.
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