Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

und sehen in jedem Thautropfen, der in ihnen hängt,
Himmel und Erde! -- Armes glückliches Menschenherz!

Die schweren, massigen Regenwolken wälzten sich
dicht über der Erde weg, als wir aus dem Thor traten.
Grau in Grau Himmel und Erde! Grau in Grau
Herz und Welt!

Die Bäume streckten ihre leeren Aeste wehmüthig
empor, eine Meise flog von Ast zu Ast vor dem Zuge her.

Und jetzt waren wir angelangt vor der Pforte des
Friedhofes. Langsam wand der Zug sich den Weg ent-
lang, an frischen und eingesunkenen Hügeln, stolzen Mo-
numenten und dürftig naiven Putz vorüber, der Stelle
zu, wo die Hülle der todten Marie ruhen sollte. Im
folgenden Frühling machten wir einen hübschen heimli-
chen Ort daraus, wo die Goldregenbüsche ihre duften-
den Trauben herabhängen ließen und die Vögel in den
Rosensträuchern zwitscherten, heute aber war's rings um-
her gar traurig und unheimlich. Auf dem Grunde der
Grube, die unser Liebstes aufnehmen sollte, stand ein
kleiner Sumpf Regenwasser, in welchem sich aber plötz-
lich eine lichte blaue Stelle, die oben am Himmel zwi-
schen den ziehenden Wolken durchlugte, wiederspiegelte.
-- -- Ich habe Nichts, Nichts vergessen!

Und nun ihr Männer laßt den Sarg hinabgleiten;
gebt der alten schaffenden Mutter Erde ihr schönes Kind

und ſehen in jedem Thautropfen, der in ihnen hängt,
Himmel und Erde! — Armes glückliches Menſchenherz!

Die ſchweren, maſſigen Regenwolken wälzten ſich
dicht über der Erde weg, als wir aus dem Thor traten.
Grau in Grau Himmel und Erde! Grau in Grau
Herz und Welt!

Die Bäume ſtreckten ihre leeren Aeſte wehmüthig
empor, eine Meiſe flog von Aſt zu Aſt vor dem Zuge her.

Und jetzt waren wir angelangt vor der Pforte des
Friedhofes. Langſam wand der Zug ſich den Weg ent-
lang, an friſchen und eingeſunkenen Hügeln, ſtolzen Mo-
numenten und dürftig naiven Putz vorüber, der Stelle
zu, wo die Hülle der todten Marie ruhen ſollte. Im
folgenden Frühling machten wir einen hübſchen heimli-
chen Ort daraus, wo die Goldregenbüſche ihre duften-
den Trauben herabhängen ließen und die Vögel in den
Roſenſträuchern zwitſcherten, heute aber war’s rings um-
her gar traurig und unheimlich. Auf dem Grunde der
Grube, die unſer Liebſtes aufnehmen ſollte, ſtand ein
kleiner Sumpf Regenwaſſer, in welchem ſich aber plötz-
lich eine lichte blaue Stelle, die oben am Himmel zwi-
ſchen den ziehenden Wolken durchlugte, wiederſpiegelte.
— — Ich habe Nichts, Nichts vergeſſen!

Und nun ihr Männer laßt den Sarg hinabgleiten;
gebt der alten ſchaffenden Mutter Erde ihr ſchönes Kind

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0042" n="32"/>
und &#x017F;ehen in jedem Thautropfen, der in ihnen hängt,<lb/>
Himmel und Erde! &#x2014; Armes glückliches Men&#x017F;chenherz!</p><lb/>
        <p>Die &#x017F;chweren, ma&#x017F;&#x017F;igen Regenwolken wälzten &#x017F;ich<lb/>
dicht über der Erde weg, als wir aus dem Thor traten.<lb/>
Grau in Grau Himmel und Erde! Grau in Grau<lb/>
Herz und Welt!</p><lb/>
        <p>Die Bäume &#x017F;treckten ihre leeren Ae&#x017F;te wehmüthig<lb/>
empor, eine Mei&#x017F;e flog von A&#x017F;t zu A&#x017F;t vor dem Zuge her.</p><lb/>
        <p>Und jetzt waren wir angelangt vor der Pforte des<lb/>
Friedhofes. Lang&#x017F;am wand der Zug &#x017F;ich den Weg ent-<lb/>
lang, an fri&#x017F;chen und einge&#x017F;unkenen Hügeln, &#x017F;tolzen Mo-<lb/>
numenten und dürftig naiven Putz vorüber, der Stelle<lb/>
zu, wo die Hülle der todten Marie ruhen &#x017F;ollte. Im<lb/>
folgenden Frühling machten wir einen hüb&#x017F;chen heimli-<lb/>
chen Ort daraus, wo die Goldregenbü&#x017F;che ihre duften-<lb/>
den Trauben herabhängen ließen und die Vögel in den<lb/>
Ro&#x017F;en&#x017F;träuchern zwit&#x017F;cherten, heute aber war&#x2019;s rings um-<lb/>
her gar traurig und unheimlich. Auf dem Grunde der<lb/>
Grube, die un&#x017F;er Lieb&#x017F;tes aufnehmen &#x017F;ollte, &#x017F;tand ein<lb/>
kleiner Sumpf Regenwa&#x017F;&#x017F;er, in welchem &#x017F;ich aber plötz-<lb/>
lich eine lichte blaue Stelle, die oben am Himmel zwi-<lb/>
&#x017F;chen den ziehenden Wolken durchlugte, wieder&#x017F;piegelte.<lb/>
&#x2014; &#x2014; Ich habe Nichts, Nichts verge&#x017F;&#x017F;en!</p><lb/>
        <p>Und nun ihr Männer laßt den Sarg hinabgleiten;<lb/>
gebt der alten &#x017F;chaffenden Mutter Erde ihr &#x017F;chönes Kind<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0042] und ſehen in jedem Thautropfen, der in ihnen hängt, Himmel und Erde! — Armes glückliches Menſchenherz! Die ſchweren, maſſigen Regenwolken wälzten ſich dicht über der Erde weg, als wir aus dem Thor traten. Grau in Grau Himmel und Erde! Grau in Grau Herz und Welt! Die Bäume ſtreckten ihre leeren Aeſte wehmüthig empor, eine Meiſe flog von Aſt zu Aſt vor dem Zuge her. Und jetzt waren wir angelangt vor der Pforte des Friedhofes. Langſam wand der Zug ſich den Weg ent- lang, an friſchen und eingeſunkenen Hügeln, ſtolzen Mo- numenten und dürftig naiven Putz vorüber, der Stelle zu, wo die Hülle der todten Marie ruhen ſollte. Im folgenden Frühling machten wir einen hübſchen heimli- chen Ort daraus, wo die Goldregenbüſche ihre duften- den Trauben herabhängen ließen und die Vögel in den Roſenſträuchern zwitſcherten, heute aber war’s rings um- her gar traurig und unheimlich. Auf dem Grunde der Grube, die unſer Liebſtes aufnehmen ſollte, ſtand ein kleiner Sumpf Regenwaſſer, in welchem ſich aber plötz- lich eine lichte blaue Stelle, die oben am Himmel zwi- ſchen den ziehenden Wolken durchlugte, wiederſpiegelte. — — Ich habe Nichts, Nichts vergeſſen! Und nun ihr Männer laßt den Sarg hinabgleiten; gebt der alten ſchaffenden Mutter Erde ihr ſchönes Kind

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/42
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/42>, abgerufen am 24.11.2024.